Ahrweiler - Teil VIII

Nicht alles endet irgendwann!

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Ahrweiler - Teil VIII

Ahrweiler - Teil VIII

Gero Hard

Das erstaunte mich jetzt wirklich. Imke musste also mit ihr gesprochen haben. Mit Maja spricht sie und mit mir nicht? Na toll, dachte ich.

„Nicht hier!“, sagte ich und zog sie kurzerhand mit in mein Büro.

„Ich habe überhaupt nichts mit Imke gemacht. Sie hat doch …, halt Stop! Was weißt du Maja?“

„Sie hat mich gestern angerufen und gesagt, dass du sie abserviert hast. Na ja, nicht ganz so. Sie hat gesagt, dass sie was total Dummes gemacht hat und du deswegen total sauer warst.“

„Hat sie erzählt, was sie gemacht hat?“

„Ja, hat sie.“

„Und, wie findest du’s?“

„Schon irgendwie komisch, dass sie sich das getraut hat. Passt eigentlich nicht zu ihr. Aber es ist auch irgendwie geil, oder?“

„Maja, ich fand’s ganz und gar nicht geil. Vor ihr saß ein fremder Mann und sie macht sich’s selbst? Also ich bitte dich.“

„Du hast ja recht Florian. Sie bereut es auch. Hat nicht nachgedacht und hat sich vor lauter Vorfreude auf den Abend überwältigen lassen. Das ist dann wohl gründlich schief gegangen.“

„Und was soll ich deiner Meinung nach jetzt machen, Maja? Hat sie was dazu gesagt? Ich habe ihr gestern Abend eine kurze Nachricht geschickt und sie hat nicht mal den Schneid zu antworten. Stattdessen telefoniert sie lieber mit dir, als mit mir zu reden.“

„Sie möchte das mit dir persönlich besprechen, wenn du sie heute besuchen kommst.“

„Darauf kann sie lange warten! Entweder sie antwortet auf meine Nachricht oder das Wochenende ist gelaufen. Das kannst du ihr gerne schreiben.“

„Dein letztes Wort Florian?“

„Ja!“

Maja drehte sich um und ging zu ihrem Schreibtisch. Ich sah noch, wie sie ihr Handy nahm und schrieb. Damit war für mich das Thema erledigt. Ich hatte den Ball Imke zugeworfen, jetzt war sie dran. Außerdem hoffte ich Maja auf meiner Seite zu haben, denn dann würde sie Imke bestimmt ein paar Takte dazu erzählen.

Für einen Freitag war der Tag verhältnismäßig ruhig. Kaum Kundentelefonate, kaum Mails und die Arbeit ging zügig voran. Wahrscheinlich lag es an der brüllenden Hitze, die ganz Deutschland kochen ließ. Die Klimaanlage lief auf Hochtouren und gab alles. Es war eine gute Entscheidung gewesen, die Büroräume in die Kellerräume zu verlegen. Die Hanglage des Grundstücks bot sich förmlich dazu an. Jetzt im Sommer brachte es zusätzliche Kühlung.

Seit Mittwoch war meine Motivation sowieso nicht die Beste. Gegen 15 Uhr verabschiedete ich mich von Maja, Silke und Marko und ging nach oben. Ich warf mich nur in Boxershorts rückwärts aufs Bett und starrte die Zimmerdecke an. Aber auch dort fand ich keine Lösung für meine Situation. Hier rumzuliegen brachte mich auch nicht weiter. Dann konnte ich auch genauso gut meine Zeit am und im Pool verbringen.

Auch jetzt in den späten Nachmittagsstunden kühlte es nicht wirklich ab. Die Sonne kannte keine Gnade und trieb die Menschen in die Häuser. Ich hingegen genoss die Ruhe in meinem schattigen Plätzchen am Pool. Und sollte es mir doch mal zu warm werden, sprang ich einfach ins kühle Nass und drehte ein paar Runden um mich abzukühlen.

Von Imke hörte und las ich nichts. Nachdem Maja ihr totsicher mindestens eine Nachricht geschickt oder sogar mit ihr telefoniert hatte, war ich mir nahezu sicher, dass sie sich bei mir gemeldet hätte. Aber das Telefon schwieg beharrlich.

Es fühlte sich komisch und beunruhigend zugleich an und trotzdem regte es mich merkwürdigerweise nicht sonderlich auf. Entweder sie beschäftigte sich damit, unsere Beziehung zu beenden oder damit, wie wir unseren Streit beilegen konnten. Genau wie ich es tat. Und die Chance, dass es wieder gut werden würde, betrug immerhin 50%.

