Ahrweiler - Teil III

oder: das Buch des Lebens

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Ahrweiler - Teil III

Ahrweiler - Teil III

Gero Hard

Für Imkes Eltern war es wegen der vorangeschrittenen Aufräumarbeiten unvorstellbar, wie es hier ausgesehen haben musste. Ich allerdings, hatte ganz andere Bilder im Kopf.Im Krankenhaus erfuhren wir, dass Imke bereits vor ein paar Tagen entlassen worden war. Ich wusste, wo ich sie finden konnte. Ich parkte meinen Audi vor dem verwahrlosten Grundstück von Susanne. Ich sah gerade noch, wie die Gardine wieder vor ein Fenster fiel. Sie hatte uns also schon bemerkt. Was blieb, war die Frage, ob sie uns aufmachen würde. Mich konnte sie ja vielleicht noch erkannt haben, aber die anderen Personen waren wildfremde Menschen für sie.

An der Haustür hing eine alte Glocke. Eine andere Klingel gab es nicht. Als ich das letzte Mal hier war, hatte der Abend den Tag bereits abgelöst und das Haus in ein schummeriges Licht gehüllt. Doch jetzt zeigte sich der desolate Zustand des Gebäudes. Die Fenster waren noch einfachverglast und die blassblaue Farbe der Haustür schon stark verwittert. Kaum zu glauben, dass es möglich war, Wind, Wetter und vor allem den Wind draußen zu halten.

Susanne öffnete bis die innen angebrachte Verschlusskette straff gespannt war. Ihr Blick war betont misstrauisch, fast ängstlich, auf jeden Fall unsicher. „Hallo Susanne, erkennst du mich noch?“ Ich konnte sehen, dass es in ihrem Kopf ratterte. „Ich bin Florian, der Retter von Imke und dies sind ihre Eltern. Wir wollten sie besuchen. Dürfen wir reinkommen?“Sie entspannte nicht wirklich. „Äähhmm … ich habe nicht aufgeräumt. Ist gerade ungünstig.“

„Hör zu Susanne. Uns ist egal, wie es bei dir aussieht. Wir sind nicht vom Ordnungsamt. Wir sind den weiten Weg gekommen, um Imke zu sehen. Also?“

Sie nickte nur kurz und schloss die Tür, um die Kette zu lösen. Dann schwang die Tür auf und gab nicht nur den Weg ins Innere, sondern auch den Blick auf ein unvorstellbares Chaos frei. Ich hatte schon einige unaufgeräumte Wohnungen und Häuser bei meinen Einsätzen gesehen. Aber das hier, verschlug selbst mir die Sprache.Bei mir war es auch nicht immer perfekt sauber, schon wegen meiner vielen Arbeitsstunden. Und doch bemühte ich mich, unterstützt von einer Reinigungsfrau, immer um eine gewissen Grundsauberkeit. Ich konnte jederzeit Besuch empfangen, ohne, dass mir etwas peinlich sein musste.

Susannes Wohnung war weit von einer Grundsauberkeit entfernt. Müsste ich den Zustand beurteilen, würde ich den Begriff ‚Messi‘ benutzen. Überall lag Müll oder stand benutztes Geschirr herum. Es stank nach verschimmeltem Müll und Essenresten. Maria hielt sich ihre Hand vor den Mund. Das blanke Entsetzen hatte sie erfasst. Werner sah sich mit offenem Mund um.„Suse, wer ist es?“, hörten wir Imkes Stimme aus einem Zimmer. Ich wusste, dass dort das Wohnzimmer war. Und noch bevor Susanne antworten konnte, sagte Maria laut: „Imke, wir sind es.“

