Alles oder nichts?

Josie

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Alles oder nichts?

Alles oder nichts?

Gero Hard

„Ich wollte ja schon längst …, aber ich … ähm … ich hab mich nicht getraut. Dachte, es sei dir noch zu früh. Außerdem warst du so sauer auf mich, wegen der ganzen Geheimnisse und so.“
„Der erfolgreiche Geschäftsmann, der große Chris, der es mit den ‚Größten‘ der Industrie aufnimmt, traut sich nicht, mir, einer schwachen Frau aus der Gosse, einen Antrag zu machen? Dein Ernst? Wovor hast du Angst, dass du nicht romantisch genug wärst? Oder dein Ring zu schäbig ausfallen könnte? Das ich ‚nein‘ sagen könnte? Was ist es, sag’s mir, Schatz.“
„Ja, genau das ist es! Es sollte etwas Besonderes sein! Ein Banner hinter dem Hubschrauber, ein gemähtes Herz in
einem Kornfeld, eine Unterbrechung im Kino oder bei einem Live-Konzert, oder ein getanzter Flash-Mob in einem Shoppingcenter. Etwas, woran du dich dein Leben lang erinnerst. Etwas, was dich zu Tränen rührt und dich vor Rührung auf die Knie fallen lässt. Der Ring sollte etwas besonderes sein, einer, den du mit Stolz trägst und den du allen zeigen möchtest. Und ich hatte bisher weder die passende Lösung, noch den richtigen Ring. Deshalb!“
Chris hatte sich aufgesetzt, fuchtelte mit seinen Händen herum, hatte die Stimme angehoben, um seinen Ausführungen den nötigen Nachdruck zu verleihen. Ich hörte ihm zu und wurde mit jedem seiner Worte ärgerlicher, weil es eben genau das war, was ich nicht wollte. Weil es eben genau diese Ideen waren, die alle Reichen im Kopf hatten, die ihre abgehobenen Möglichkeiten zum Ausdruck brachten. Meiner Meinung nach beeindruckten sie damit nicht ihre zukünftigen Frauen, sondern eher die Zuschauer auf YouTube, die sich die Videos ansahen und sich wünschten, auch so einen Antrag zu bekommen. Der Mann regte mich schon wieder auf!
„Mein lieber Chris! Warum nur, warum will es einfach nicht in deinen Kopf? Ich bin nicht mit dem goldenen Stock im Arsch geboren worden. Ich komme von ganz unten, hast du das vergessen? Erinnere dich, in welchem Zustand du mich gefunden hast. Ich bin ein einfaches Mädchen, Chris! Mach dir doch nicht so’n Kopf darum. Fall einfach auf die Knie, wenn dir danach ist, kaufe einen einfachen Ring aus Gold, vielleicht mit einem winzigen Diamantsplitter, wenn überhaupt. Chris …, ich liebe dich auch ohne Kornkreise. Bitte … hör auf, dich für mich zu verbiegen, sei einfach Chris, hörst du? Von mir aus auch der Chris aus der Schule, der einfache Chris, der schüchterne. Der, über den alle gelacht haben, es ist mir egal, weil ich dich liebe, versteh das doch endlich!“ Die letzten Worte schrie ich ihm ins Gesicht, hatte mich aufgesetzt und ihn an den Schultern gepackt und geschüttelt.
Tränen liefen mir über die Wangen. Wie sehr hatte er sich seit der Schule verändert, wie sehr hatte ihn der Reichtum verändert. Mit wutrotem Gesicht stand ich auf, sprühte ihm mit meinen Augen eisigen Zorn zu.
„Ich muss ins Wasser, hab Sand in der Pussy!“
Es stimmte zwar, dass ich mich selbst mit dem feinkörnigen Sand gefüllt hatte, als ich mich eben vor ihn gesetzt hatte, aber eigentlich wollte ich nur weg von ihm. Ich musste ins kühle Wasser, um meinen Kopf klar zu bekommen.
Ich wusste genau, dass Chris sich sofort bei mir entschuldigen würde, wie er das immer tat, wenn er mal wieder eines der braunen Fettnäpfchen erwischt hatte. Die dauernden Entschuldigungen wollte ich nicht und wären auch nicht nötig, wenn er endlich, endlich, endlich einsehen würde, dass ich ein ganz anderer Typ Frau als die war, die er von früher als Freundin hatte.
„Josie, bitte … ich wusste ja nicht …!“, lief er hinter mir her.
„Ja Chris? Du wusstest ja nicht …? Doch Chris … du wusstest, ganz genau wusstest du, weil ich es dir schon hundert Mal gesagt habe! Lass mich einen Moment in Ruhe, dann fahr uns zurück. Und morgen will ich hier weg!“

