Agnes und ich

Tinas Geschichte - Teil 23

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Agnes und ich

Agnes und ich

Stayhungry

Agnes war stets wunderbar erotisch gekleidet, sehr ästhetisch, nicht billig, nicht vulgär. Auf meine Frage nach der Bezugsquelle empfahl sie mir, doch aus dem hauseigenen Angebot zu wählen. Den weitläufigen Raum neben Agnes Büro eine Kleiderkammer oder einen begehbaren Schrank zu nennen, wäre ein schamlose Untertreibung. Es handelte sich um eine Boutique, in der alles zu finden war, was man oder frau sich zur stilvollen Ausstattung für den Eintritt in eine von Symbolen und Ritualen beladene Welt wünscht. Derartigen Vorgaben und Zwängen wollte ich mich nicht unterwerfen, aber Kleidung ist immer auch ein Ausdruck des Selbstverständnisses und sie kann helfen, den eigenen Standort gegenüber seinem Umfeld zu bestimmen, sich einzuordnen oder individuell abzusetzen, eine gewünschte Rolle zu definieren. Diese Art nonverbaler Botschaften liebe ich, im Alltag wie in der Erotik und ich habe sie immer bewusst eingesetzt. Ich muss heute noch darüber lachen, wie mir damals als Abteilungsleiterin in K.s Laden mit meinem hausbackenen Auftreten alle auf den Leim gegangen sind und wie ihm die Augen herausgequollen sind, als das Kostümchen fiel. Es gab keine zwingende Notwendigkeit, aber ich wollte mich bewusst auch äußerlich so darstellen, wie ich mich sehen will, wo ich in meinem Leben und Lieben hinwill. Diese Veränderung hatte ich bereits im normalen Alltag begonnen. Mein Coiffeur hatte mein Haar für einen wahrhaft fürstlichen Lohn in eine tiefschwarze, wallende Mähne verwandelt, die meinen wiederkehrenden kraftvollen Gefühlen am ehesten entsprach. Die großen Augen – und offenen Münder – der Kollegen, Anwälte sowie der Mitglieder meines Tanzclubs sowie ihr unvermittelt unverhohlenes Interesse ließen mich mittlerweile nur noch schmunzeln. Als ich erkennbar angeschlagen war, eine abservierte Ehefrau, da glaubte mancher, sich mir gnädig zuwenden zu müssen. Auch wenn ich dem nicht nachgegeben hatte, es hatte mich zusätzlich verletzt. Mit warmherzigem, unausgesprochenem Spott zeigte ich ihnen nun die kalte Schulter, die aber für mich genuss- und für sie leidvoll.

Hier nun im Reich der dunklen Lüste wählte ich die üblichen Accessoires, so weit sie meinem Geschmack entsprachen. Dinge, die eindeutig besetzte Signalfunktion im Bereich der klassischen Sado-Maso-Szene besaßen, ließ ich weg. Auch wenn ich zunächst nur allein sein wollte, sollten Missverständnisse jeglicher Art vermieden werden. Ich will nie mehr auf eine Rolle festgelegt werden. Die Masken stießen mich ab, ich hasse sie. In mein in der zügellosen Zeit mit Juan wurzelndes Entsetzen vor dem anonymen und gesichtslosen Gegenüber mischte sich die Fassungslosigkeit über die Lächerlichkeit eines derartigen Auftretens, mag es auch psychologisch noch so gut erklärbar sein. Ich könnte bei meinem Gegenüber nur die schmückende Augenmaske akzeptieren, die die Gesichtszüge unbedeckt und Emotionen erkennen lässt, die dem Wunsch des Trägers nach Anonymität also nur insoweit entgegenkommt, als es diesen symbolisch, nicht aber tatsächlich umsetzt. Mochte mir hier auch einmal mein Gerichtspräsident gegenübertreten, so wollte ich ihm ins Gesicht sehen können. In das Dunkel der Binde, in die Hilflosigkeit der Fessel würde ich mich nur noch begeben, wenn ich dem oder den Menschen, die für mich Sorge tragen, bedingungslos vertrauen kann. Das Nein war nun ein wesentlicher Bestandteil meines Instrumentariums und wenn ich mich darbieten sollte, dann wäre es niemals mehr Unterwerfung, bestenfalls dem äußeren Anschein nach. In Wahrheit gebiete ich und übertrage umfassende Verantwortung für mein Empfinden, mein Erleben, meine Erfüllung, mein Wohlergehen. Das war mein fester Vorsatz.

