Die Amme

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Die Amme

Die Amme

Anita Isiris

Wir schreiben den 30. April 1879. Ausserberg ist ein 120-Seelen-Nest und liegt in einer hügligen Landschaft. Das Klima ist mild; die Natur hat es gut gemeint mit der Region und ihr etliche fruchtbare Moorlandschaften gespendet. Ausserberg ist von dichtem Tannenwald umgeben, und seltene Flechten leben seit hunderten von Jahren in glücklicher Symbiose mit Rot- und Weißtannen, und Füchse, Dachse, Eichhörnchen und Rehe fühlen sich hier sehr wohl.
In Ausserberg war die Kirche im Dorf, im wahrsten Sinne des Wortes. Eine schlichte, romanische Kirche trotzte mitten im Dorf der Unbill des Lebens und der unscheinbare Turm diente gleichsam als Blitzableiter.
Nichts vermochte die Dorfbewohner zu erschüttern. Es wurden Menschen geboren und beerdigt wie allenthalben, das Leben nahm seinen Lauf, die Kinder eilten zur Schule und die Alten humpelten zum Dorfplatz in der vagen Hoffnung auf etwas Unterhaltung, bevor ihr Lebenslicht verlosch.
Dann zog Marisa ins Dorf ein. Niemand wusste genau, woher sie kam, man munkelte jedoch, sie hätte ein schweres Schicksal hinter sich. Ihr ein- ziges Kind sei ihr vom Manne genommen worden, der im benachbarten Städtchen lebte, sie habe unerlaubt einem Künstler Modell gestanden, sei verleumdet und daraufhin verjagt worden, wie eine Hexe, der keiner ein Plätzchen zum Sein gönnte.
Marisa war eine Naturschönheit mit wilden braunen Locken, flammenden grünen Augen, und der liebe Gott hatte ihren Körper großzügig mit den Merkmalen ausgestattet, die eine Frau zur Frau machten. Ihr gebärfreudiges, breites Becken lockte die Männer, der wogende Hintern unter dem starken Leinen trug das Seine dazu bei. Marisas größter Schatz aber waren ihre Brüste. Keiner wusste, aber alle ahnten. Da war ein Prachtpaar, das sie unter weiten weißen Blusen verhüllte. Üppig, milchweiß vermutlich, mit feinen blauen Venen unter der hellen Haut, die wie Alabaster schimmerte. Marisas hohe Brüste hatten die elegante Form geschwungenen Rahms und wirkten wie zärtlich vom Wind gestreichelte Dünen. Die feinen Venen mündeten in traumhaften Brustwarzen, und es musste einer ein Griesgram sein, wenn er sie sich nicht liebend gerne in den Mund gesteckt hätte, wie die reifen Brombeeren, die am Rand des Kulmwaldes im Versteckten schimmerten.
Marisas gebückter, verhärmter Gang zum Markt aber bildete einen starken Kontrast zu ihrem vielversprechenden, lebenslustigen Körper, der sich ja schon einem Manne, dem Vater der kleinen Elisa nämlich, geöffnet hatte. Marisa brachte die Männerschläfen in Ausserberg zum Pulsieren, und auch die Schwengel, es sei offen gesagt, pulsierten. Marisa besetzte sämtliche Gedanken der
Männer im Dorf, die weit in der Überzahl waren. Darum wohl mussten die Frauen für zärtliche und gröbere Liebesspiele öfter hinhalten, als ihnen lieb war.
In Ausserberg wäre die klassische Hurerei undenkbar gewesen – den Männern blieb nichts anderes, als sich dann und wann an ihren Kühen und Schafen zu verlustieren, wenn es denn gar nicht mehr anders ging und die Frauen den Triebstau nicht mehr ertrugen. Die Praxis mit den Stalltieren war in vielen Bauerndörfern Gang und Gäbe und gab kaum zu Gerede Anlass. Die üppige, geile, wilde Marisa aber, mit ihrer verruchten Vergangenheit, entflammte die Seelen und Herzen. Im Geiste schürte der Pfarrer bereits das Feuer unter dem Scheiterhaufen, das Feuer, das Marisa eines Tages genussvoll, vor den Augen aller, verschlingen würde.
Marisa hatte ein Geheimnis. Ihre Brüste spendeten noch immer süße, fettige, gesunde Milch – bis vor wenigen Tagen hatte sie ja die kleine Elisa noch gestillt. Sie hatte beschlossen, diesen Milchfluss auf keinen Fall je versiegen zu lassen – dies tat sie ihrem sehnenden Mutterherzen zu Liebe. Jeden Abend, wenn sie ihren Busen ausmassierte und die durchsichtigen, klaren Tropfen ihre Brustwarzen schmückten, fühlte sie sich der kleinen Elisa verbunden. „Ich bin für dich da, Kleines, oh ja.“ Die Laktation war bei Marisa mit starken Lustgefühlen verbunden, was keinesfalls bei allen Frauen der Fall ist. Ihr ganzer Körper erschauderte, und ihr Unterleib wurde warm und weich.
