Ahrweiler - Teil III

oder: das Buch des Lebens

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Ahrweiler - Teil III

Ahrweiler - Teil III

Gero Hard

Unsere Abreise verzögerte sich um einen Tag. Aber letztendlich waren wir alle heilfroh wieder nach Hause zu fahren.Wir waren mit unserer Leistung zufrieden und die örtlichen Leiter der Hilfsorganisationen waren es auch. Bürger kamen zu uns, bedankten sich, umarmten uns, gaben uns Geschenke. Das Wenige was ihnen geblieben war, versuchten sie auch noch mit uns zu teilen.

Wir lösten unser Lager auf und sortierten die Feuerwehrwagen in der Kolonne ein. Mit einem weinenden und einem lachenden Auge fuhren wir aus dem Ahrtal in Richtung Heimat. Dieser Einsatz hatte tiefe Spuren in unserer Psyche hinterlassen. Wir hatten Bilder gesehen, die wir wohl bis zu unserem Ende nie wieder vergessen werden. Das Material, was verloren oder kaputt gegangen war, konnte man leicht ersetzen, aber unsere Seelen nicht.

Fast alle wurden von ihren Familien erwartet. Sehnsüchtig freuten sie sich darauf, von ihren Männern und Frauen in die Arme geschlossen zu werden, oder ihre Kinder wohlbehalten zu knuddeln. Nur vier von uns waren Single oder geschieden. Uns erwartete niemand. Höchstens ein paar Freunde, die froh waren, dass uns nichts passiert war. Und so hatte ich die Haustür hinter mir noch nicht ganz ins Schloss fallen hören, als mich meine Mitarbeiter belagerten. Zuerst ging es darum von mir zu erfahren, ob es dort wirklich so schlimm aussah, wie es im Fernsehen dargestellt wurde. Ich schilderte meine Eindrücke und Erlebnisse, was sie zu dem Schluss kommen ließ, dass die Wirklichkeit noch zig Mal schlimmer war, als es die Medien rüberbringen konnten. Und so war es ja auch.

Mit besonderer Hingabe erzählte ich, wie ich Imke aus den Trümmern befreien, aber ihre Familie leider nur tot bergen konnte. Dass wir früher ein Paar waren, ließ ich dabei weg.

Dann ließ ich mich von meinen Mitarbeitern auf den neusten Stand bringen. Ließ mir ihre Entwürfe zeigen und betrachtete fertige Ergebnisse. Danach checkte ich meine Emails. Das Postfach lief quasi über. In den knapp drei Wochen hatten sich deutlich über vierhundert Mails angesammelt. Sinnvollerweise hatte ich eine Weiterleitung an meine Angestellten eingerichtet, sodass die wichtigsten Mails bereits bearbeitet waren und nur noch zu meiner Information dienten. Und trotzdem kostete es mich einen ganzen Nachmittag alle durchzusehen und die Spreu vom Weizen zu trennen.Wie immer hatten es ein paar Nachrichten durch den Spamfilter geschafft, die aber schnell als solche entlarvt und gelöscht waren. Dann erstellte ich mir eine ToDo-Liste für die nächsten Tage. Eine ganze Reihe an Rückrufen galt es abzuarbeiten, Anfragen potentieller Neukunden mussten beantwortet, Angebote verschickt werden und viele Besuche bereits bestehender Kundenkontakte waren nötig geworden.

Die ersten zwei Wochen nach Ahrweiler hatte ich so gut wie kein Privatleben. Wenn ich nicht gerade wie ein Toter – sorry, blöder Vergleich – schlief, verbrachte ich jede Sekunde, manchmal bis tief in die Nacht, im Atelier. Meine Angestellten hatten super gearbeitet, alles war zu meiner vollsten Zufriedenheit und die der Kunden erledigt worden. Und in jedem Gespräch das ich führte, waren meine Auftraggeber voll des Lobes über sie.Maja, die jüngste meiner Mitarbeiter, war es schließlich, die in einer ihrer Mittagspausen zu mir kam, schüchtern vor sich auf den Boden sah und verlegen ihre langen Haare zu kleinen Locken um den Zeigefinger drehte.

Ich sah ihr deutlich an, dass sie was auf dem Herzen hatte, was vorzutragen ihr sichtlich schwerfiel. „Hey Maja, alles gut bei dir?“, fragte ich sie deshalb.