So stand ich vor der Spiegelwand, stolz, zufrieden. Ich trug hohe, bis an die Oberschenkel eng geschnürte Stiefel, einen anschmiegsamen Lederslip, bei dem sich die Bereiche des Schritts und der Pofalte separat abnehmen ließen und diese großzügig und nicht mit schmerzhaftem Reißverschluss freigeben konnten, eine Lederkorsage, die meine bloßen Brüste umfasste und stützte, die Brustwarzen nur von kleinen Silberplatten bedeckt, die von schmalen Lederstreifen an der festen, formenden Büstenhebe gehalten wurden, auch diese edlen Applikationen abnehmbar, um meine Fraulichkeit gänzlich darbieten zu können. Eine Amazone stand mir im Spiegel gegenüber, die das kraftvolle wilde Leben und Lieben sucht und wahrhaft nicht mehr missverstanden werden konnte. Gut hätte sich noch eine Reitgerte gemacht in meiner Hand, aber ein aktiver Wunsch dergleichen wohnte nicht in mir. Ich war erregt vom Genuss meiner selbst, noch bevor irgendetwas geschehen war.

*

Meine ersten Besuche waren noch zögerlich. Ich war froh, dass Agnes selbst Zeit für mich hatte, ihr fühlte ich mich vertraut. Neuland zu betreten, reizte mich nicht. Hier fühlte ich anders als in jüngeren Jahren. Ich schätzte dies umso mehr, als ich mir vorstellen konnte, dass gerade Männer ihr bedingungslos verfallen konnten und nur zu ihr wollten. Ich sprach sie darauf an und sie meinte nur, die Zeit wird kommen, dass du mehr und anderes willst, bis dahin begleite ich dich. Ich liebte es, ihr gegenüber auf dem Ledersofa zu sitzen und mich mit ihr auszutauschen. Trotz ihrer stillen und grundsätzlich diskreten Art erzählte sie mir auch von sich selbst. Sie bewies mir die besondere Vertrautheit unseres Verhältnisses, wenn sie mir Persönliches offenbarte, was eigentlich ein Tabu für ihren Geschäftsbereich war.

Madame Agnes hieß tatsächlich Agnes. Weil alles im Gewerbe sich slawisch, fernöstlich oder eben französisch gab, hatte sie beschlossen, sich einfach nach ihrem Namen zu nennen. Sie war gelernte Physiotherapeutin, hatte das Abitur nachgemacht und eine Zeitlang Kunst studiert. Sie hatte keine sadistische oder masochistische Neigung, nur eine Liebe zur ästhetischen Inszenierung von Leidenschaft, Verlangen und Ekstase sowie ein außergewöhnliches Gespür für das, was Menschen wirklich bei ihr suchen, die intensive Hinwendung zu ihrer Seele über den Weg der Verehrung des Körpers. Ihre anatomischen Kenntnisse ließen sie stets das rechte Maß finden, und im Banne ihrer nie von irgendwem in Frage gestellten Autorität gedieh eine Atmosphäre uneingeschränkter Achtung vor dem anderen. So fanden sich unter ihren Klienten kaum durchgeknallte Spinner, die sich für abgründig hielten, nur weil sie sich niveaulos gehen ließen. Die meisten waren nachdenkliche Ästheten, die eine Grenze erreichen oder überschreiten wollten. Mit Gewalt oder Erniedrigung hatte dies nicht viel zu tun.

Ich fragte mich, was ihre Anziehung auf mich ausmachte, warum ich ihre Nähe so suchte. Natürlich hatte ich bereits als Studentin in Burgund mit meiner geliebten Alix deren Leitspruch "Ein bisschön bi schadöt nie" auch für mich entdeckt und immer wieder mit Freude ausgelebt, zuletzt sogar mit Jacqueline in der verzweifelten Hoffnung, einen gemeinsamen Weg zu finden für sie, Albert und mich. Aber das war bei mir nicht wirklich eine profunde homoerotische Neigung. Nur ist eben jeder Mensch aus einer Frau geboren, und so ist wohl das Fühlen einer Frau für eine Frau etwas anderes als umgekehrt für heterosexuelle Männer untereinander. Ich jedenfalls empfand Agnes gegenüber tiefes, bedingungsloses Vertrauen, und sie war auch nicht verseucht von diesem göttlichen Gift Testosteron, das nicht nur männlich wildes Verlangen, sondern leider auch Aggressivität und Brutalität befördern kann. Doch es war mehr als das, es war ihr Blick, der einer kontemplativ Liebenden. Plötzlich war ich hellwach. Obwohl ich nicht wusste, was schlimm daran wäre, so beäugte ich sie dennoch für ein Moment misstrauisch, wahrscheinlich, weil ich derzeit keinen Bedarf an tragischen Momenten hatte und sie, meinen Quell der Linderung jeglicher Seelenqual zuallerletzt hätte verletzen wollen.