Von da an ging ich ihm aus dem Weg. Ich konnte seine Entschuldigungen nicht mehr ertragen. Nicht jetzt! Und auch die Lust auf ihn und seinen Schwanz war schlagartig verschwunden. Meine Pflaume war, vielleicht auch durch den Sand, trocken wie die Sahara. Ganz sicher würde ich mich ihm heute verweigern, sollte er versuchen mich rumzukriegen. Das hatte nichts mit Sexentzug als Strafe für sein unüberlegtes Verhalten zu tun, sondern lag daran, weil ich stinkesauer auf ihn war.
Er schwamm mir nach, kletterte über die Badeplattform zurück auf das Boot. Ich hingegen brauchte einen Moment länger, weil ich mir tatsächlich einiges von dem Sand eingefangen hatte. Zuletzt saß ich mit meinem Hintern auf der Plattform und spülte mir die letzten Körner mit Mineralwasser aus der Flasche aus den Falten zwischen meinen Vulvalippen heraus, damit ich auch gleich das Salzwasser aus der empfindlichen Region loswurde.

****

Chris war feinfühlig genug, um mich nicht mehr anzusprechen. Im Grunde vegetierten wir seit gestern Abend nebeneinander her. Immer wieder trafen sich unsere Blicke, aber gesprochen hatten wir den ganzen Abend nicht mehr.
Für ein geflüstertes ‚gute Nacht‘ reichte es dann gerade noch, aber das war’s auch schon. So waren wir noch nie zusammen eingeschlafen.
Auch am nächsten Morgen war die Stimmung noch gedrückt. In der Nacht hatte uns der Motorenlärm lange wach gehalten. Ich wusste schon, warum ich dem Motorsport nichts abgewinnen konnte. Entsprechend schlecht gelaunt und müde stiegen wir in das Charterflugzeug, dass Chris mieten musste. Ein Linienflug war so kurzfristig nicht mehr zu bekommen, aber meine Ansage von gestern hatte wohl genug Eindruck bei ihm geschunden.
Irgendwann muss ich eingeschlafen sein, denn ich träumte davon, mit meinem Kopf auf Chris‘ Schoß zu liegen und davon, wie er mir über das Haar strich. Ein Luftsack ließ die Maschine durchsacken, wovon ich wach wurde.
Ich hatte nicht geträumt, sondern lag tatsächlich mit angezogenen Beinen auf den Sitzen, mit dem Kopf auf Chris‘ Oberschenkeln.
„Schlaf weiter, Schatz, es war nur ein Luftsack.“, klärte Chris mich auf.
Wenn ich sowieso schon auf ihm lag, konnte es nicht schaden, mich noch enger an ihn zu kuscheln. Meine Hand legte
ich unter meinen Kopf, die damit automatisch auf seinem Vergnügungszentrum lag. Ich grinste nach oben und er grinste zurück.
„Ich liebe dich, Chris.“, flüsterte ich ihm zu.
„Ich weiß mein Hase, nun schlaf noch ein bisschen.“
‚Wie der Herr befiehlt‘ dachte ich und machte die Augen wieder zu. Nur schlafen war nicht mehr drin. Sofort lag seine Hand wieder auf meinem Kopf, kämmte mit seinen Fingern mein Haar. Ein schöner, wohliger Schauer lief mir über den Rücken. Ich kraulte meinem Schatz derweil ein wenig die Murmeln. Vielleicht konnte ich dadurch die Wogen etwas glätten. Einer musste ja den Anfang machen. Aber den machte Chris, denn das was sich glättete, war der Stoff seiner Hose, weil sich von innen eine Zeltstange dagegen drückte. Das die nicht wieder in sich zusammenfiel, dafür sorgte ich den Flug über.
Es war fast Mittag, als Shiva uns mit Falk zusammen vom Flughafen abholte. Entsprechend stürmisch fiel die Begrüßung aus. Mit hellem Kinderlachen kam Falk auf uns zugerannt, rief so laut „Mama, Papa, endlich seid ihr wieder da!“, dass sich Leute zu uns umdrehten.
Chris sah mich von der Seite an, sagte aber noch immer nichts. Aber als Falk unbedingt als allererstes auf meinen, und nicht auf seinen Arm wollte, konnte ich sehen, wie seine Schultern ein Stück abfielen.
„Wir müssen reden!“, murmelte er mir mit finsterer Miene zu, ohne dass Falk es verstehen konnte. Dann grätschte Shiva dazwischen.
„Josie, ich kann ja verstehen, dass ihr gerade erst angekommen seid. Aber du solltest wirklich bald bei Ela vorbeisehen. Ich glaube, die schafft das nicht, ist völlig neben der Spur.“
„Meinst du?“
„Ja, ich hab sie aus der Anstalt abgeholt und nach Hause gefahren. Sie hatte sonst keinen, den sie sehen wollte. Ich schwöre, sie hat die Welt um sich herum nicht wahrgenommen, nur ins Leere gestarrt.“ 
„Ok, wir können ja nachher mal rumfahren. Mehr als uns wieder rauswerfen kann sie nicht. Aber erst will ich nach Hause, mich frisch machen!“
Chris lenkte den Rover deutlich schärfer als sonst durch den Verkehr. Ich kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass eine kurze Zündschnur bei ihm schon gefährlich lichterloh brannte. Seine Stirnfalten unterstrichen sein grimmiges Gesicht und damit seine schlechte Laune. Schatz‘ sanfte Stimme im Flugzeug, ‚ich solle doch weiterschlafen‘, das genießerische Schnurren, als ich ihm die Eier kraulte, alles war verraucht. Oder war es da schon nur gespielt?