„Florian, kann ich kurz mit dir reden?“

„Ja natürlich, das weißt du doch.“

„Weißt du, mir und den anderen ist aufgefallen, dass du dich seit dem Einsatz verändert hast. Du stürzt dich wie ein Wahnsinniger in die Arbeit, redest kaum mit uns und bist nicht mehr so locker wie vorher. Wir machen uns Sorgen um dich. Nicht du solltest mich fragen, ob alles gut ist, sondern ich wollte dich das fragen. Florian, ist alles ok mit dir?“

Brauchte ich wirklich erst Maja’s Frage um mir darüber Gedanken zu machen? Sie hatte recht, ich brauchte den Abstand zu den Bildern aus Ahrweiler in meinem Kopf. Und das waren nicht nur Bilder der vielen schlimmen Dinge, die ich sehen musste. Es waren auch ganz viele von Imke dabei, wie ich sie zwischen den Trümmern fand, bis hin zu unserem traurigen Abschied.

Ich sah meine junge Kollegin ungläubig an. Niemals hätte ich gedacht, dass die Spuren in meinem Inneren so offensichtlich zu erkennen waren. Ich hatte die Feinfühligkeit meiner Mitarbeiter wohl unterschätzt. Ich konnte es nicht länger leugnen. Weder vor mir, noch vor meinen Angestellten. Vielleicht war es ja sogar hilfreich, wenn ich meine Leute einweihen würde. Schließlich hatten wir immer ein gutes Verhältnis zueinander. Möglicherweise hatten sie ja sogar den einen oder anderen gut gemeinten Rat für mich, denn ich fühlte mich tatsächlich, als würde ich in einer emotionalen Klemme stecken.

„Ok, Maja. Alle in den Besprechungsraum, in fünf Minuten!“

Sie spürte, dass es jetzt besser war, nicht weiter nachzubohren, nickte kurz und verschwand durch die Tür. Ich nutzte die kurze Zeit um mich zu sammeln. Ihre Frage hatte mich zugegebenermaßen ein wenig aus der Spur gebracht. Bis eben war ich mir sicher, meinen Gemütszustand gut unter Kontrolle gehabt zu haben.

Ich straffte meine Haltung, zog die Stoffweste glatt und machte mich auf den Weg in den Meetingraum, wo mir vier Augenpaare erwartungsvoll entgegensahen.

„Ok Leute, ihr habt mich erwischt. Maja sagte mir gerade, dass ihr euch Sorgen um mich macht, weil ich mich so vehement in die Arbeit stürze. Es stimmt, mir geistert etwas, besser gesagt, jemand im Kopf herum. Es geht um Ahrweiler. Ihr erinnert euch an die Frau, die ich gerettet habe? Es war Imke, eine Freundin, die ich vor etwa 10 Jahren aus den Augen verloren hatte. Wir waren damals ein Paar, bis wir uns freundschaftlich trennten, weil ich zu sehr bei der Feuerwehr und mit dem Aufbau dieser Agentur beschäftigt war. Eigentlich ist sie von hier, auch ihre Eltern wohnen noch hier. Vermutlich wissen sie noch nicht einmal, was da unten passiert war. Und ganz ehrlich, ihr Schicksal lässt mich nicht kalt. Ich kann nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen und so tun, als wenn nichts wäre.“

„Liebst du sie noch?“, fragt mich Maja ganz direkt.

„Liebe ist ein starkes Wort, Maja. Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht! Ich denke nicht, aber sie war meine beste Freundin, wie eine Seelenverwandte. Und ich möchte ihr wirklich gern helfen, aber sie lässt mich nicht.“„Du musst mit ihren Eltern reden. Das bist du ihnen schuldig!“, sagte einer der männlichen Kollegen. Damit hatte er recht. Darauf hätte ich längst selbst kommen müssen. Als ich es gerade in meiner Ansprache erwähnte, fiel mir selbst auf, wie blöd ich war.„Da hast du recht Marko, das sollte ich tun. Gleich heute Abend werde ich rüberfahren.“

„Chef, du musst wissen, wir sind ein Team. DEIN Team. Wenn es etwas gibt, wobei wir dir helfen können, dann nur raus damit.“„Danke, das bedeutet mir sehr viel. Und es gibt tatsächlich etwas. Wäre es für euch ok, wenn ich mir vielleicht noch eine kleine Auszeit gönne? Vielleicht möchte ich doch noch mal nach Ahrweiler fahren.“

Alle nickten und klopften auf den Tisch. Ich konnte mir der Rückendeckung aller sehr sicher sein. Ein beruhigendes Gefühl, das mir die Arbeit etwas leichter von der Hand gehen ließ.