In etwa so, wie das berühmte Glas Wasser, das halb voll und nicht etwa halb leer ist. Natürlich hätte ich mich ins Auto setzen und sie besuchen können. Aber ich hatte Angst, sie bei etwas zu stören oder zu erwischen, was mir wehtun könnte. Vielleicht hatte sie sich aus Rache an einen anderen Patienten herangemacht und ich könnte die beiden beim Knutschen erwischen. Davor hatte ich Angst, obwohl es nicht zu der 50%-Chance passte, denn dann hätte sie unserer Liebe den Todesstoß verpasst.

Innerlich ohrfeigte ich mich selbst für diese Gedanken. Imke war nicht so eine, dass passte nicht zu ihr und ich konnte es mir eigentlich auch nicht vorstellen. Dafür war unsere Liebe zu tief, zu echt, zu intensiv … zu schön.

Tief in meinem Herzen spürte ich, dass Imke das, was wir hatten, nicht so leichtfertig aufs Spiel setzen würde. Sie hatte einen Fehler gemacht, ganz sicher, aber sie hatte schnell gemerkt, dass sie damit ins Fettnäpfchen getreten war und bereute es, wie Maja mir verraten hatte. Solch ein Verhalten passte bei ihrer Sensibilität eher zu ihr.

Sie war zu scharfsinnig, als dass sie das nicht bemerkt haben konnte.

Ich stöberte durch die Angebote, die mir das Reisebüro zugeschickt hatte. Die Prospektbilder schickten mich auf eine Gedankenreise der besonderen Art. Ich sah Imke und mich am Strand liegen, wo die Sonne unsere Vitamin D-Akkus auffüllte. Ich sah uns im Licht des Sonnenuntergangs durch den Sand gehen, Hand in Hand, barfuß mit unseren Sandalen in der Hand. Ich sah Imke, wie sie nur im Bikinihöschen und locker gebundener Bluse in der seichten Dünung des Wassers lag. Ich sah uns an einsamen Stränden, zwischen riesigen Felsbrocken, bis zur totalen Erschöpfung miteinander vögeln, während das warme Wasser unsere Füße umspülte.

Ich spürte den Einstich der Mücke nicht, aber die juckende Pustel an meiner Wade raubte mir den Verstand und ließ die Seifenblase mit den traumhaften Urlaubsbildern schlagartig zerplatzen. Unfassbar, was für eine Wirkung so ein kleiner Stachel haben konnte. Schnell drückte ich mit dem Daumennagel ein tiefes Kreuz auf den Stich und kratzte die Oberfläche kurz auf. Der Juckreiz musste einem kurzen, brennenden Schmerz weichen, schien dann aber besiegt zu sein. Nur die schönen Bilder vor meinen Augen wollten partout nicht wieder zurückkehren.

Schade, es sah toll aus, wie ihre roten Haare in der Sonne leuchteten oder die Bluse im Wasser durchsichtig wurde und zwei hübschen Äpfel durchschimmerten.

Imke hatte sich nicht gemeldet, also fuhr ich auch nicht nach Gyhum, wie ich es angedroht hatte. Ich war schon immer der gradlinige Typ und stand zu dem, was ich sagte. Sonst wäre ich wohl auch nicht so erfolgreich im Beruf und bei der Feuerwehr geworden. Allerdings gestand ich mir ein, dass ich tieftraurig war.

Der Tag neigte sich dem Ende entgegen, aber nichts zog mich ins Haus zurück. Es gab nichts, was mich drinnen erwartete. Ganz anderes wäre es, wenn Imke …, aber sie war nicht da.

Und dennoch musste ich mich aufraffen. Für heute Abend war eine Gemeinderatssitzung anberaumt worden, an der ich teilnehmen musste. Mein Part bestand darin, unseren Einsatz in Ahrweiler vorzustellen. Dazu hatte ich die vielen Bilder gemacht und in seitenlangen Berichten meine Erfahrungen und Eindrücke niedergeschrieben. Wie alle diese Sitzungen würde es mit absoluter Sicherheit wieder einer dieser furztrockenen Veranstaltungen werden, die ich widerspruchslos in meiner steifen Uniform über mich ergehen lassen musste. Der einzige Vorteil heute war, dass mich die Versammlung auf andere Gedanken, weg von Imke, brachte.

Mein Handy war auf stumm geschaltet. Logisch, niemand mochte es, wenn Handys während Meetings und Versammlungen bimmelten. Ich hatte es in meine Kollegmappe gesteckt und merkte nicht einmal, dass es mehrfach vibriert hatte.

Der Abend zog sich und war entgegen meiner ursprünglichen Meinung doch kurzweilig. Es gab einige Punkte auf der Tagesordnung, die aber nach kurzen Diskussionen und schnellen Abstimmungen erledigt waren.

