Die Flugbegleiterin - Kapitel 6

Fester Boden unter den Füßen

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Die Flugbegleiterin - Kapitel 6

Die Flugbegleiterin - Kapitel 6

Gero Hard

„Ist es das, was ich denke?“, fragt er.
„Und es gibt Zeugen dafür.“, zeige ich auf Marco und Frauke im Publikum.
„Herr Rolfes, wieviel Geld war in dem Umschlag?“
„15.000 Euro, Herr Richter.“
„Wofür genau war das Geld?“
„Herr Richter, da drüben sitzt meine neue Partnerin mit unserer Tochter. Wir wollen so schnell wie möglich heiraten, damit die kleine Maus in geordneten Verhältnissen aufwachsen kann. Wir wollten das Trennungsdatum vorverlegen, um das Trennungsjahr zu erfüllen, was ja wohl üblich ist. Carola hat dem nur zugestimmt, nachdem ich ihr die geforderte Summe übergeben habe. Ich bitte um Entschuldigung, aber ich möchte Kathi wirklich schnell heiraten.“

Nachdenklich sitzt der Richter in seinem Stuhl, zurückgelehnt, gedankenversunken. Endlose Minuten vergehen.

„Frau Rolfes, mit der Erpressung wird sich die Staatsanwaltschaft befassen müssen. Ich kann Ihnen nicht sagen, was daraus wird. Aber was ich Ihnen sagen kann ist, dass ich diese Ehe heute scheiden werde. Auch gegen Ihren ausdrücklichen Willen, den wir im Sitzungsprotokoll aufgenommen haben. Ich erkläre diese Scheidung zur Härtefallscheidung. Ich bitte alle Anwesenden sich zu erheben: Ich …, Vorsitzender Richter am Amtsgericht in Berlin, erkläre die am… um… vor dem Standesamt in Berlin-Mitte geschlossene Ehe zwischen Carola und Tobias Rolfes, mit sofortiger Wirkung als geschieden. Die Widerspruchsfrist beginnt heute und beträgt sieben Tage. Danach ist die Scheidung automatisch rechtskräftig. Ich erkläre die Verhandlung für geschlossen.“

Entsetzt senkt sich Carolas Blick. Ich habe kein Mitleid mit ihr. Sie hat es provoziert und im Grunde auch nicht besser verdient. Soll sie doch mit ihren Liebhabern glücklich werden. Ich wünsche ihr alles Gute dazu.
Du kommst mit unserem Engel auf mich zu. Zärtlich umarmst du mich. Neben mir meine Anwältin, bei der ich mich ganz herzlich bedanke, die sich dann aber schnell verabschiedet. Sie hat noch einen Folgetermin, sagt sie. Sie gratuliert uns noch und wünscht uns alles Gute, bevor sie sich mit wehendem Talar auf den Weg zum nächsten Termin macht und irgendwo in dem riesigen Gebäude verschwindet.
Hand in Hand, mit Frauke und Marco im Schlepptau, steuern wir das nächste Restaurant an. Diesen Erfolg müssen wir, selbstverständlich alkoholfrei, feiern. Der Weg nach Las Vegas ist endlich frei!

Die Hochzeit.

Es soll ein unvergessliches Ereignis werden. Und allein die Tatsache, dass es eine Doppelhochzeit wird, ist schon etwas Besonderes. Ganz überwältigt sehen sich unsere Eltern die Bilder in den Prospekten an. Die schneeweißen Gebäude, die innen so prunkvoll und wunderschön geschmückt sind.

Sie sind verständlicherweise sehr traurig, dass wir sie aus reinen Kostengründen nicht mitnehmen können.
Selbst, wenn wir entsprechende Rabatte für die Flüge von deiner Airline bekommen und die Kosten auf beide Brautpaare aufteilten, würde es unser Budget sprengen. Es ist kein wirklicher Trost für sie, dass wir ihnen ein Tablett dalassen wollen, mit dem sie über Skype an unseren Trauungen teilhaben können.

Drei Wochen später sind alle nötigen Vorbereitungen abgeschlossen. Alle Papiere sind in den Koffern, die Ringe in den Taschen. Aufgeregt stehen wir am Schalter des BER. Eine lange Schlange vor uns bedeutet, dass wir Geduld aufbringen müssen, bis wir unsere Reisepässe mit den Tickets zusammen auf den Tisch der Mitarbeiterin legen können. Als eine Kollegin von dir, beschleunigt das ihre Arbeit. Und sie sieht auch nicht so genau auf die Waage, auf der unsere Koffer stehen. In deinem ist das Brautkleid versteckt und die Utensilien für Lea. In meinem, haben wir den Rest unserer Sachen gepresst. Beide sind deutlich über dem zugelassenen Höchstgewicht. Mit einem Zwinkern schiebt die junge Frau am Schalter die Koffer hinter sich. Check In erledigt! Wir haben noch etwas Zeit, bis der Flug aufgerufen wird. Lea schläft den Schlaf der Gerechten in ihrem Maxi Cosi. Wie ein Püppchen liegt sie da. So friedlich und lieb.

