Abschiedsstimmung in Florenz

Nackte Sommerlust in der Toskana - Teil 13

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Abschiedsstimmung in Florenz

Abschiedsstimmung in Florenz

Franck Sezelli

Hand in Hand liefen Franziska und Daniel die in Serpentinen angelegte Allee Viale Giuseppe Poggi entlang. Franzi hatte das bunte Sommerkleid angezogen, das sie auch bei dem Ausflug ans Meer getragen hatte. Aber die damals damit verbundene fröhliche Stimmung wollte nicht recht aufkommen, obwohl die Sonne vom blauen Himmel strahlte und ihr Weg von Schatten spendenden Bäumen gesäumt war.
Am frühen Morgen hatte sie Hans nach Florenz gefahren und mit ihrem Gepäck in einem in Künstlerkreisen bekannten Appartementhaus abgesetzt, das Pärchen auch ohne nach dem Trauschein zu fragen, Übernachtungen ermöglichte. In Italien seinerzeit keineswegs selbstverständlich! Bald nach der ersten Diskussion des Vorschlags war klar geworden, dass Claudia und Sandra nicht daran interessiert waren, mit den beiden noch Florenz zu besuchen, aus welchen Gründen auch immer. Der Zusammenhalt zwischen den drei Freundinnen hatte offenbar Risse bekommen. Eifersucht, auch wenn sie nicht offen gezeigt wird, und Freundschaft vertragen sich eben nicht. Daniel fühlte sich ein bisschen schuldig, hätte aber nicht gewusst, wie er dem hätte entgegenwirken sollen.
Jetzt war das Liebespaar eben allein in der Hauptstadt der Toskana. Ihre Unterkunft lag keine fünfzehn Minuten Fußweg vom Piazzale Michelangelo mit der berühmten David-Statue entfernt. Hans hatte ihnen den Tipp gegeben, dort zuerst hinzugehen und die herrliche Aussicht auf die Stadt zu genießen. Der Blick war beeindruckend über den Fluss Arno mit seinen Brücken und die roten Dächer der Stadt, aus denen die Kathedrale mit ihrem großen roten Kuppeldach hervorstach. Natürlich hatten sie auch die riesige Statue gebührend bewundert, von der sie wussten, dass es ein Bronzeabguss des von Michelangelo geschaffenen Originals war. Während sich Daniel besonders für die Beinhaltung und Beckenstellung interessierte, weil sie ihn an das Modellstehen bei Uta und Sandra erinnerte, widmete Franziska den männlichen Kleinodien Davids große Aufmerksamkeit. Das war sicherlich dem Umstand geschuldet, dass man den Bronzemann auf seinem Sockel von unten herauf ansehen musste.
»Sag mal, ob die Männer seinerzeit anders gebaut waren als heutzutage?«, meinte sie.
»Wie kommst du darauf?«, wunderte sich Daniel über die seltsame Frage.
»Na ja, bei dir und auch bei anderen Männern, die ich schon gesehen habe«, erklärte die Geliebte, »sind die Eier in ihrem Säckchen nie gleich groß, eines hängt deswegen immer weiter unten als das andere.«
Daniel wurde bewusst, dass seine Liebste wahrscheinlich weitaus mehr Männer intim kannte als er Frauen. Diese Tatsache, die er zwar zeitig erkannt hatte, aber bei dem lockeren, unverbindlichen Zusammensein mit den drei Mädchen in den nun zu Ende gehenden Ferien erfolgreich verdrängt hatte, gab ihm einen Stich ins Herz. Er ließ sich das aber nicht anmerken und sagte: »Ist mir noch nicht aufgefallen.«
»Bei dir jedenfalls ist das linke Ei größer, bei dem David sieht es fast unnatürlich symmetrisch aus.«
Was sollte er dazu sagen? Er sinnierte, wie die kleine Jünglingsstatue ausgesehen hatte, an der sich Sandra erprobt und die Uta behalten hatte, aber konnte sich an dieses Detail nicht erinnern.
Als das Pärchen unterhalb des Hügels angekommen war, wandte es sich nach links und folgte der Uferstraße Lungarno Serristori bis zur nächsten Brücke. Auf dem Ponte alle Grazie überquerten die beiden den Arno. Von hier aus sahen sie die überbaute Steinbrücke Ponte Vecchio, von der sie in Reiseführern schon gelesen hatten. Sie nahmen sich vor, sie später noch zu besichtigen. Am anderen Flussufer gingen sie in deren Richtung, bis sie am Eingang der Uffizien angekommen waren. Wegen dieses vielleicht bekanntesten Renaissance-Kunstmuseums der Welt waren sie hauptsächlich nach Florenz gekommen.
»Ein eigenartiger Name – Uffizien?«, sagte Franziska mehr zu sich selbst als zu ihrem Begleiter.