„Mama?“, ihre Stimme klang verwundert. Maria ging auf den Raum zu. Wir hörten, dass sich jemand mühsam vom Sofa erhob. Maria war schneller und hatte ihre Tochter längst gefunden, als wir anderen auch ins Wohnzimmer kamen.Zwei weinende Frauen, die sich fest aneinander klammerten, dominierten das Bild. Der Müll und der üble Geruch rückten in den Hintergrund.Werner ging langsam auf die Frauen zu. Auch bei ihm fielen mir die feuchten Augen auf. Klammheimlich drehte er sich zur Seite, um sich die Tränen aus den Augen zu wischen.Imke hob irgendwann den Kopf und sah mich mit ihren rot verweinten Augen an. Fast unmerklich schüttelte sie den Kopf, während ihre Lippen ein lautloses ‚Danke‘ formten. Und trotzdem hatte ich gerade das Gefühl, wie ein fünftes Rad am Wagen, überflüssig zu sein. Ich ging deshalb nach draußen und setzte mich auf die kleine Treppe, die zur Haustür führte und zog frische Luft in meine Lungen. In diesem Moment zweifelte ich daran, dass es eine gute Idee war, hierher zu kommen.Ich saß wohl etwa 10 Minuten da, in meinen Gedanken gefangen und starrte Löcher in die Luft. Das Rauchen hatte ich mir schon vor Jahren abgewöhnt, aber dieser Moment wäre perfekt für eine Zigarette gewesen. Und doch war ich froh, dass ich von dem Zeug losgekommen war.

Ich ließ der Familie ihre gemeinsame Zeit. Bestimmt hatte sich Susanne dazugesetzt, um ja nichts von dem Gespräch zwischen Eltern und Tochter zu verpassen. Unmöglich sowas, wie konnte man nur so neugierig sein?!

Einen kurzen Augenblick nachdem ich an eine Zigarette dachte, kam Maria zu mir. Ihre Augen waren immer noch rot vom Weinen. Nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass sie ihre Tochter schon viele Jahre nicht gesehen hatte und sie beinahe verloren hätte.

Sie stand hinter mir und legte mir ihre Hand auf die Schulter: „Florian, du hattest recht mit deinem Plan, sie hier wegzuholen. Aber sie ist stur und will nicht mitkommen. Das Einzige, worum sie bittet ist, mit ihr zum Friedhof zu fahren. Sie möchte die Gräber ihrer Familie besuchen. Du hast so ein großes Auto, Florian, würdest du sie fahren?“

Ich zögerte keine Sekunde und ging mit Maria ins Wohnzimmer zurück. „Und?“, fragte Werner.„Er macht’s.“, antwortete Maria. Imke und ich hatten bis dahin noch kein einziges Wort miteinander gewechselt. Nur ihr liebevoller Blick, vorhin bei der Begrüßung ihrer Mutter, war mir unter die Haut gegangen.

Susanne hatte von irgendwoher einen alten Rollstuhl ins Wohnzimmer hereingerollt. Eine Leihgabe des Krankenhauses, wie ich später erfuhr. „Ich möchte, dass Florian mich da hineinhebt.“, bestimmte Imke. Werner, der bereits einen Schritt auf sie zugemacht hatte, wich zurück.

Ich glaube, das ist jetzt der geeignete Augenblick, euch Imke etwas näher zu bringen. Es war logisch, dass sie sich mit den Jahren verändert hatte. Ich kannte sie mit dem Körper eines Teenagers. Alles an ihr war fest und trainiert. Ihre Brüste wussten noch nichts von Schwerkraft und standen mit leicht nach außen zeigenden Brustwarzen prall nach vorne ab. Sie hatte schon damals keine riesige Brust. Ich erinnere mich an einen BH, den ich damals richtig schön fand. Es war ein roter Spitzen-BH, in dem mir ein kleiner Einnäher die Größe 75B verriet.Ich fand ihre Brüste schon immer toll. Natürlich war es vorrangig ihr Charakter, in den ich mich damals zuerst verliebte. Doch nach ihrem Charakter, der Schönheit ihres Gesichtes und ihrer Figur, standen ihre Möpse bei mir ganz klar auf Platz vier der Liste ihrer beeindruckenden Attribute. Jetzt, 10 Jahre und eine Schwangerschaft später, war ihre Brust etwas größer, vielleicht Ende B-Körbchen. Ihr Becken war etwas breiter geworden, aber sie war immer noch gertenschlank, mit einer schmalen Hüfte. Ihre Haare waren, wie damals, leicht rötlich wie ein Fuchsfell und etwas mehr als schulterlang. Sie hatte feine Gesichtszüge mit ausgeprägten Wangenknochen und perfekt in Form gebrachte Augenbrauen.Als ich sie das letzte Mal bewegen musste, war sie von einer dicken Dreckschicht überzogen. Aber selbst im Hohlraum konnte ich ihre schlanken Beine bewundern. Sie hatte sich über die Jahre Mühe gegeben, sich in Form zu halten und es war ihr bestens gelungen.Ich stellte mich neben sie und sah sie an. Unsere Blicke trafen sich und in ihren Augen sah ich etwas, was ihr bei meinem letzten Besuch verloren gegangen war, der Glanz in ihren Augen.