Sie bemerkte mein Grübeln sofort und fragte sanft, aber bestimmt nach dem Grund. Es hatte keinen Sinn auszuweichen, bisher war unbefangene Offenheit zwischen uns gewesen. Die Freundschaft, wie ich diese Beziehung inzwischen empfand, musste das aushalten. Ich fragte sie also nach ihren Gefühlen für mich. Mit einem leicht bitteren Lächeln antwortete sie, ich hätte sie durchschaut. Sie gestand, sie habe eine bisexuelle Neigung, wobei sie Frauen bevorzuge. Damit erschreckte sie mich nicht, denn mittlerweile konnte ich mich nach meinen sinnlichen Erfahrungen ja gefühlsmäßig sehr gut in dieses Lieben hineinversetzen. Aber das konnte nicht alles sein. Und? bat ich um weitere Aufklärung. Sie verkniff ein wenig den Mund, wandte sich ab und trat an das Fenster zum Innenhof, in dem in einem liebevoll angeordneten Feng-Shui-Arrangement leise ein kleiner Brunnen plätscherte.

Es kommen und gehen hier viele Menschen, Männer und Frauen, Verhärtete und Sensible. Die einen beten mich an, die anderen nehmen mich als Person kaum wahr. Als du vor vielen Jahren mit Margarete hier warst, hattest du dich etwas abgesetzt von den anderen. Du hattest dich zunächst dem Spiel nicht untergeordnet, weder eine nahe liegende Rolle angenommen noch vorgegeben, souveräner zu sein als es in dir selbst aussah. Ich achte es nicht gering, wenn Menschen, die zu mir kommen, andere sein wollen als sie sind, auch das ist ihr Recht, so wie es draußen den Karneval, das Fußballstadion und den Musik-Club dafür gibt. Ich hatte die ganze Zeit einen aufmerksamen Blick auf dich und merkte sofort, wie die Panik in dir hochstieg. Ich habe geahnt, dass da eine schwere Last in dir verborgen war. Deswegen habe ich dich aus der Schusslinie genommen, mich in die Mitte des Geschehens gedrängt, obwohl ich das eigentlich üblicherweise nicht machen will, um nicht das zu verhindern, was zwischen meinen Gästen ermöglicht werden soll. Ich habe gespürt wie erleichtert und dankbar du warst. Ich habe verstanden, dass du die Gelegenheit zur Flucht genutzt hast, die ich dir verschafft hatte. Aber ich habe es sehr bedauert, dass du gegangen und nicht mehr zurückgekehrt bist. Du hast mir sehr gut gefallen. Ich habe liebevolle Gefühle empfunden, aber ich weiß nicht, ob du das richtig einordnen kannst. Es passiert mir gelegentlich, dass ich so empfinde und es ist meist etwas, das nicht bekannt wird und keine konkreten Folgen hat, ein Begehren ohne Absichten. Manches, dass ich gewagt hatte, ging schief und hatte Verletzungen zur Folge, die will ich nicht. Und was ich hier erlebe, füllt mich auch sehr aus.

Was weiter geschieht, überlasse ich meist einfach dem Schicksal. Du bist nicht wieder gekommen, das war auch eine Aussage. Und als ich Margarete einmal nach dir fragte, hat sie mir von deinem neuen Glück erzählt. Dein Gesicht habe ich aber nicht vergessen, und mit den inneren Bildern anderer lieber Menschen in mir habe ich es ein wenig lebendig gehalten. Dass du nach Jahren selbst hierher zurückgefunden hast, habe ich zunächst nur ein wenig überrascht zur Kenntnis genommen. Im Gespräch mit dir war es dann um mich geschehen. Ich weiß nicht, ob dich dies schreckt und mir persönlich wäre es lieber gewesen, wir hätten geschwiegen. Aber du hast mich gefragt und ohne Antwort wäre etwas zwischen uns gestanden. Keine Angst, ich habe keine Ansprüche an dich, doch es berührt mich sehr, dich auf deinem Weg zu begleiten. Es wird nicht den ganzen Weg entlang sein, das ist mir mehr bewusst als dir. Nun musst du sehen, wie du mit diesem Bekenntnis umgehen willst.

