Es war ein eiskalter Januarmorgen im Jahre 1901. Der Zeiger des Thermometers hatte sich bei frostigen minus 15 Grad eingependelt. Es herrschten arktische Temperaturen im deutschen Kaiserreich und die Böden der Ackerflächen, des nördlich von Hannover gelegenen Gutes, waren bis in die Tiefe hinein gefroren. Das Leben spielte sich im Innern der Häuser ab und wer kein Dach über seinem Kopf hatte, sah sich der grausamen Natur des Winters schutzlos ausgeliefert.
Der Gutsherr, Otto von Geiwitz, war aufgrund dringlicher Geschäfte in Danzig unterwegs. Durch den anhaltenden, ja sogar zunehmenden, Import von Weizen aus Übersee, wurde überall heftig diskutiert, ob die vor einigen Jahren eingeführten Schutzzölle immer noch ein adäquates Mittel zur Eindämmung der ausländischen Konkurrenz seien. Der, aus einem alten Rittergeschlecht stammende Sohn eines Junkers hatte schon einige gesellschaftliche Veränderungen miterlebt, und sah gerade deswegen sorgenvoll in die Zukunft dieses neuen Jahrhunderts. Wie würde es mit dem riesigen Gut weitergehen, dass schon seit bald hundert Jahren im Besitz seiner Familie war? Er wusste es nicht!
In dieser schwierigen wirtschaftlichen Lage war Heinrich Greven, ein alter Freund Ottos, aus Königsberg angereist. Der Kommilitone aus seligen Studententagen, der zum ersten Male auf dem Gut zu Besuch war, hatte Amelie überredet einen Winterspaziergang durch den verschneiten Park des Anwesens zu machen. Otto von Geiwitz hatte seine gleichsam junge, wie gewissenhafte Bedienstete angewiesen, sich persönlich um seinen Gast zu kümmern, und sie freute sich über diese willkommene Zerstreuung. In dicke Pelzmäntel gehüllt schlenderten sie durch die traumhaft schöne Winterlandschaft. Die Eibenhecke trug eine dicke Schneehaube, und die kahlen Äste der alten Kastanien schienen mahnend in Richtung der Spazierenden zu zeigen. Amelie gefiel der ältere Mann und sie spürte intuitiv seine Begehrlichkeit. Sie fühlte seine neugierigen Blicke auf sich und ahnte, wie gerne er noch mehr von ihrem schönen Körper gesehen hätte. Die ganze Situation hatte etwas Unwirkliches und das junge Mädchen wähnte sich wie im Rausch. Heinrich Greven war ein charmanter Plauderer und so verflog die Zeit. Nach mehr als einer Stunde im eisigen Park begann Amelie zu frieren, trotz des dichten Mantels aus Zobelpelz, der ihren herrlichen Leib verbarg.
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