„Huhu, wir wollen auch mit!“ Wild mit den Händen fuchtelnd sehen wir unsere Eltern auf uns zustürmen.
Heimlich haben sich die Herrschaften eigene Flüge gebucht.
„Ja habt ihr denn wirklich gedacht, wir lassen uns mit so einem blöden Computer abspeisen? Das Spektakel lassen wir uns auf gar keinen Fall entgehen!“

Natürlich freuen wir uns, dass sie alle mitkommen. Schöner kann es gar nicht sein, neben den besten Freunden auch die Eltern dabei zu haben. Es ist schon fast zu perfekt, hoffentlich geht alles gut.
Auf jeden Fall sind jetzt genug Leute an Bord, die meine Tochter auf dem 23stündigen Flug, Zeitverschiebung mitgerechnet, abwechselnd bespaßen können.
In Vegas empfängt uns traumhaftes Wetter. Um diese Jahreszeit hat es schon gern mal 27 Grad. Der Klimawechsel von kühl auf warm, geht schon etwas an die Kondition. Dazu noch der Jetlag.
Ganz ehrlich, so extrem hätte ich es mir nicht vorgestellt. Die ersten zwei Nächte ist an Schlaf kaum zu denken. Auch für die Kleine ist die Zeitumstellung eine ziemliche Störung in ihrem gewohnten Rhythmus.
Es ist schon mehr als beeindruckend, wie prunkvoll und luxuriös die Casinos um potentielle Kunden buhlen. Natürlich sehen wir uns ein paar von ihnen an und verdaddeln eine kleine Handvoll Dollar an den „Einarmigen Banditen“, wenn wir schon mal da sind?

Fasziniert beobachten wir die gewaltigen Wasserfontänen der Springbrunnen, die farblich untermalt eine ergreifende Show zeigen.
Ohne unsere Eltern sehen wir Brautleute uns die Kirche unserer Wahl an. Ein weißes, kirchenähnliches Gebäude, mit zwei kleinen Türmen an der Eingangsseite. Die zweiflügelige Tür gibt weit offen den Blick auf eine wunderschön abgestimmte Farbenpracht frei. Weiße Bänke, weiße Wände, aber mit einem Meer aus Blüten und Girlanden geschmückt. Am Ende eine bunt geschmückte Pergola, unter der die Brautpaare auf einem grünen Teppich gegenseitig das Ehegelübde ablegen.
Unsere beiden Frauen haben Tränen in den Augen. Aber auch wir Männer bekommen die Münder nicht mehr zu. So etwas Schönes habe ich bisher nur auf Bildern gesehen. Wie schön wird das alles erst sein, sich bei leiser Orgelmusik tief in die Augen zu sehen und sich gegenseitig zu versprechen den jeweils anderen zu lieben und zu ehren, bis das der Tod uns scheidet.

Zu wissen, dass das keine leeren Worthülsen, oder aus irgendwelchen Texten abgelesene Phrasen sind, sondern ehrlicher Ausdruck unserer tief empfundenen Liebe, die so seltsam begonnen hat.
Hier, in dieser wunderschönen Kapelle, unter den Augen unserer Eltern, unserer Freunde und vor Gott das Eheversprechen abzulegen, ist der Gipfel unserer hoffnungsvollen und hoffentlich noch lange andauernden Zukunft. Morgen Nachmittag wird es soweit sein. Ich kann es kaum erwarten. Unsere Aufregung überträgt sich auch auf Lea. Sie spürt, dass etwas anders ist als sonst, dass Mama und Papa einem ganz besonderen Moment entgegenfiebern. In dieser Nacht bekommen wir alle nicht sehr viel Schlaf. Wir überlegen sogar kurz, ob wir die Hochzeitsnacht nicht vorziehen, wenn wir sowieso nicht schlafen können.
Aber wieso vorziehen, wer hindert uns daran, eine Hochzeitsnacht vor, und eine nach der Hochzeit zu zelebrieren? Lust hätte ich auf jeden Fall und du auch, wie mir deine aufgerichteten Brustwaren verraten.

„Komm mein Schatz, ich will dich jetzt.“, flüsterst du mir ins Ohr.