In der Villa wurde es nicht besser. Chris schleppte mit wehenden Fahnen unsere Koffer nach oben und ich rannte ihm nach, konnte es nur schwer ertragen, dass diese Mauer zwischen uns stand. Im Ankleidezimmer war er gerade dabei, den ersten Koffer aufzumachen, als ich hinter ihm stand. Mit einem Knall schepperte ich die Tür zu.
„So, Chris, jetzt sagst du mir bitte, was dir so schlechte Laune macht! Seit gestern reden wir kaum noch und du ignorierst mich. Also, was ist los?“, fragte ich mit ruhiger Stimme.
Chris drehte sich langsam um. Erst da sah ich seine feuchten Augen und die eine Träne, die sich schon auf den Weg in seinen Kragen gemacht hatte. Traurig stellte er den Koffer auf den Boden, setzte sich auf den freigewordenen Stuhl und sah vor sich auf den Boden.
„Josie, du weißt, ich liebe dich. Und ich bin wirklich bereit, Zugeständnisse in unserer Beziehung zu machen. Aber deine ständigen Vorwürfe, meines Reichtums betreffend, werden mir langsam zu viel. Mein Reichtum ist mir nicht in den Schoß gefallen, sondern hart erarbeitet. Wie alles, was ich mir erkämpfen musste, schon in der Schule. Haben nicht alle auf mir rumgehackt, wegen meiner Hüfte und meiner dicken Brille? Musste ich nicht da schon immer besser sein als alle anderen, um überhaupt wahrgenommen zu werden? War doch so, oder? Du warst ja dabei!
Alle Frauen in meinem Leben waren nur wegen meinem Geld mit mir zusammen. Dadurch wurde mein Frauenbild geprägt. Alle wollten dicke Autos, Pelze, Edelklamotten und so was. Für mich wurde das ‚normal‘.
Dann kamst du in mein Leben. Dir war meine Gehbehinderung egal, hast um nichts gebettelt. Du warst von vornherein anders als alle anderen vor dir. Mein Frauenbild ist nun mal falsch, aber ich kann es auch nicht mit einem Fingerschnippen ändern. Das geht nur mit viel Zeit, Geduld und Liebe.
Meine Häuser, meine Autos, der Hubschrauber, die Yachten, meine Firma, meine Angestellten und nicht zuletzt mein Geld, alles gehört zu mir. Monaco werde ich aufgeben, das verspreche ich, aber alles andere wird bleiben. Die Villa ist mein Zuhause, die Firma sichert mein Einkommen. Und ich trage die Verantwortung für meine Leute.
Zum Schluss, und glaub‘ mir, es fällt mir nicht leicht, das zu sagen: Wenn du mit dem hier um uns herum, der Villa mit seinen Annehmlichkeiten, dem Boot, dem Hubschrauber und all dem anderen nicht klarkommst, dann musst du gehen!
Monaco ok, aber alles andere werde ich behalten, ganz sicher! Ob du willst, oder nicht, mit dir und ohne dich!“
Das war ein Schlag in meine Magengrube. Mir wurde schlecht, meine Beine drohten ihren Dienst zu versagen. Mir war zu keiner Zeit so klar, dass ich ihn mit meinen Aussagen tief getroffen hatte. Er musste ja zwangsläufig an meiner Loyalität zweifeln. Ich musste mich auch setzen. Suchte nach Worten, um zu relativieren, was ich in Monaco und auch schon des Öfteren vorher gesagt hatte. Ich fand keine! Nicht mal entschuldigen konnte ich mich.
Ich schlug meine Hände vors Gesicht und weinte. Ich wollte ihn nicht verlieren, nur etwas Bürgerlichkeit wollte ich, Normalität, Bodenständigkeit. Obwohl, trotz allen Reichtums war Chris bodenständig geblieben. Eine Arroganz, die er sich durchaus erlauben könnte, gab er nicht an Falk weiter. Auch mir gegenüber nicht.
Chris war aufgestanden und hatte sich neben mich gestellt. Wie lange musste ihn das schon belastet haben, wie lange hatte er meine Vorwürfe in sich reingefressen?! Was hatte ich ihm mit meinem Egoismus angetan?! Und nun hatte er seinem Herzen Luft gemacht. Die Erleichterung war ihm deutlich anzusehen. Seine Hand legte sich auf meine Schulter, drückte mich sanft.
„Denk bis morgen drüber nach! Hier, mit meinem Sohn, in der Villa, mit allem was ich habe, dann sehr gern mit dir zusammen, oder es endet morgen. Deine Entscheidung! Ich schlafe im Gästezimmer. Und jetzt fahre zu deiner Ela, ich denke, sie braucht dich!“
Chris drehte sich um und ging raus. Nur Minuten später hörte ich ihn mit Falk spielen, als wenn nichts gewesen wäre. Und ich hörte noch wie der kleine Kerl fragte, was er mich so ähnlich bei unserer ersten Bootsfahrt gefragt hatte:
Kann Josie meine Mama werden? Ich wünsche es mir doch so!“
Chris‘ Antwort darauf verstand ich nicht, weil er so leise sprach. Das schlechte Gewissen lag wie ein Betonklotz auf meiner Brust und machte mir das Atmen schwer.
„Josie, können wir los?“, rief Shiva von unten hoch.
Mir war die Lust auf Ela restlos vergangen. Meine eigene Baustelle war viel wichtiger als ihre. Trotzdem raffte ich mich auf, wischte mir mit dem Jackenärmel die Augen trocken und ging runter. Ich vermied es, Shiva ins Gesicht zu sehen. Auf keinen Fall durfte sie meine verheulten Augen sehen. Niemand durfte vom Streit zwischen Chris und mir erfahren …, noch nicht. Auch Shiva nicht.