„Bereit?“, fragte ich sie. Sie lächelte mich an und streckte mir ihre dünnen Arme entgegen. „Bereit!“, antwortete sie mit fester Stimme. Sie drückte sich so gut sie konnte etwas von der Couch nach oben, so dass ich meinen Arm um ihre Hüfte legen konnte. Den anderen schob ich auf Höhe ihrer Knie unter ihre Beinen hindurch.

Ihre Arme klammerten sich um meinen Hals, als ich sie mit einem kurzen Ruck hochhob. Ich wusste, dass Imke eine sehr schlanke Person war und nach den letzten Wochen sowieso. Trotzdem war ich überrascht, wie leicht diese zierliche Person war. Es fühlte sich gut an und erinnerte mich sofort an alte Zeiten, als ich sie so auf dem Arm hatte. Ich spürte ihren Busen an meiner Brust und auch das fühlte sich gut an. Ich genoss den Augenblick, als sich dieses zarte Geschöpf an mich schmiegen musste. Und ich hatte das Gefühl, es ging ihr ähnlich. Sie war keineswegs steif in ihrer Haltung, sondern weich und anschmiegsam.

Die ganze Zeit sah sie mir in die Augen. Selbst als ich sie in den Rolli gesetzt hatte, blieben ihre Hände hinter meinem Nacken verschränkt, ihr Blick in meinen Augen versunken: „Hallo Flo, es ist so schön, dass du da bist. Und danke, dass du mir meine Eltern mitgebracht hast.“

Ihre Stimme war dicht an meinem Ohr zu einem Flüstern geworden. „Ich habe dich vermisst.“, antwortete ich ihr und gab ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. Sie schloss die Augen und ich konnte sehen, dass sich auf ihren Armen eine Gänsehaut gebildet hatte. „Ich habe dich auch vermisst, Flo.“Susanne wollte nicht mit zum Friedhof. Ich konnte nicht behaupten, dass ich deshalb böse war. Im Gegenteil, so hatten wir die Chance, eine Weile mit Imke allein zu sein. Und wenn es einen Grund gab, warum Imke uns gegenüber nicht ehrlich sein konnte, wenn Susanne im Raum war, dann konnte sie wenigstens jetzt ihrem Herzen Luft machen.

Imke aus dem Rolli zu heben, war nicht ganz leicht, weil die Lehnen relativ eng an ihrem Körper waren. Ich musste sie deshalb am Oberkörper umfassen. Wieder hatte sie einen Arm um meinen Hals gelegt, um mich zu unterstützen.

Und doch drohte sie mir aus den Händen zu rutschen. Ich faste reflexartig nach und landete mit meiner linken Hand voll auf ihrer Brust. Sofort schob ich panisch meine Hand nach unten und zeitgleich konnte ich fühlen, wie mir die Hitze ins Gesicht schoss. Ich dachte nur: ‚Ok, das war‘s jetzt, gleich kriegst du voll eine gepfeffert.‘

Sie sah mich nur an und grinste überlegen: „Frechdachs.“, flüsterte sie mir ins Ohr. Da hatte ich wohl ziemliches Glück gehabt, dass sie mir nicht böse war. Warum auch, ich konnte ja schließlich nicht wirklich was dafür. Sie sah mir wohl an, dass es mir peinlich war, sie dort angefasst zu haben.„Hey Flo, es ist alles noch dran und es war ja auch nicht das erste Mal, dass du sie in der Hand hattest. Mach dir keinen Kopf deshalb. Sowas kann passieren.“ Dann legte sie eine Hand auf meine Wange und gab mir einen Kuss auf die Lippen.Der Kuss verwirrte mich! Er war ungewöhnlich sanft für einen kurzen, freundschaftlichen Kuss. Dazu ihr tiefer Blick in meine Augen …! Ich konnte das nicht einordnen, doch in diesem Augenblick hätte ich nichts lieber getan, als sie an mich zu ziehen und diesen Kuss fortzusetzen.„Flo, kannst du bitte an meinem Haus vorbeifahren oder was davon übrig geblieben ist?“ Ich nickte nur und dachte mir meinen Teil. Sie hatte keine Ahnung, was auf sie zukommen würde.Ich hielt an der Stelle, an der wir vorhin schon stehen geblieben waren. Imke starrte aus dem Fenster und hielt erschrocken die Hand vor den Mund. Dicke Tränen liefen über ihre Wangen und hinterließen eine feuchte Spur.