Ich trug meine PowerPoint-Präsentation vor und kommentierte lebhaft meine persönlichen Erlebnisse. Die Ratsmitglieder folgten meinen Lippen und den Bildern mit weit aufgerissenen Augen. Es herrschte Grabesstille im Raum, als ich scheinbar endlos berichtete. Als ich zu erzählen begann, waren die Bilder an der Wand sofort wieder lebendig. Ich hätte den ganzen Abend mit meinem Vortrag füllen können, so sehr war ich in Gedanken wieder in Ahrweiler.

Es war fast Mitternacht, als ich erschöpft aufs Bett fiel. Nachdem ich meinen Bericht beendet hatte, prasselten ein Haufen Fragen auf mich ein, die ich bereitwillig beantwortete.

Ich atmete zweimal tief durch und schälte mich dann aus der viel zu warmen Uniform. Die anschließende Dusche war Goldwert und mehr als nötig. Sie spülte den Schweiß des Tages von meinem Körper und die letzten Gedanken an Ahrweiler aus meinem Kopf.

Leider trat dadurch der Streit mit Imke wieder in den Vordergrund. Ich konnte und wollte mich nicht damit abfinden, dass es möglicherweise zu Ende war, musste aber leider erkennen, dass es durchaus so sein konnte.

Wohl oder übel musste ich versuchen damit meinen Frieden zu machen. Wenn Imke dieses Leben am erotischen Limit brauchte, war ich eh nicht der Richtige für sie.

Auf dem Weg zurück ins Bett angelte ich mein Telefon aus der Mappe. Auf dem Sperrbildschirm leuchteten sage und schreibe sechs Nachrichten und alle waren von Imke.

  1. „Flo, ruf mich bitte an.“
  2. „Bist du zu Hause? Ruf mich bitte an, es ist dringend.“
  3. „Ok, offensichtlich nicht. Wo bist du, bitte melde dich.“
  4. „Flo … Schatz … bitte, es tut mir doch leid. Was willst du denn sonst noch hören?“
  5. „Liebling wirklich. Es war so dumm, ich habe nicht nachgedacht. Es ist einfach über mich gekommen und passiert ganz sicher nicht wieder. Und ich schwöre, der Fahrer hat weder was gesehen, noch davon mitbekommen und es lief auch ganz sicher nichts mit ihm. Der war locker über sechzig Jahre alt und wog 150Kg. Ehrlich Flo, traust du mir so etwas zu? Ich liebe dich von ganzem Herzen und nichts in der Welt wird das ändern. Bitte, ruf mich an.“
  6. „Holst du mich morgen ab?“

Ich war hundemüde, aber ihre Nachrichten zauberten mir ein Lächeln ins Gesicht. Es war schön von ihr zu lesen. Wäre es nicht schon so spät gewesen, hätte ich sie noch angerufen. Ihre Stimme zu hören, hätte mir gutgetan. Doch mit Rücksicht auf die Uhrzeit schrieb ich ihr nur eine kurze Nachricht: „Imke, ich liebe dich doch auch und hoffe, dass wir eine Lösung für unseren Streit finden. Ich bin um 10Uhr bei dir.“

Mir war klar, dass wir noch darüber reden mussten. Damit war das Problem längst noch nicht vom Tisch. Aber allein die Tatsache, dass sie mich angeschrieben und auf meine Nachricht reagiert hatte, wertete ich als guten Anfang für die

Lösungsfindung.

Ich stellte mir den Wecker und drehte mich auf die Seite. Ihr Kissen lag unberührt da und eine innere Kraft zwang mich, es zu mir heranzuziehen. Ich tauchte meine Nase tief hinein und sog ihren süßen, betörenden Duft auf.

Ich knüllte das Kissen vor meine Brust und schloss es fest in meine Arme, so, als ob ich ihren Körper an mich drücken würde. Die Vorfreude auf morgen und ihr Geruch in meiner Nase ließen mich schnell einschlafen.

****

Von unterwegs hatte ich Imke eine Nachricht geschrieben, dass ich in zehn Minuten auf dem Parkplatz sein würde.

Es wunderte mich also nicht, dass sie mich bereits erwartete. Was mich allerdings wunderte, war die kleine Tasche, die sie sich über die Schulter geworfen hatte.

Sie sah übernächtigt und müde aus, wie sie so dastand, das verletzte Bein leicht angewinkelt und auf Krücken abgestützt. Der Stress und der fehlende Schlaf hatten Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen, sie sah auch hilflos, bemitleidenswert, irgendwie verzweifelt und traurig aus.

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