****

Shiva und ich hörten es klingeln, aber nichts passierte. Sicherheitshalber drückten wir den Knopf nochmal, vielleicht war sie gerade im Bad. Wieder nichts.
Eine ältere Dame drängelte sich an uns vorbei und kramte in ihrer Einkaufstasche nach dem Hausschlüssel.
„Ach entschuldigen Sie, haben Sie Ela in letzter Zeit gesehen?“
„Sie meinen die Michaela von unten rechts? Gesehen nicht, aber gestern Mittag hatte sie noch laute Musik an. Ich wollte schon die Polizei rufen, weil ich meinen Mittagsschlaf nicht halten konnte.“
„Aha, danke. Können Sie uns vielleicht reinlassen?“
Shiva ging mit der Dame in den Hausflur und ich um das Haus herum. Vielleicht konnte ich über die Terrassentür in die Wohnung kommen, oder wenigstens einen Blick ins Wohnzimmer werfen.
Die Tür war zu, aber tatsächlich war die Gardine ein Stück zur Seite geschoben. Ela lag auf dem Sofa, halbnackt, ein Arm hing schlaff herunter, darunter eine Pfütze. „Ela!!“, schrie ich und trommelte wie eine Wilde gegen das Glas. „Ela, wach auf!!!“
Ich rannte zurück, um das Haus herum, stürmte aufgewühlt und atemlos in den Hausflur.
„Ela, sie liegt auf dem Sofa! Ich glaub, sie ist tot!“, berichtete ich völlig außer Atem.
Shiva trat mit Wucht gegen die Wohnungstür. Holz splitterte und krachte. Die Tür flog auf. Shiva war viel abgeklärter als ich, ging direkt ins Wohnzimmer. Ich selbst blieb auf dem Flur stehen und wählte mit zittrigen Fingern den Notruf.

Fortsetzung folgt …

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