„Oh, mein Gott,“, schluchzte sie, „da ist ja gar nichts mehr stehengeblieben. Und hier war ich …?“

„Verschüttet. Ja genau. Hier habe ich dich ausgegraben.“ Imke war still geworden. Was blieb, war ein leises Schluchzen. Im Rückspiegel sah ich, dass sie im Sitz zusammengesunken war. Wie ein Häufchen Elend saß sie da. Damit war auch der letzte Funken Hoffnung in ihr erloschen, noch etwas aus ihrem alten Leben vorzufinden.Am Friedhof dann der zweite Schock für sie. Niemand hatte sich um die Grabstellen gekümmert, wer auch, während Imke mit dem Gips zum Liegen verdammt war. Die Anwohner hatten genug eigene Probleme, als dass sie sich noch mit fremden Grabstellen eine zusätzliche Bürde auferlegen konnten.

Auf den Gräbern, auf denen sich jede Menge Unkraut ausgebreitet hatte, erinnerten nur kleine Holzkreuze mit dem Namen Lennart Wahlers, bzw. Markus Wahlers an die Verstorbenen.Imke stand mit ihrem Rolli am Grab ihres Sohnes. Ich hatte sie neben das Kreuz gefahren. Sie zog es aus der Erde undküsste es lange. Mit gebrochener Stimme flüsterte sie: „Ruhe in Frieden, mein geliebter Sohn, mein kleiner Schatz. Sei deinem Papa nicht so böse, er konnte nicht anders. Schade, dass du den Flo nicht mehr kennenlernen durftest. Ihr hättet euch bestimmt gemocht. Ich werde dich so vermissen, Lenni. Ich hätte gerne noch so viel mit dir erlebt. Ich werde dich niemals vergessen. Niemals, hörst du!“ Dann steckte sie das Kreuz zurück in den Boden.

Am Grab ihres Mannes murmelte sie nur: „Markus, ich weiß, er war nicht dein leiblicher Sohn. Aber bitte pass weiter auf ihn auf, er ist doch noch so klein.“ Maria und Werner hatten sich neben ihre Tochter gestellt. Maria hielt die Hände ihrer Tochter und Werner hatte seine Hand auf ihre Schulter gelegt.

Ich glaube, das war der Moment als Imke endgültig realisierte, dass ihr wirklich nichts geblieben war. Wir ließen ihr den Moment der Trauer. Sie war in Gedanken versunken und später hörten wir sie ein leises Gebet sprechen.„Ich möchte hier weg!“, sagte Imke dann plötzlich. „Weg vom Friedhof!“ „Nur vom Friedhof?“, fragte Werner.„Ja. Nur vom Friedhof. Hier liegt meine Familie, ich kann sie nicht allein lassen.“

„Aber Kind, hier ist dir nichts geblieben, komm doch mit uns nach Hause.“, flehte Maria ihre Tochter an.Imke schüttelte nur mit dem Kopf. Auch, dass ich sie an mein Angebot erinnerte, konnte sie nicht umstimmen. Sie wollte nicht. Entsprechend enttäuscht fiel die Verabschiedung aus, als wir sie in Susannes Müllhalde zurücklassen mussten.

Imke war das Thema des Abends, als ich mit ihren Eltern im Hotelrestaurant saß und wir bei einem leckeren Essen mit einem Glas Rotwein den Abend ausklingen ließen. Für mich war es im Grunde wie schon beim letzten Abschied von Imke. Ihre Eltern waren, wie ich, zwiegespalten. Einerseits konnten wir ihre Einstellung verstehen, weil sie konsequent war. Aber sie war eben auch ein großes Stück unvernünftig.Wir verabredeten uns zum Frühstück, um dann rechtzeitig den Rückweg anzutreten und unsere gemeinsame Mission für gescheitert zu erklären.

****

Die Dusche im Hotelzimmer half mir, meinen Kopf ein wenig freizumachen und der Wein beim Abendessen, sorgte für die nötige Bettschwere. Ich freute mich darauf, in die dicke Decke eingekuschelt, zu entspannen.

Ich drehte mich auf die Seite und schloss die Augen. Während ich damit beschäftigt war, Schafe zu zählen, begann mein Hirn an Imke zu denken.

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