Am Morgen danach

22 3-6 Minuten 0 Kommentare
Am Morgen danach

Am Morgen danach

T. D. Rosari

Wie die Tropfen eines undichten Wasserhahns sickern diffuse Wahrnehmungen in das Dunkel des Unbewussten. Sinnesreize machen sich auf den Weg in das Gehirn der blonden Frau. Dieses weigert sich aber, die Empfindungen zu einem schlüssigen Bild zusammenzusetzen. Die Synapsen sträuben sich, die elektrischen Impulse weiterzuleiten. Der zaghaft in Gang gekommene Konvoi an Botschaften versiegt – das Dunkel kehrt zurück.
Wieder beginnt es zu tropfen. Die Sinneseindrücke der Rezeptoren sind konkreter, detaillierter: Eine schwere Kugel aus Metall rollt im Kopf der Frau hin und her. Immer, wenn diese Kugel gegen den Knochen ihrer Schädeldecke prallt, überstrahlt ein explodierender Schmerz alle anderen Empfindungen.
Andere Empfindungen: Metall am Handgelenk. Zwischen den Beinen ein sanftes Brennen. Ein zutiefst befriedigendes Pochen tief im Unterleib. Nacktheit.
Als sich die Dunkelheit des Unbewussten ein weiteres Mal zögernd wie ein zäher Nebel lichtet, nimmt ein betäubender Schwindel von ihrem Wesen Besitz. Unaufhörlich dreht sich die Welt, es gibt keine Orientierung, kein oben und unten. Schritte, eine Tür wird geschlossen – doch es gibt kein Bild zu diesen Geräuschen, keine Richtung.  Der Nebel senkt sich wieder.
Zeit vergeht. Sind es Minuten oder Stunden? Die sieben Sinne der Frau versuchen, Kontakt zur Wirklichkeit da draußen herzustellen. Wie Tentakel strecken ihre Sinne ihre Arme hinaus in eine Welt, die sie gestern Nacht mit Euphorie verlassen hatte: Sexualhormone, Cocktails und Adrenalin hatten sie in ein völlig anderes Universum entführt: Es war eine Welt ohne Zurückhaltung und Moral, ein Ort der Lust und Begierde.
Ein Funken Bewusstsein kehrt zurück. Der Hals kratzt, der Kiefermuskel schmerzt. Die Zunge ist trocken. Als die Frau vorsichtig die Augen öffnet, materialisieren sich Erinnerungsfetzen in ihrem Gedächtnis, verzerrte Fragmente des Geschehenen: Buntes stroboskopartiges Licht in einem Klub. Laute Beats. Bässe, die gegen ihre Brust rollen. Männer. Cocktails. Der Rhythmus der Musik versetzt ihren Körper in Schwingung.  Noch mehr Männer, noch mehr Drinks, noch gnadenlosere Beats. Sie sieht sich selbst zwischen Männern, die sie ansehen, berühren.
Kurz wandert das Bewusstsein der Frau vom Geschehenen ins Hier und Jetzt. Ein Mann liegt neben ihr. Muskulös, jung. Er schläft. Es gibt ein Gesicht zu diesem Mann, aber keinen Namen. Die Frau schließt wieder ihre Augen. Ein Moment inszeniert sich vor ihrem inneren Auge, wie ein Ausschnitt aus einem Kurzfilm: Der Mann, der jetzt schlafend neben ihr liegt, hat sie an die Wand gedrückt, an die Wand einer Aufzugskabine. Sie sieht sich selbst im Spiegel des Lifts: Trunkene Geilheit liegt in ihrem Blick, sehnsüchtige Erwartung in ihren Zügen. Der Mann im Spiegelbild fasst ihr unten den Leder-Mini und zieht ihr den String von den Hüften. Gierig schiebt er seine Hand in die feuchte Enge zwischen ihren Beinen. Sie lässt ihn zufrieden gewähren. Da geht die Tür der Liftkabine auf, sie stolpert in den Gang eines fremden Hotels, den Mann an der Hand hinter sich herziehend.
Ein Geräusch beendet den mühsamen Versuch, die exzessiven Vorkommnisse der Nacht zu rekonstruieren. Vorsichtig hebt Bridget den Kopf. Ein anderer Mann kommt gerade aus dem Bad. Er ist blond, schlank. Er grinst sie an und winkt ihr flüchtig zu. Dann verlässt er das Hotelzimmer.
Ein zweiter Mann? Weitere Erinnerungen kehren zurück. Der spendable Gentleman! Zahlte im Klub eine Runde nach der anderen. Ein geschickter Tänzer.