****

Ich hatte doch ein recht mulmiges Gefühl in der Magengegend, als ich in die Straße einbog, in der die Schuberts eine kleine Eigentumswohnung in einem Mehrfamilienhaus besaßen. Nicht gerade üppig, aber für die beiden reichte es wohl. Selbst die zufälligen Begegnungen im Supermarkt waren in den letzten Jahren selten geworden. Wir hatten uns also ewig nicht gesehen und ich war mir sicher, sie würden mehr als nur überrascht sein, wenn ich plötzlich vor ihrer Tür stünde. Schon deshalb, weil es eigentlich keinen Grund für mich gab, sie unangemeldet zu besuchen. Es sei denn,es wäre etwas Schlimmes passiert.Meine Vorahnung bewahrheitete sich, als Maria, Imkes Mutter, mich erblickte. In ihrem Gesicht spiegelte sich innerhalb weniger Sekunden Überraschung, Freude und Furcht. In einer Vorahnung, wie sie vielleicht nur Mütter haben, schlug sie sofort erschrocken ihre Hände vor den Mund und ihre Augen wurden feucht. „Imke?“, fragte sie mit zittriger Stimme. Werner, Imkes Vater kam aus dem Wohnzimmer: „Hey Florian, wir haben uns ja lange nicht gesehen. Komm rein, willst du’n Bier, was treibt dich hierher?“

Je länger er sprach, desto komischer kam ihm die Situation selbst vor. Seine Stirn zog sich in Falten … „Ja genau, was machst du überhaupt hier?“

„Können wir uns vielleicht setzen? Ich müsste was Wichtiges mit euch besprechen. Es geht um Imke.“

Wir gingen zusammen in ihr Wohnzimmer. Ich bemerkte, dass die Knie von Maria zitterten. „Ist sie tot?“, fragte sie leise.

„Nein, sie lebt. Aber ihr Sohn und ihr Mann haben es nicht geschafft.“

„Der Bengel war eh ein Bastard und ihr Mann ein Taugenichts!“, posaunte Werner raus.

Er hatte es kaum ausgesprochen, als ihn eine schallende Ohrfeige und ein heftiger Tritt gegen sein Schienbein traf.„Wie redest du von unserem Enkel, du Scheusal!“, zeterte Maria wütend.Ich ließ das besser unkommentiert. Das war etwas, was die beiden unter sich zu klären hatten. Ich hatte Markus und Lennart nicht kennengelernt und konnte mir schon aus diesem Grund kein eigenes Urteil erlauben.

Ich hatte Maria und Werner als sehr gastfreundlich und liebenswert kennengelernt. Doch jetzt boten sie mir vor lauter Aufregung nicht mal ein Glas Wasser an. Ich war zwar nicht zum Wassertrinken hier, aber einen trockenen Mund hatte ich dennoch.

Der Abend zog sich in die Länge. Irgendwann waren sie doch froh, dass ich sie besucht und sie aufgeklärt hatte. Selbstverständlich hatten sie die dramatischen Bilder im Fernsehen gesehen. Aber wie ich erfuhr, hatte sich Imke lange nicht gemeldet, weil es zu Spannungen zwischen ihren Eltern und ihr gekommen war. Es begann, als sie sich entschied, das Kind auszutragen, dass ihr ein betrunkener Vergewaltiger eingepflanzt hatte.

Sie wussten zwar, dass Imke in der Nähe von Ahrweiler untergekommen war, aber, dass sie selbst vom Hochwasser betroffen war, ahnten sie nicht einmal.

Sie waren entsetzt, als ich ihnen meine Erlebnisse schilderte. Vor allem die Rettung ihrer Tochter, musste ich haarklein ausführen, ebenso die Verletzungen, die sie davongetragen hatte. Susanne kannten sie nicht. Offenbar war das Leben ihrer Tochter in den letzten Jahren an ihnen vorbeigerauscht, ohne, dass sie daran teilhaben konnten, durften oder vielleicht auch wollten.

All das hatte ich nicht einmal ansatzweise geahnt, weil ihre Tochter immer das Lämmchen der Familie war, ihr Liebling, den sie immer behütet und verwöhnt hatten. Hier hatte sich in den letzten Jahren vieles verändert. Von der Elternliebe war nicht viel übrig, aber das Schicksal ihrer Tochter hatte zumindest Maria getroffen.Ich erzählte von meinem Plan Imke zu überreden, sie wieder nach Hause zu holen. Aber auch davon, dass sie es bisher abgelehnt hatte. Maria war begeistert und meinte dann auch, dass sie ihre Tochter gern wieder zu Hause hätte und sie sofort ihr altes Zimmer wiederhaben könnte.Die Stimmung besserte sich und wir unterhielten uns viel über alte Zeiten. Und ich wurde ausgefragt, wie es mir in all den Jahre ergangen war. Sie hätten schon immer gewusst, das aus mir mal was werden würde, meinten sie. Und dass sie sich freuen würden, mich endlich mal wiedergesehen zu haben.Wir beschlossen, am Wochenende nach Ahrweiler zu fahren, um Imke zu besuchen. Auch auf die Gefahr hin, dass sie sauer reagieren würde, weil wir uns nicht ankündigt hatten. Im Zweifel würden wir auch ohne sie wieder nach Hause fahren, aber dann hatten wir sie wenigstens besucht.