Noch nie hatte ich eine so in sich ruhende Liebeserklärung bekommen, ohne jegliche Erwartung und doch aus einer Position der Stärke heraus. Noch während sie sprach, war ich aufgestanden und zu ihr ans Fenster getreten. Ich schlang meine Arme von hinten um sie und blickte über ihre Schulter nach draußen in dieses lebendige Bild einer Miniaturlandschaft. Es war mein erster liebender Kuss mit einer Frau, einer, der nicht aus der rauschhaft entfesselten Sinnlichkeit geboren war, wenn Damen sich eines Herrn annehmen, oder aus einer beschwingten frivolen Anwandlung heraus. Ich empfand sie nur als Person. Ihr Auftreten mir gegenüber machte es für meine Gefühle schwer, vorrangig ihre Geschlechtlichkeit wahrzunehmen. Und es spielte auch keine Rolle. Sie war nur Mensch, sinnlich liebender, rücksichtsvoller, einfühlsamer, begehrenswerter Mensch. Auch mich selbst fühlte ich nicht als Frau, nur als kraftvoll, sanft Liebende. Was nun folgte, war einfach nur Zärtlichkeit, kaum nötig es zu beschreiben, denn alle zärtlich Liebenden sind sich hier eins. Es war in dieser Nacht nicht nötig, den Schmerz zu bekämpfen, einen solchen fühlte ich nicht, nur Glück und Nähe. In ihren Armen ließ ich meinen Tränen freien Lauf, solchen, die sich in flüchtigen Momenten intensiven Glücks ihr Recht verschaffen, und auf meiner Haut mischten sich die meinen mit ihren.

*

Es war keine Katerstimmung, die ich nach der unerwarteten Entwicklung meiner Liebeslage empfand. Es war eine unwirkliche Zufriedenheit, die anhielt und mich in manchen Situationen des Alltags nur noch amüsiert den Kopf schütteln ließ. Unvermittelte Werbungsversuche selbstbewusster verheirateter Kollegen zählten hierzu oder bedauernde Äußerungen zum Scheitern meiner Ehe. Doch auch sonst befand ich mich in einer eigenartigen Gefühlslage. Sah mich ein sympathischer Mann mit Interesse oder erkennbarem Begehren an, so fühlte ich mich schon hingezogen, aber gleichzeitig schrillten alle Alarmglocken. Ich konnte mich nie geschmeichelt diesem Kompliment hingeben, hatte sofort diese Bilder eines mühsamen Aufeinander Abstimmens zweier beladener Biografien, zweier nur teilweise harmonierender Lebens- und Liebesweisen vor Augen.

An Agnes Seite hatte ich eine andere Art von Erfüllung gefunden. Ich war ungebunden und doch geborgen, konnte genießen ohne ein Netz von Kompatibilitäten in vielen Lebensbereichen prüfen und instand halten zu müssen. Und in entfesselter dunkler Lust, die ich mir noch am ehesten unbeschwert von Erwartungen, Ansprüchen und Lebensentwürfen vorstellen konnte, schreckte mich die Vorstellung, mich in die Hände eines Mannes zu begeben, Juans Schatten war mächtig. Agnes aber hatte meine Traurigkeit getröstet und meine Einsamkeit vertrieben. Bei ihr war ich aufgeblüht, fröhlich wie lange nicht mehr. Meine Einsamkeit im normalen Leben war verschwunden, denn die Zeit allein konnte ich nun wieder ertragen wie früher. Jetzt jemand lieben, jemand berühren, jetzt nicht mehr denken, nur noch spüren – so singt Ina Deter in Jetzt und so war mein Empfinden und mein Lieben. Ich dachte nicht nach über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer solchen Liebe. Ich hinterfragte nichts, ich empfing es als ein Geschenk und gab es zurück, fühlte mich nicht eingeschränkt, sondern beschützt und gefördert. Ich kann nicht einmal sagen, ich dachte nicht an ein Morgen, denn ich dachte sehr oft daran, wann ich sie wiedersehen könnte und ich drängte darauf, nicht sie. Sie war weise und beherrscht, sanft und zärtlich. Es war ihr gar nicht anzumerken, ob sie tapfer war, denn sie wusste, ich würde ihre Gefühle vielleicht nie in der Weise erwidern können, wie sie für mich empfand, auch wenn es mich zu ihr hinzog. Sie hatte die Größe, mich zu lieben ohne Hoffnung auf vollendete Erfüllung und meine Freiheit auch in ihrem Innersten zu achten. Ich sehnte mich oft danach, noch tiefer zu empfinden. Und stand wieder und wieder vor ihrer Tür.