Leere. Noch immer bleibt vieles unscharf wie die Konturen eines misslungenen Fotos. Bridget gibt die Bemühungen des Erinnerns auf. Müdigkeit durchflutet sie, wieder triftet sie in einen schwerelosen Schlaf.
Als sie wieder erwacht, ist auch der Mann neben ihr verschwunden. Das Metall, das sich um ihr Handgelenk geschmiegt hatte, ebenso. Sie ist jetzt allein, das spürt sie. Das leise Echo eines stetigen Takts klingt in ihrem Körper nach: Drei langsame, tiefe und genießerische Rammstöße – gefolgt von sieben schnellen, gierigen, stakkatoartigen. Dann wieder drei langsame. Und wieder sieben schnelle. Dieser Rhythmus ist der Rhythmus der Nacht. So hat sie der Dunkelhaarige genommen, von hinten. Mit Lust und Kraft und Zielstrebigkeit. Geschah das alles nicht in der Toilette des Klubs? Wieder überkommt Bridget eine irritierende Verwirrung, die sie gerne ablegen würde. Warum nur hat sie nicht mehr Klarheit über das, was sie getan hat? Über das, was sie zugelassen hat? Über das, was die Männer mit ihrem Einverständnis mit ihr angestellt haben?
Nun hat der Blonde einen Auftritt in Bridgets Tagtraum:  Er steht vor ihr an der Bettkannte, während sie auf allen Vieren im Bett kniet. Der Mann bietet ihr seinen prall geschwollenen Schwanz an. Hastig haschen ihre gierigen Lippen nach dem pochenden Prügel des Mannes. Saftig und glatt rasiert ist dieses Glied, ein Leckerbissen. Der Mann packt sie an den Haaren. Sie sperrt ihren Mund auf, so weit sie kann…
Das Brennen zwischen den Beinen, der Schmerz im Kiefer. Langsam macht alles einen Sinn.
Bridget plagt sich aus dem Bett. Mit weichen Knien schleicht sie ins Bad, unter die Dusche. Während das warme Wasser die Sünden der Nacht hinwegspült, spielt ihr Geist mit ihren puzzleartigen Erinnerungen.  Wie eine Fliege an der Wand sieht sie sich selbst auf dem Rücken liegend im Bett. Ihr Arsch an der Bettkante, die Beine wie ein Skispringer zum V geöffnet. Der Dunkelhaarige steht zwischen ihren Schenkeln und fickt sie. Hinter dem Dunkelhaarigen steht der Blonde und spreizt energisch und mit einem teuflischen Grinsen ihre Beine auseinander. Damit der Dunkelhaarige leichtes Spiel hat.
Die Männer wechseln sich ab. Sie verhöhnt den Mann, der sie gerade gefickt hat: „War das schon alles? Länger kannst du nicht? Streng‘ dich doch endlich ein wenig an!“, keucht sie benommen. Dann ist der Blonde an der Reihe. „Jungs, mehr Einsatz bitte!“ Sie provoziert die Männer, spornt sie an, geilt sie mit ihren Worten auf.
Bridget huscht ein Lächeln über die Lippen, während sie den Duft des Shampoos genießt. Mit dem warmen Wasser kehren die Lebensgeister in ihrem sexuell befriedigten Körper zurück. Ein neues Gefühl ringt um ihre Aufmerksamkeit. Es ist das Knurren ihres Magens. Gestern hatte sie Appetit auf Männer, nun hat Bridget Appetit auf ein herzhaftes Frühstück. Wenn dies wirklich ein Hotel war, dann gab es sicherlich auch ein Frühstück für sie.
Als Bridget abgetrocknet, geföhnt und geschminkt aus dem Badezimmer kommt und einen Blick auf die Uhr wirft, muss sie ihre Frühstückspläne verwerfen. Es ist vier Uhr Nachmittag. Dann eben Abendessen. Skeptisch betrachtet sie ihre Klamotten: Absatzstiefeletten, Netzstrumpfhose, Leder-Mini, Trägertop, kurze Jacke. Die Männer werden ihr (neu)gierig hinterherblicken. Aber das ist sie ja gewohnt…  

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 4409

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Gedichte auf den Leib geschrieben