Es ist das erste Mal nach Leas Geburt, dass du mit mir schlafen möchtest. Sonst haben wir uns nur mit Fingern oder dem Mund den gegenseitigen Druck abgebaut. Wir müssen leise sein, denn unser Püppchen schläft in unserem Zimmer.
Eine zurückhaltende „Rangelei“ entwickelt sich zwischen uns, die nach einer wahrhaft zärtlichen Vereinigung viel zu schnell in einem atemberaubenden Höhepunkt seinen Gipfel findet. Kurzatmig fallen wir zurück auf die Matratze, auf der sich schnell ein immer größer werdender Fleck bildet. Das schreit förmlich nach Wiederholung. Morgen, übermorgen, und sonst so oft es geht.

Am nächsten Tag bleiben wir Männer unter uns und die Frauen haben sich in das andere Hotelzimmer zurückgezogen. Wir haben uns vorgenommen, unsere Frauen das erste Mal in der Kirche in ihren Brautkleidern zu sehen. Deshalb fahren wir auch in getrennten Leihwagen zur Wedding Chapel.

Zusammen mit Marco stehe ich erwartungsvoll unter der bunten Pergola. Unsere Eltern stehen schräg versetzt hinter uns. Es gibt immer ein paar einheimische Zuschauer, die sich diese Zeremonien nicht entgehen lassen. So auch heute. Ich überfliege die Reihen und zähle etwa 30 Gäste, die mehr oder weniger festlich gekleidet auf den Bänken verteilt sitzen.

An der Seite steht ein übergroßer Teller mit einem Bügel darüber. Darauf sitzen 4 weiße Tauben, die gurrend immer mal wieder ein paar Körner aufpicken und auf ihren Einsatz warten. Dann geht die Tür auf, und es verschlägt mir die Sprache! Plötzlich habe ich einen dicken Kloß im Hals, und kann mir nur schwer die Tränen der Rührung unterdrücken! Eure Augen strahlen wie Diamanten, auch, wenn ihr eure Tränen nicht zurückhalten könnt, weil ihr uns weinen seht.

Wie zwei in zarter Seide gehüllte Engel schwebt ihr Schwestern auf uns zu. Langsam, mit gemächlichen Schritten. Es sind nur etwa 10 Meter von der Tür bis zu uns, aber ihr Frauen zelebriert jeden einzelnen eurer Schritte. Alle Augenpaare sind auf euch wunderschönen Wesen geheftet. Wie Zwillinge habt ihr euch für gleiche Kleider entschieden, schneeweiß, schulterfrei, das Dekolleté und die Ärmel aus feinster Spitze. Der obere Teil der Kleider liegt eng an euren Oberkörpern, ein tiefer Ausschnitt betont eure wunderschönen Brüste. Eine Korsage führt zu dem weit geschnittenen Rock, der über und über mit kleinen glitzernden Steinchen verziert ist und mit einer kurzen Schleppe endet. Perfekt machen das Bild eure Haare, die in luftigen Hochsteckfrisuren frisiert wurden. Die Krönung bildet ein mit Steinen besetztes Diadem. Ich habe in meinem Leben noch nie schönere Frauen gesehen. Und eine von ihnen wird mir gleich versprechen, dass sie für immer mein sein wird.
Ein staunendes, beifälliges Raunen geht durch die Reihen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Menschen hier jemals so umwerfend schöne Bräute gesehen haben, wie euch beide.

Unsere Mütter haben ihre Taschentücher mehr vor den Augen, als in ihren Händen. Aber auch Marco und mir bleibt der Mund offenstehen. Ich bekomme einen trockenen Mund. Marco wird es nicht viel anders gehen.
Eine Doppelhochzeit haben die „Pastoren“ hier auch selten, erklärt uns der Geistliche.

Die Hochzeitsansprache erfolgt natürlich in englischer Sprache. Uns stört das nicht weiter, weil wir alle gut englisch sprechen. Nur unsere Eltern sind da deutlich im Nachteil.
Unsere Ehegelübde geben wir uns dann aber in deutscher Sprache. Hand in Hand, mit festem Blick in unsere Augen und klarer Stimme versprechen wir uns:

„Ich will dich lieben, beschützen und trösten. Ich will dir helfen, für dich sorgen in guten und schlechten Zeiten, in Gesundheit und Krankheit, bis dass der Tod uns scheidet. Ich bitte Gott, dass wir unsere Liebe niemals 
als Selbstverständlichkeit hinnehmen, sondern als Geschenk und auch als tägliche Herausforderung annehmen.“