Begonnen hatte es, weil sie sich meiner angenommen hatte und auf der Ebene der Sinnlichkeit war sie, was Margarete, unsere gemeinsame, verstorbene Freundin, auf der menschlichen Ebene gewesen war. Und nun fühlte ich, die Suchende, eine unvollkommene Liebe, deren Vollendung ich womöglich mehr ersehnte als sie, die Wissende. Ja, wirklich, kein Mann, der um mich warb, konnte dies in mir bewirken und dass ich verwirrt war, trieb mich nur öfter in ihre Arme, Hände, Lippen. Wir taten Dinge, die Liebende tun, und solche, die nur jene tun, die mehr wollen, Dinge, die ihr vertrauter waren als mir. Aber bei ihr hatte ich keine Angst, keine Scheu und keine Abscheu. Der Schauer der Erregung war gefühlvoller bei ihr als mit vielen meiner bisherigen Lieben und ihre Augen spiegelten eine warmherzige Stärke, nicht die erobernde Kraft. Wir buhlten darum, uns jede der anderen ganz zu unterwerfen und versuchten doch nur einander glücklich zu machen. Aber sie war die Geschicktere, wusste unbemerkt meine Wünsche zum Leitfaden zu machen, nahm sich immer zurück, indem sie die Führung übernahm und mich doch nur dorthin geleitete, wohin es mich zog.

In diesen Wochen der Sinnlichkeit konnte ich sie nur ein einziges Mal zu einem Restaurantbesuch überreden. Sie war charmant und nicht nur mein Star des Abends. Obwohl nicht auffällig gekleidet, wirkte ihre Aura und die Blicke vieler Männer wanderten zu unserem Tisch und hin und her von ihr zu mir und zurück. Sie wies mich genussvoll auf diesen Umstand hin, nicht damit ich es bemerkte, sondern einfach, um es auszusprechen, damit die Befriedigung, begehrt zu werden, noch zunahm. Wir kicherten ohne jeglichen Spott und als wir aufbrachen, mussten wir tatsächlich noch Avancen für den angeblich noch jungen Abend zurückweisen. Nur wenige Male kam sie mit in meine Wohnung, und sie gab mir keinen Anlass zur Verstimmung. Aber ich wurde unsicher und spürte, dass unsere Welten doch sehr getrennt waren. Sie schien zu wissen, was in mir vorging und tat genau das Richtige. Sie hakte mich unter, zog mich zur Tür und wollte shoppen gehen, so richtig einfach wie Freundinnen. Sie vertrieb meine Trübsal und der Nachmittag war heiter und unbeschwert. Im Café, als wir einige Zeit schweigend saßen und sie die Umgebung musterte, studierte ich sie.          

Ich musste akzeptieren, dass ich in ihre Arme flüchtete und nicht sie in meine. Und mir wurde klar, dass genau das auch der Grund war, warum ich so fühlte. Denn wäre es anders gewesen, hätte ich sie abgewehrt wie die Männer, vielleicht heftiger noch. Dass es so war wie es war, war die glückliche Fügung. Dafür empfand ich Dankbarkeit und fast hätten sich Tränen der Rührung in meine Augen geschlichen. Sie bemerkte, wie meine Augen auf ihr verweilten, stellte aber nicht diese unsägliche Frage, die Liebende viel zu oft stellen und den Moment zerstören, nämlich, was denn sei. Sie wusste, was war und sie ließ es einfach zu. Dort im Café wurde mir bewusst, was ein Engel ist, diese fleischliche Verkörperung eines überirdischen Ausmaßes von Warmherzigkeit, Liebe, Menschlichkeit.

Sie war meine Götterbotin.

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