Der aber wusste Antwort: »Ursprünglich ist der ganze Gebäudekomplex als Verwaltungsgebäude für Ämter und Ministerien gebaut worden, erst später entstand hier diese berühmte Kunstsammlung. Uffizio bedeutet im italienischen Amt. Wir kennen im Englischen und Französischen das Wort office. Der Begriff für das Bauwerk hat sich auf den heutigen Inhalt des Gebäudes übertragen. Mir fallen sofort die Eremitage im ehemaligen Sankt Petersburg, ein, die den alten Zaren als Rückzugsort, quasi Einsiedelei, diente und heute ebenfalls ein riesiges Kunstmuseum ist, oder das Leipziger Gewandhaus und die Krakauer Tuchhallen, in denen schon lange nicht mehr Stoffe gelagert und gehandelt werden, sondern in Leipzig Konzerte gegeben und in Krakau Ausstellungen veranstaltet und alles Mögliche verkauft wird.«
»Ach du Klugscheißer! Trotzdem danke für die Antwort!«
Das Schlangestehen nach den Eintrittskarten war schon sehr ermüdend, aber die Fülle an Kunstwerken, die sie erwartete, erschlug sie beinahe. Nachdem sie eine Weile von Saal zu Saal gegangen waren, häufig vor größeren und kleineren Gemälden stehen blieben, zwischendurch auch verschiedenen Statuen einen Blick zuwarfen, erkannten sie, dass sie in der wenigen Zeit, die sie hatten, so nicht weiterkamen.
Also schauten sie in ihren Museumsführer und pickten sich einzelne bekannte Exponate heraus, von denen sie schon gehört oder gelesen hatten, teilweise auch Reproduktionen in Bildbänden gesehen, um die Chance zu nutzen, sie im Original zu bewundern.
So sahen sich die zwei Verliebten die berühmte Geburt der Venus von Botticelli an, die sie wegen ihres Formats von fast zwei mal drei Metern und den vielen genau ausgeführten Details sehr beeindruckte.
Vor Tizians Venus von Urbino blieben sie lange stehen, fühlten sie sich doch in gewisser Weise durch die eben zu Ende gegangenen künstlerischen und körperlich völlig freien Ferien mit diesem Werk sehr verbunden.
»Dieses Bild hat manche Kontroversen hervorgebracht und wurde von vielen als skandalös empfunden«, wusste Daniel. »Die Darstellung der Frau in dieser absoluten Nacktheit wurde als schamlos angesehen.«
Franziska schmunzelte nur.
»Sogar Mark Twain, der ja fast in der Gegenwart gelebt hat, hat das Bild ›ohne jeden verhüllenden Fetzen oder ein Feigenblatt‹ als den ›anrüchigsten, gemeinsten, obszönsten Gemäldebesitz, an dem sich die Menschheit sattsehen kann‹ bezeichnet, lese ich hier«. Daniel hatte sich auf den Besuch gut vorbereitet und steckte das kleine Heftchen, aus dem er vorgelesen hatte, wieder ein. »Wenn er wüsste, was wir gemalt und gestaltet haben! Im Übrigen liegt diese Venus so da wie Sandra auf dem Bild, das Hans mit ihr als Modell gemacht hat und das ich immer als ›Schlummernde Maja‹ bezeichnet habe.«
»Dir geht wohl Sandra nicht aus dem Kopf? Warum vergisst du sie nicht einfach?« Die Eifersucht war überdeutlich zu spüren, Franziska funkelte ihn fast böse an.
Aber das wollte sich der junge Mann nicht gefallen lassen. »Warum sollte ich deine Freundin vergessen? Wir hatten doch alle eine sehr schöne Zeit miteinander.«
»Sandra ist nicht meine Freundin, sondern Claudias.«
»Das habe ich aber ganz anders erlebt. Ihr drei wart dochunzertrennlich. Und gerade du und Sandra wart für mich wie Zwillinge, wenn auch nicht äußerlich. Mit euch beiden zusammen war es mindestens einmal auch sehr schön, erinnere ich mich.«
»Woran du dich nur immer erinnerst? Ich dachte, du liebst nur mich?«
»Aber ja! Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun. Ich bin jetzt hier, mit dir! Mit keiner anderen! Ich liebe nur dich! Übrigens hättest du ganz genauso, wenn nicht noch schöner ausgesehen in Hans’ Gemälde Weiblicher Akt in toskanischer Landschaft, dass du am Abschiedsabend doch auch gesehen hast. Aber nicht ich habe das Modell ausgesucht, sondern Hans! – Sei vernünftig und wieder lieb!« Er nahm seine zickige Geliebte fest in den Arm und gab ihr einen Kuss, woraufhin sie wieder lächelte.
»Wir besitzen doch auch eine sehr schöne, ganz besondere Erinnerung mit der Radierung, die wir von Eva bekommen haben. Dieses schöne Bild unserer Liebe wird mich immer mit dir verbinden!« Daniel strahlte sie an in der Erinnerung an diesen Akt, der sie beide besonders berührt und tief verbunden hat, den Beginn ihrer echten Paarbeziehung. In seiner Hose regte sich etwas. »Am liebsten würde ich dich sofort vernaschen, aber leider geht das hier gar nicht.«
»Mir geht es auch so!« Franziska drückte sich eng an ihren Liebsten. »Aber leider ist das hier unmöglich … Das ist unser Tribut an die Zivilisation.«