Nachdem wir uns gegenseitig die Ringe aufgesteckt und uns der Geistliche feierlich zu Mann und Frau erklärt hat, steigen die Tauben wie auf Kommando in den Himmel.
Mein Vater hat jeden Moment dieser, für deutsche Verhältnisse, kurzen Trauung mit dem Handy gefilmt. Aber
auch ohne dieses bleibende, elektronische Dokument, werde ich die Bilder niemals vergessen. Sie haben sich in meiner Seele und in meinem Herzen auf ewig eingebrannt.
Vor der Kapelle nehme ich dich, meine geliebte Frau, in die Arme und drehe dich schwungvoll im Kreis. Lange, sehr lange, finden sich unsere Lippen zu einem sehr innigen Zungenkuss. Leise flüstere ich dir ins Ohr:

„Ich liebe dich so sehr, dass es fast weh tut.“
„Ich dich auch! Das hast du schön gesagt.“, flüsterst du zurück. Ein Blick in unsere Augen verrät uns, dass jede gesagte Silbe auch genauso gemeint ist.

Marco und Frauke haben wir dabei etwas aus den Augen verloren. Zwei Meter hinter uns stehen sie und drücken
ihre Körper fest aneinander. Ich meine fast, eine deutliche Beule in Marco’s Anzughose zu erkennen. Wer mag es ihm verdenken, bei dieser wunderschönen Frau. Ihre Zungen sind scheinbar unlösbar miteinander verknotet und ihre Lippen spielen ein feuchtes Spiel.

Lea hat sich rücksichtsvoll mit ihrer Quengelei zurückgehalten. Doch jetzt scheint ihr der Magen zu knurren.
Sie wird sich gedulden müssen, bis wir in einem Restaurant unsere Hochzeit feiern und du mit ihr zum Stillen in einen separaten Raum gehen kannst.
Wir alle verbringen noch zwei tolle Tage in Vegas, bis uns die Airline wieder in heimische Gefilde fliegt.

In Berlin erwarten uns einige Behördenbesuche, um die Ehe auch hier in Deutschland gültig beglaubigen zu lassen. Ein Berg an Formularen raubt uns die Nerven. Unglaublich, was die Behörden alles von einem wissen wollen. Aber auch das schaffen wir und dann ist es amtlich: Wir drei heißen ab sofort „Rolfes“.

Was kann ich noch erzählen: Marco und Frauke bekommen wenige Monate nach ihrer Hochzeit einen gesunden Stammhalter. Ihr zweites Kind, auch ein Junge, kommt leider mit einer Kiefer-Gaumen-Spalte zur Welt. Nach ein paar Operationen, vielen tränenreichen Nächten und anstrengenden Zeiten für die Eltern, kann man ein paar Monate später kaum noch etwas davon erkennen. Ich muss Frauke und Marco meine Hochachtung aussprechen, mit welcher Hingabe, Aufopferung und Engelsgeduld sie tapfer am Krankenbett ihres Sohnes gesessen und ihn getröstet haben, wenn er stundenlang vor Schmerzen geweint hat. In dieser, für alle sehr schwierige Zeit, sind sie noch enger zusammengewachsen.
Kathi und ich sind jetzt 35 Jahre glücklich verheiratet. Es wäre falsch zu behaupten, ‚Glücklich wie am ersten Tag!‘, denn heute liebe ich sie noch viel mehr als früher.

Die kleinen erotischen Techtelmechtel in Vegas sind nicht ohne Folgen geblieben. Kurz nach unserer Traumhochzeit bescheinigte uns ihre Frauenärztin eine neue Schwangerschaft. Uns wurden wundervolle Zwillinge - ein Pärchen - geschenkt, die gesund und munter nicht nur aufgewachsen sind, sondern uns „alten“ Eltern ganz schön auf Trab hielten. Aus allen dreien sind verantwortungs- und selbstbewusste, starke Menschen geworden. Wir sind stolz auf unsere Kinder und auf das, was wir mit unserer stets liebevollen Erziehung bei ihnen erreicht haben. Wir sind ebenso stolz auf das, was wir beide erreicht haben. Auf unser Lebenswerk. Das wir es geschafft haben, aus den Steinen, die man uns in den Weg gelegt hat, einen ebenen Weg zu pflastern, und nicht darüber zu stolpern. Trotz einiger Höhen und Tiefen, sind wir zusammengeblieben und glücklich, dass wir unseren Lebensabend gemeinsam genießen.
Jetzt sitzen wir alt und grauhaarig auf der Dachterrasse unserer Wohnung in der Chausseestrasse …, die wir mittlerweile gekauft haben, hier in Berlin-Mitte, und sehen auf die Lichter hinter den Fenstern.

Ende

Nachtrag: Die Geschichten der Flugbegleiterin sind rein fiktiv und hat nichts mit einer wahren Geschichte aus meinem Leben zu tun.

Gero Hard

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