In den paar Sekunden, die sie gemeinsam auf der Rolltreppe verbracht hatten, war der dringende Wunsch in ihm entstanden, diese Frau anzusprechen, sie kennenzulernen, sie einzuladen, zu was auch immer, um mit ihr reden zu können, um sie länger betrachten zu können. Aber nun war es zu spät, nun war sie weg, im Gedränge verschwunden, seinen Blicken entzogen. Er ärgerte sich, dass er sie nicht von vorne gesehen hatte, weder das Gesicht noch den Busen. Er betrachtete gerne schöne Brüste und er war überzeugt, dass diese Frau, die von hinten so attraktiv war, einen solchen Hintern hatte, musste auch von vorne ihre Reize haben. Eine attraktive, gut aussehende, junge, dunkelhäutige Frau, ein Typ, auf dem er stand, dazu sicher auch noch charmant und vielleicht nicht einmal abgeneigt, einen Kaffee mit ihm zu trinken. Trotz der leisen Enttäuschung, weil der die Chance nicht genutzt hatte, ihr nachzugehen oder sie zu suchen oder wenigstens zu warten, bis sie die Treppe wieder hinabfahren würde, reichte das kleine Erlebnis aus, um ihn froh zu stimmen. Er hätte doch warten sollen, dachte er, als er schon längst das Kaufhaus wieder verlassen hatte, aber dann redete er sich ein, dass dies den Aufwand doch nicht wert gewesen wäre. Und so endete ihre erste Begegnung, ohne dass sie sich näher gekommen wären.
Doch das Glück meint es gut mit ihm. Durch Zufall trifft er diese Frau ein paar Tage später wieder, diesmal bei Ikea. Er ist gerade damit beschäftigt, einen Hotdog zu essen. Er steht vor einem Fenster in dem großen Eingangsbereich des Möbelladens. Hier zu essen ist eigentlich nicht das, was ihn normalerweise begeistert, seine Ansprüche sind deutlich höher, aber immer wenn er zu Ikea kommt, was selten genug der Fall ist, bestellt er sich einen Hotdog. Die schmecken ihm hier, weil er soviel Zwiebeln und Gurken aufhäufen kann, wie er will und das Ganze noch mit Senf, Ketchup und Mayo bekleckern kann. Er nimmt immer alles und von allem reichlich, um diesem schlaffen Gebilde aus bleichem Teig und rötlichem Wurstersatz wenigstens ein wenig Geschmack zu verleihen. In in dem ohnehin niedrigen Preis, ist sogar noch ein Kaltgetränk inbegriffen. Zwar wäre ihm ein Bier lieber, aber das gibt es hier nicht, und so holt er sich immer die Holunderlimonade, die auch nicht schlecht schmeckt und mit der seinen Pappbecher mindestens dreimal auffüllt. Er steht also an einem dieser hohen, runden Tische und kaut auf dem überladenen Hotdog herum. Er muss aufpassen, dass ihm die Gemüsebeilage nicht herunterfällt und er sich nicht mit dem bunten Aufstrich bekleckert. Kann aber trotzdem aus dem großen Fenster auf den Vorplatz schauen. Er sieht auch den halbvollen Parkplatz, dahinter die Schnellstraße mit ihrem pausenlosen Verkehr, links Teile des Gewerbegebiets, rechts Felder mit Büschen und Bäumen und sogar noch die Autobahn auf einem künstlichen Damm. Er betrachtet die flache, langweilige, fast trostlose Gegend, in die sich kein Schwein verirren würde, wenn es nicht Ikea hier gäbe und den MediaMarkt und so ein Betten- oder Möbel-Dingsda. Er schaut hinaus, weil er nichts Besseres zu tun hat, außer seinen Hotdog zu „genießen“ und sich die Gegend anzuschauen. Auf dem Vorplatz sind nur wenig Leute, doch eine Person fällt ihm sofort auf, eine Frau, die in einiger Entfernung müßig herumsteht, vielleicht auf jemand wartet, sich jedenfalls längere Zeit nicht fortbewegt, den Rücken ihm zugewandt. Sie ist mittelgroß, hat eine ansprechende Figur, dunkle Haut und schulterlange, schwarze Haare und ist einfach gekleidet, ein hellblauer Rock, eine helle Bluse. Einmal dreht sie sich kurz um und er sieht einen Moment lang ihr Gesicht. Es erscheint ihm auffallend hell und, auf die Entfernung gar nicht besonders hübsch, aber sie ist dennoch irgendwie attraktiv. Beim Umdrehen hat sie sogar direkt in seine Richtung geschaut, aber von außen durch die Scheiben konnte sie ihn natürlich nicht sehen und selbst wenn das Fall gewesen wäre, warum hätte sie auf einen älteren Mann aufmerksam werden sollen, der an einem Stehtisch einen Hotdog isst? Warum hätte sie sich ausgerechnet für ihn interessieren sollen? Noch bevor er mit seinem Hotdog fertig ist, geht die Frau weg und verschwindet aus seinem Blickfeld.
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.