Nun begab es sich, dass am Rande des Dorfes der kleine Nino das Licht der Welt erblickte. Seine Eltern waren begüterte Bauern, aber gegen das Kindbettfieber konnten auch sie nicht an – Ninos Mutter verschied noch im Wochenbett. Ninos Vater setzte alles daran, jemanden zu finden, der seinen kleinen Sohn ernährte – koste es, was es wolle. Milchpulver gab es damals noch nicht; man wusste jedoch, dass Kuhmilch einem Säugling Schäden zufügte. Nur Muttermilch führt zu warmer, innerer Beglückung und fördert das Gedeihen menschlicher Erdenwesen. Wie ein Lauffeuer ging die Kunde durchs Dorf. Eine Amme wurde gesucht. Eine Amme für Nino. Die Nachricht erreichte auch Marisa. „Wieso eigentlich nicht?“, überlegte sie. Auf diese Weise könnte sie sich ein kleines Zubrot ver- dienen, denn ihr Erspartes ging bereits zu Ende. Sie wusch sich gründlich und machte sich auf den Weg zum Gruber Bauern. Der Weg führte durch zum Teil unwegsames Gelände; Marisa überkam mehrmals das elende Gefühl, sie hätte sich verirrt. Endlich aber sah sie die Lichter des Gruberhofes in der hereinbrechenden Abenddämmerung.
Marisa beschleunigte den Schritt. Sie war erwartungsfroh, liebte den Gedanken, dass bald ein hungriger Säuglingsmund an ihr nuckeln würde. Das unfreundliche Gesicht des Bauern hellte sich sofort auf, als ihm klar wurde, wieso Marisa seinen Hof aufsuchte. „Der Kleine, klar. Das Balg braucht Milch. Gesunde, warme Muttermilch.“ Der Bauer war Marisa nicht sympathisch. Sie kannte diesen Blick, diesen abschätzigen Blick, der eine Frau in Brüste, Fotze und Arsch unterteilte. Sie überwand ihre Ablehnung jedoch, setzte sich hin und harrte der Dinge, die da kommen sollten, vor einer dampfenden Tasse Tee. Der kleine Nino war wirklich süß, hatte bereits dichtes schwarzes Haar und haselnussbraune Augen. Der Bauer richtete nicht viele Worte an Marisa und reichte ihr brummend den Buben. Eigentlich gehörte es schon damals zu den Gepflogenheiten von Männern, dass sie sich in derartigen Situationen diskret zurückzogen und eine stillende Frau in Ruhe ließen. Der Gruber Bauer setzte sich aber Marisa gegenüber an den Holztisch und starrte sie an. Was hätte sie tun sollen? Seufzend knöpfte sie ihre leinene Bluse auf und enthüllte ihre enormen Brüste. Sie hörte den Bauern schlucken. So, als wäre sie allein, massierte Marisa ihre flachen, hellbraunen Brustwarzen mit Ringelblumensalbe. Die Brustwarzen waren ihr Kapital. Sie mussten geschmeidig bleiben, durften keinesfalls Schrunden aufweisen, und Marisa betete zu Gott, dass Nino kein Beißer, sondern ein Sauger war. Beißen kann man nämlich ab dem ersten Lebenstag, auch ohne Zähne.
Der Unterkiefer des Gruber Bauern klappte auf, als Marisa sorgfältig ihre Nippel pflegte. So etwas hatte er noch nie gesehen. Dann dockte der Kleine an. Er saugte kräftig, und Marisas Brüste versorgten ihn mit köstlicher, süßer, fettiger Milch. Das Ritual dauerte keine dreißig Minuten. Dann schlief der Junge ein und Marisa verpackte ihren Busen wieder.
„Wie kann ich Ihnen danken?“, fragte der Mann heiser. „Oh... hierzu hab ich mir noch nichts überlegt“, antwortete Marisa in der ihr eigenen Bescheidenheit. Der Gruber Bauer kramte in einem Ledertäschchen und förderte ein Goldstück zutage, das er in Marisas geöffnete Hand legte. Sie stand auf, strich ihre Bluse glatt und wandte sich zum Ab- schied. Da hielt sie der Bauer zurück. „Da ist noch etwas“, sagte er heiser. „Da bin noch ich. Können wir reden?“ Sorgfältig legte er sein Kind zurück in die Wiege. „Kein schlechter Mann“, dachte Marisa bei sich. „Er liebt seinen Sohn.“ Sie empfand Mitleid für den Witwer, obwohl sie ahnte, dass er begütert war und rasch eine neue Frau finden würde, die sich um den kleinen Nino und dessen Vater kümmern könnte.
„Worum geht es denn?“, fragte Marisa neugierig. „Da drüben, in der Stube.“ Er forderte Marisa auf, auf einem kleinen Biedermeier-Sofa Platz zu nehmen. Sie füllte das Sofa beinahe aus. „Zeig sie mir noch einmal – bitte!“ Jetzt erst dämmerte es Marisa, worauf der Gruber Bauer hinaus wollte. Ihre Brüste! „Mein Gott“, stammelte Marisa. „Mein Gott!“
„Gott hat dich reich beschenkt“, sagte der Bauer. „Lass mich ein wenig an diesem Reichtum teilhaben. Ich bezahle gut.“ Marisa verstand sich als Amme, aber als Nutte keineswegs. Worauf hatte sie sich bloß eingelassen? „Will nur ein wenig nuckeln – wie mein Sohn“, flüsterte der Bauer heiser. „Dann lasse ich dich gehen – bitte...“

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