Kapitel 6

Mein Audi Q7 schnurrte wie eine Katze über die Autobahn. Der Sechszylinder Diesel hatte eine unvergleichliche Laufruhe. Normalerweise stand ich nicht so auf diese Protzkarren. Ich brauchte kein Statussymbol um von A nach B zu kommen, aber meine gehobene Kundschaft erwartete es von mir.Maria, Werner und ich hatten viel Spaß auf der Fahrt, auch wenn eine gewissen Anspannung durchaus spürbar war.Die Schuberts hatten ihre Tochter lange nicht gesehen und freuten sich auf sie. Entsprechend groß war auch die Aufregung bei ihnen.

Ich war gespannt darauf, wie weit sich die Stadt im Ahrtal von seinen Schäden erholt hatte. Mir war schon klar, dass es Jahre brauchen würde, bis alle Schäden an Straßen und Gebäuden behoben sein würden. Ich war neugierig, wie sie das Müllproblem angegangen waren, ob es gelungen war, das Strom- und Wassernetz wieder behelfsmäßig in Betrieb zu nehmen. Das war zwingend nötig, um die Hygiene einigermaßen aufrecht zu halten und dadurch eine ausbrechende Seuche zu verhindern. Dort war sicher eine Menge passiert. Auch Imke musste sich neu orientiert haben. Ob sie wohl schon aus dem Krankenhaus entlassen war? Und wenn, dann hatte sie sicher noch einen stabilen Gips am Bein, der sie ans Bett oder an eine Couch fesseln würde. Wie es ihr körperlich ging, konnte ich einigermaßen einschätzen. Aber davon, wie es ihr psychisch ging, wie und ob sie ihre Trauer bewältigen konnte, davon hatte ich nicht die leiseste Ahnung.Wie sie wohl reagieren würde, wenn wir plötzlich vor der Tür ständen? Würde sie sich freuen oder uns einfach nur wütend die Tür vor der Nase zuschlagen? Sollte das passieren, hatte ich mit den Eltern besprochen, dass wir uns ein wenig die Gegend ansehen, dann in ein Hotel einchecken würden, um dann am nächsten Tag die Rückfahrt anzutreten.

Im Schritttempo schlichen wir durch die Straßen von Ahrweiler. Wie zu erwarten war, hatte sich wirklich einiges getan.Die Bewohner und die vielen Hilfskräfte hatten seit der Katastrophe unmenschliches geleistet. Die Müll- und Schuttberge waren aus der Stadt verschwunden. Man hatte einen großen Platz gefunden, wo die Massen gut sortiert in langen Reihen aufgeschüttet wurden, wo sie auf ihre Abfuhr warteten. Leider konnten sich dort auch unkontrolliert die

Ratten vermehren, die mittlerweile wohl auch zu einem großen Problem geworden waren.Der braune Schlamm, der noch vor wenigen Wochen aus den Häusern geschoben wurde, war entweder von den Feuerwehren oder von Regenschauern zurück in das Bachbett gespült worden, wo er hergekommen war.

Nichts war mehr von dem reißenden Fluss zu sehen. Längst hatte er sich auf seinen Ursprung besonnen und war nun wieder zu einem friedlichen Bach geworden. Verglichen mit den Wassermassen von vor ein paar Wochen, war er zu einem Rinnsal verkümmert, dem man solch zerstörerische Kraft nicht ansatzweise zutrauen würde.Ich glaube, es war gut, dass Maria und Werner diese deutlich abgeschwächte Variante der Zerstörung zu sehen bekamen. Ich hatte ihnen gezeigt, wo ich Imke und ihren Sohn gefunden hatte. Das Haus, was dort früher gestanden haben musste, war dem Erdboden gleich gemacht. Nur eine aus Beton gegossene Bodenplatte mit einer abgesperrten Treppe in den Keller erinnerte an das Gebäude. Mit der Zeit würde auch das verschwinden, dann konnte nichts mehr an das grausame Schicksal der jungen Familie erinnern und selbst die würde man vielleicht irgendwann vergessen haben.

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Tolle Schreibe! Mach bitte weiter so!

schreibt Hansch

Lieber Gero, du hast für mich eine tolle Schreibe, mach bitte weiter so! Freue mich übrigens schon auf eine weitere Fortsetzung von Ahrweiler! Viele Grüße Hansch

Gedichte auf den Leib geschrieben