Die Schwestern trinken reichlich Milchkaffee, dazwischen auch Cola und essen viele süße Teilchen. Sie gestikulieren viel und reden sehr laut und sehr munter daher, meist mit vollem Mund und in einer Sprache, die er nicht versteht. Es scheint sie nicht zu stören, dass er nicht mitreden kann. Ihm kommt es vor, dass sie ihn zeitgleich akzeptieren und ignorieren. Irgendwann erklärt Nancy, dass Betty nur ein paar Brocken Englisch spricht, sie sei in der Schule zu faul gewesen. Dann erzählt sie die Geschichte mit dem verwechselten Portemonnaie und alle drei lachen sehr laut. Er selbst kommt sich jedoch ein wenig überflüssig vor. Das hat aber auch sein Gutes, denn er kann Nancy wieder aus nächster Nähe und mit großem Interesse betrachten. Nancy ist ohne Zweifel die attraktivste der drei Frauen, eine junge, gut aussehende Frau, die manchmal etwas verloren wirkt, aber den nötigen Halt bei ihren Schwestern findet. Er fragt sich allerdings, ob es tatsächlich ihre Schwestern sind, bei dieser fehlenden Ähnlichkeit. Aber in Afrika, so seine plausible Erklärung, sind die Verwandtschaftsverhältnisse vermutlich nicht immer ganz klar. Auf einmal kommt ihm ein anderer Gedanke. Die Rechnung, die er ja bezahlen muss, dürfte ganz schön happig ausfallen, so wie die Drei zuschlagen. Das Treffen hat sich inzwischen zu einer unerwarteten Einladung zum Mittagessen für drei Personen ausgeweitet, eine Einladung, die er nicht geplant hatte. Er wollte sich ja nur mit Nancy auf einen Kaffee treffen, dafür hätten die paar Euro locker gereicht, die er eingesteckt hatte, und seine Geld- und Kreditkarte hatte er dummerweise zu Hause gelassen. Noch während er sich überlegt, ob sein Geld reichen würde oder nicht und ob die hier, so etwas wie Anschreiben überhaupt machen würden, sagt Nancy ziemlich unvermittelt, weil auf den Tellern immer noch ein paar Teilchen liegen: „let‘s go“. Wohin, will er wissen. „I show you my home. Will you pay for breakfast?“ Das ist keine Frage, er nickt und stellt erleichtert fest, dass sein Geld doch noch reicht, während die Teilchen eingepackt werden.
Weil er nicht mit dem Auto gekommen ist, er zieht es vor wegen des permanenten Parkplatzmangels, tagsüber mit der Straßenbahn in die Innenstadt zu fahren, und so kann er die drei Schwestern auch nicht in ihre Wohnung bringen. Während sie auf den Bus warten, kauft er mit seinen letzten Münzen Fahrkarten aus dem Automaten. Die Schwestern schauen ihm interessiert zu, sie sind erstaunt, dass das möglich und wollen kaum glauben, das es auch erforderlich ist. Sie haben noch nie bezahlt, gesteht ihm Nancy nun schon zum zweiten Mal. Er versucht ihr klarzumachen, dass sie 60 Euro zahlen müsse, wenn man sie erwische, als Schwarzfahrer, als „black driver“. Sie lacht nur und sagt, das könne sie nicht glauben, doch keine 60 Euro für eine Fahrt. Der Bus bringt sie in einen der Vororte, der als sozialer Brennpunkt gilt. Die Häuser sind ziemlich heruntergekommen, auf der Straße liegt viel Unrat herum, die gelben Säcke quellen über, ihr Inhalt ist oft um sie herum verstreut. Es ist wirklich keine schöne Wohngegend, aber in solch einer Gegend landen wohl Menschen, wie die drei Schwestern. Er fragt sich, wie sie überhaupt nach Deutschland gekommen sind und warum ausgerechnet in diese Stadt. Als er später auf dieses Thema zu sprechen kommt, gibt sie sich sehr wortkarg. Sie will über ihre Vergangenheit nicht reden, sagt sie, „a bad time, you know“. Überhaupt redet sie wenig, jedenfalls mit ihm. Sie erzählt nichts von sich, nichts von ihrer Heimat oder Familie und sie will auch nichts über ihn erfahren, fragt nie etwas, und wenn er etwas erzählt, schaut sie ihn höchst desinteressiert an. Nur wenn die Schwestern in ihrer Muttersprache reden, ist auch Nancy sehr gesprächig und er ist erstaunt, wie anhaltend sie dann reden kann. Sie sind in der Schwarzwaldstraße angekommen, ein viel zu schöner Name für diese Straße, und betreten eines der vierstöckigen Häuser. Sie steigen die Treppe hoch bis in den letzten Stock, dort schließt Nancy eine Wohnungstür auf und sie treten ein. In dem kleinen Flur stehen einige Taschen und Kartons herum, an Wandhaken hängen Kleidungsstücke, neben der Wohnungstür drei weitere Türen. Eine führt in die Wohnküche mit Kochzeile und Sitzecke (eine Eckbank, zwei Stühle, dazwischen ein Tisch mit Resopalplatte). Die zweite führt in das Schlafzimmer, in dem ein sehr breites Bett dominiert (er wird später erfahren, dass die Drei tatsächlich zusammen in diesem Bett schlafen), dazu ein kleiner Nachttisch, zwei Hocker und ein Wandschrank mit großem Spiegel auf der Tür, sowie eine Fenstertür für den winzigen Balkon. Dann ist da noch ein Bad mit Waschbecken, Klo und Dusche. Quer durch den Raum sind Wäscheleinen gespannt, sie hängen voller Wäsche. Als er sich später waschen will und pinkeln muss, kommt er nur gebückt bis zur Kloschüssel und muss sich zum Verrichten hinsetzen, was er sonst nie macht, will er seinen Kopf nicht zwischen Höschen, Hemdchen und BHs verrenken.
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