Alinas Herzschlag

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Alinas Herzschlag

Alinas Herzschlag

Daniel Mylow

Der Lichtfinger des Leuchtturms tastete über das Meer. Wie Alinas Herzschlag zeichnete er ein Muster in die Nacht. Alinas Netzhaut füllte sich mit seinem Licht, und für einen Augenblick spiegelte sich das Glänzen der Wellen in ihren Augen.
Die Kellnerin schob die Stühle zusammen. Das Licht auf der Terrasse erlosch.
"Wir müssen gehen", sagte Alina. Ihre Nasenflügel zitterten leicht. Ich beobachtete, wie ihre Fingerspitzen um das leere Glas vor ihr auf dem Tisch kreisten. Wir sahen uns an. Es schießt durch dich durch, wie Brause in deinen Adern, dachte ich. Die Nacht sieht dich an. Ich nickte.
Wir erhoben uns fast gleichzeitig. Auf der schmalen Stiege, die zum Strand hinabführte, streifte mich der Saum ihres Rockes. Sie zog ihre Schuhe aus und lief über den Strand. Sie lief in die andere Richtung, weg vom Parkplatz, weg von den Lichtern des Ortes. Langsam, fast zögernd ging ich ihr nach. Ich spürte den feuchten Sand unter meinen Füßen, die warme Sommerluft auf meinen Armen. Wenn wir uns auch nur für diesen einen Tag verabredet hatten, schien es doch, als flüsterten ihre Spuren, denen ich durch den Sand folgte: ""Laß uns bleiben."
Alina stand am Meer. Unmerklich schienen die Wellen aus tieferen Gründen zurück an die Oberfläche zu steigen, ebenso unmerklich füllten sich die Poren und Risse in unserer Haut mit Seewasser. Alina legte ihren Kopf an meine Schulter. Ich begann zu frieren. Der salzige Atem ihrer Lippen näherte sich meinem Mund.
"Was meinst du, wollen wir einfach so bleiben?" Ihre Stimme klang rau, sie füllte mich aus. Wie eine Wand stand sie im Raum.
All meine Gedanken stießen wie Spinnenbeine gegen unsichtbares Fensterglas.
Ich war Alina das erste Mal vor zwei Jahren begegnet. Sie war die jüngste Cousine meiner Freundin und lebte in Kanada. Einmal im Jahr kam sie für einige Wochen nach Deutschland und wohnte dann bei meiner Freundin. Amüsiert hatte sie registriert, dass mich die sinnliche Schönheit und Natürlichkeit ihrer Cousine verwirrte. Die beiden waren wie Geschwister, und obwohl sie sich neben den ständigen E-mails und Päckchen, die hin- und hergingen, nur einmal im Jahr sahen, konnte ich eine gewisse Eifersucht nicht unterdrücken. Meine Freundin hatte sogar zugegeben, dass Alina und sie in einem Bett schliefen, wenn ich nicht da war. Gestern war meine Freundin zu ihren Eltern geflogen und da Alinas Flug erst in zwei Tagen ging, hatte sie mich mit einem seltsamen Ausdruck in ihren Augen gebeten, mich so lange um Alina zu kümmern. Es war Sonntag, das Meer war nicht weit, also waren wir ans Meer gefahren. Ich wusste nicht viel von Alina. Aber am Ende des Tages, als wir in dem Strandpavillion saßen, hatte sich der Himmel keinen Millimeter von der Erde entfernt, als wäre die Zeit stehen geblieben.

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