Bernie warf eine Hacke nach der anderen in das kleine Flüsschen. Ein paar davon versanken augenblicklich in den Fluten, andere zogen mit der Strömung und tanzten übermütig auf ihrer Fahrt ins Ungewisse. Bernie heulte trocken. Im Gegensatz zum Nassheulen fliessen dabei keine Tränen, die Physiognomik bleibt aber die selbe. Die Hacken, die er ins Wasser schmiss, gehörten Brigitte. Vielmehr waren sie ein Teil ihres Schuhwerks. Bernie hatte sie allesamt abgesägt und danach in eine grosse Plastiktüte gestopft. Damit fuhr er aus der Stadt heraus, in das Wäldchen mit dem kleinen Flüsschen. An den Pumps, Sandaletten, Pantoletten, Stiefeln und Stiefeletten von Brigitte arbeitete er mit seiner Stichsäge fast eine Stunde lang. Brigitte hatte ihn verlassen und ist bei ihrem neuen Lover eingezogen. Sie würde ihre Sachen später abholen, sagte sie. Noch hatte Brigitte den Schlüssel zur gemeinsamen Wohnung. Wenn sie jetzt, wo Bernie stoisch die Hacken ihrer Schuhe ins Wasser warf, in der Wohnung stand, würde sie die Welt nicht mehr verstehen; keines ihrer 24 Paar Schuhe hatte mehr Absätze. Nachdem Brigitte ausgezogen war, hatte Bernie wie ein Zombie die Stichsäge aus der Werkzeugkiste geholt. Bernie hatte mit den Schuhen Brigitte veredelt; sie zur perfekten Frau gemacht. Niemals sollte sie darin für ihren neuen Lover stöckeln, das hätte Bernie nicht ertragen können. Lange und inbrünstig hatte Bernie darum betteln müssen, dass Brigitte Schuhe mit hohen Absätzen trug. Mit seinem Begehren reizte er die Beziehung bis an die Grenzen des Möglichen aus. Sie hatte immer nur flache Schuhe an ihren zierlichen Füssen gehabt. Als sie schon zusammen gezogen waren, machte Brigitte daraus noch lange eine hart verfochtene Glaubenssache. Highheels, sagte sie wütend, seien Teufelszeug für die Gesundheit der Füsse und für die Gelenke, zudem seien sie unbequem und nur eine von Männern erdachte und den Frauen aufgezwungene sexistische Folter. Für sie kämen nur flache Schuhe in Frage. Bernie setzte alles daran, um ihre Meinung zu ändern. Er liebte Frauen in Highheels manisch. Der grazile Gang, das Klacken der Absätze, der laszive Hüftschwung, die optische Verlängerung der Beine; das alles machte ihn unheimlich kikerig auf Frauen in Stöckelschuhen. Schliesslich schaffte es Bernie doch, Highheels an Brigittes Füsse zu zaubern. Er hatte sie endlich bei ihrer Eitelkeit erwischt. Das genau war die schwache Stelle, wo er mit seiner Obsession erfolgreich ansetzen konnte. Er machte Brigitte Häppchenweise heiss auf Heels. Ihre Figur käme in solchen Schuhen viel besser zur Geltung, sie würde darin viel femininer wirken und – was nicht zu verachten sei – sie würde ihn damit auch viel mehr antörnen beim Sex, schwor Bernie. Schliesslich durfte er ihr ein erstes Paar kaufen; schwarze, geschlossene Lackpumps mit Fesselriemchen. Sie hatten sie gemeinsam ausgesucht. An jenem denkwürdigen Shopping-Nachmittag hatte Brigitte unzählige Paare Highheels anprobiert und wurde immer wieder wankelmütig. Solche Schuhe seien nichts für sie. Sie hasse Heels. Und dann gingen sie doch noch mit diesem Paar nach Hause. Anfangs zierte sich Brigitte, die Stöckel auch anzuziehen. Sie beharrte darauf, nur in der Wohnung jeweils ein paar Schritte darin zu gehen, just bevor sie miteinander Sex machten. Das sei gewissermassen Teil des Vorspiels. Sie würde es nur ihm zuliebe tun, sagte Brigitte. Bernie war das eindeutig zu wenig. Mit rührender Fürsorge hatte er Brigitte schliesslich ans Highheel-Tragen heranführen können. Bei den ersten Versuchen im Wohnzimmer war er ihre Gehhilfe und lobte mit überschwänglichen Worten die Fortschritte beim stilechten Trippeln in den ungewohnten Schuhen. Und wenn Brigitte entnervt die Heels in eine Ecke schmiss, weil sie die Füsse schmerzten, kniete er sofort vor ihr nieder und massierte ausgiebig ihre strapazierten Zehen und Fersen. Brigitte fand Gefallen daran, weil es herrlich entspannte. Sie ging allmählich länger in den Heels, und Bernie massierte immer ausgiebiger. Schliesslich wagte Brigitte das Stöckeln auch ausserhalb der Wohnung. Das erste Mal fuhren sie hier hinaus, in das Wäldchen mit dem kleinen Flüsschen. Tapfer stöckelte Brigitte auf dem weichen Naturweg dem Gewässer entlang. Dann setzten sie sich auf eine Bank. Es war ein schwüler Sommerabend. Bernie massierte Brigittes Füsse bis ihm der Schweiss in Bächen von der Stirne rann. Beide waren schliesslich so aufgeladen, dass sie wie Schmetterlinge in ein nahes Gebüsch schwebten und es dort miteinander trieben. Der beste Sex, den sie je zusammen hatten; da waren sie sich einig. Der Bann war gebrochen! Brigitte warf all ihre Birkenstöcke, Sneakers und Flip-Flops fort. Sie kaufte und trug nur noch Schuhe mit acht bis zwölf Zentimeter langen Heels. Es wurden immer mehr Paare. Bald brauchte Brigitte einen eigenen, geräumigen Schuhschrank dafür. Bernie war der glücklichste Mensch. Jetzt hält er die letzte noch übrig gebliebene Hacke in der Hand. Ein Schleier zieht vor seinen Augen auf, wird immer wässriger und schwerer; er heult nass, schnieft und wirft die Hacke nicht zu den anderen ins Wasser. Er küsst den Heel. Es ist eine der Hacken von den schwarzen, geschlossenen Lackpumps mit den Fesselriemchen, die Bernie als erstes Paar für Brigitte gekauft hatte. Er steckt den Heel behutsam in seine Brusttasche und geht wie in Trance zu seinem Wagen zurück.
Abschied von Brigitte
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