Das Paar stand noch immer vor der Venus von Urbino, die manche im Gegensatz zu den Empörten sogar als Schutzpatronin der Ehe interpretieren. Die meisterlich präsentierte Verbindung von aufreizenden erotischen Aspekten mit einem Tugendattribut wie der Treue, die durch den Hund symbolisiert wird, und dem Myrthenbaum im Fenster, der für ewige Blüte steht, wird als ein Gleichnis der ehelichen Sexualität empfunden. Darüber und an ihre eigene unbeschwerte künstlerische und tabulose Arbeit in der Künstlerkolonie nachdenkend, kam bei Daniel die Frage auf: »Warum gibt es keine oder nur ganz wenige, und dann nicht öffentlich ausgestellte Werke, die die ungehemmte Lust der Liebe, die Glück schenkende Vereinigung von Mann und Frau zeigen?«
»Die Welt ist eben doch zu prüde. Das war früher so, als die Kirche große Macht besaß, ist aber heute immer noch nicht viel anders. Leider! Aber wir haben ja unser Bild!« Franziska wollte die Diskussion darüber nicht weiter vertiefen.
Vor dem in seiner Breite fast panoramahaft wirkenden Gemälde L'Annunciazione oder Die Verkündigung von Leonardo da Vinci und anderer Maler wunderte sich Franziska über den Engel. »Ich dachte immer, dass der Erzengel Gabriel Maria die frohe Botschaft verkündete. Aber dieser Engel sieht doch wie eine Frau aus, oder was sagst du?«
»Nun, sehr männlich sieht er jedenfalls in meinen Augen auch nicht aus, eher knabenhaft. Aber auch heute sehen viele Leute Engel oft eher als weibliche Wesen an. Sieh mal die Flügel: Das sind doch eindeutig Schwanenflügel! Wobei mich das wiederum an Leda mit dem Schwan erinnert. Übrigens stelle ich mir die sogenannte Verkündigung immer ganz anders vor.«
»Wie meinst du da das? Anders?«
»Wenn du willst, zeige ich dir das gern heute Abend. Die Szene im Bild stellt doch höchstens die Version dar, wie sie Maria ihrem gutgläubigen Verlobten Josef verklickert hat.«
»Ach so! Ich verstehe: Manchmal habe ich mir Gabriel auch als einen schönen Jüngling mit starker männlicher Ausstrahlung vorgestellt, der Maria recht irdische Freuden gebracht und sie dabei geschwängert hat.«
»Womit wir wieder bei Zeus und Leda wären.« Daniel zog Franzi fest an sich und freute sich auf solch irdische Freuden heute Nacht.
Später auf ihrem Rundgang fiel dem Paar noch das Doppelgemälde Adam und Eva von Lucas Cranach in ihrer unschuldigen Nacktheit auf.
»Das soll den Sündenfall darstellen?«, amüsierte sich der junge Mann. »Im 16. Jahrhundert war man wirklich sehr prüde, für mich hat das nicht viel Erotisches. Und wenn ich an unserenSündenfall denke: Du hast mir nicht nur einen Apfel angeboten, sondern eher eine sehr reife Pflaume …«
»Ach du wieder! Ich musste doch! Eva hat mir diese höchstkünstlerische Aufgabe gestellt.«
»Die hast du ja mit vollem Körpereinsatz gemeistert!« Er gab ihr einen langen vielversprechenden Kuss. »So ein kleines Zweiglein mit den Feigenblättern hätte mein Verlangen auf dich wohl nicht verbergen können.«
»Da muss ich dir in meiner Erinnerung voll zustimmen. Du hattest mich damit auch sehr geil gemacht.«
»Ja, wir sind füreinander geschaffen!« Daniel glaubte fest daran und wurde traurig, wenn er an den baldigen unvermeidbaren Abschied dachte.
»Schau mal, die Frauen damals haben sich offenbar auch rasiert. Oder zumindest Cranachs Modell. Oder hat er das aus dem Gedächtnis gemalt?«
»Weiß ich nicht, aber offensichtlich gefiel ihm eine blanke Muschi auch. Trotz Feigenblatt ist zu erkennen, dass Eva keinen Busch hat, der müsste noch zu sehen sein.«
Franziska sinnierte: »Das war also die damalige Vorstellung vom Paradies. In unserem Paradies jedenfalls hat es mir sehr gut gefallen.«
»Mir auch, sogar ganz besonders. Und das unabhängig von den sexuellen Aktivitäten, die sich so ergeben haben. Ich meine das alltägliche Leben dort in völliger natürlicher Nacktheit – anfangs fand ich es zwar ungewohnt, aber ich habe mich sehr schnell daran gewöhnt und Gefallen daran gefunden. Ich werde das wohl in Zukunft am meisten vermissen.«
»Ja, es hat etwas. Es ist sehr angenehm und man merkt es bald nicht mehr. Nun, bei uns jungen Leuten kam natürlich noch das besondere Element der sexuellen Anziehung hinzu, dass allem noch einen zusätzlichen Reiz gab. Schade, dass das zu Ende ist. Vielleicht aber kann man versuchen, das irgendwie mal zu wiederholen …«
»Schön wär’s!«

Bald hatten Daniel und Franziska sich an all den vielen Eindrücken satt gesehen. Sie hatten nun schon Stunden hier im Museum zugebracht, die Füße taten weh und sie wussten, dass es insgesamt 50 Ausstellungssäle waren – sowieso nicht zu schaffen.
»Ich glaube, wir haben vorerst genug gesehen«, schlug Daniel vor, »wir sollten gehen und noch etwas von der Stadt ansehen.«
Sie liefen die Piazzale degli Uffzi lang. Bald standen sie erneut vor einer Davidstatue, an der Piazza delle Signoria vor dem Palazzo Vecchio. Dank seiner guten Vorbereitung wusste Daniel, dass dies der ursprüngliche Standort der Statue war, sie aber dort beschädigt worden war, nicht nur durch die Witterung. Deswegen hatte man sie wieder restauriert und ins Innere eines Gebäudes, in die Galleria dell’Accademia, gebracht. »Das hier ist ebenfalls eine Kopie, aber wie das Original aus Marmor.«
Über den Platz der Republik durch die Via Calimala und die Via Por Santa Maria zur Ponte Vecchio. Auf der von vielen Schmuckgeschäften überbauten historischen Brücke musste Daniel viel Geduld aufbringen, denn Franziska fand sehr viel Gefallen an den von Gold funkelnden Auslagen. Sehr bald aber musste sie einsehen, dass die Preise hier nicht für das schmale Budget von Schülern und angehenden Studenten gemacht waren. Das hielt sie aber nicht davon ab, alle Auslagen gründlich zu bestaunen. Gern hätte Daniel ihr ein solches Andenken gekauft, aber das konnte nur ein frommer Wunsch bleiben.
In einer Pizzeria ein paar Ecken weiter hinter der Brücke ruhte das Paar von der Stadtbesichtigung aus. Eigentlich hätten beide unbändigen Hunger haben müssen, denn außer etwas Eis, das sie an einem Stand vor dem Eintritt in die Uffizien gekauft hatten, hatten sie heute nach einem kurzen Frühstück noch in der Kolonie nichts gegessen. Seltsamerweise stocherten beide nur an ihrer Pizza herum, nahmen ab und zu ein paar kleine Happen. Mit traurigen Augen sahen sie sich an, der Appetit war ihnen angesichts des nahenden Abschieds vergangen. Daniel fasste die auf dem Tisch liegende Hand seiner Liebsten und streichelte sie zärtlich. In seinem Blick lag Schwermut, zu sagen wussten beide nichts mehr.

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