Antonios Hochzeit

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Antonios Hochzeit

Antonios Hochzeit

Anita Isiris

Mit ernster Miene teilt Paolo Lorenas gekräuselte Schamlippen. Sie sind tatsächlich gekräuselt, ihre inneren Labien, oder wirken zumindest so. Sie wirkten trotzig, verhalten, und vor allem unberührt, genau so, wie sich das für eine toscanische Braut gehört.

Bagno Vignoni ist nicht gerade das, was man Weltmetropole nennen kann. Dafür gibt es sie hier noch, die grossbusigen, schwarz gekleideten Mamme mit den runden Hüften und den Gesichtslandschaften, die Liebe, Lebensfreude, harte Arbeit und moralische Ermahnung zugleich ausdrücken. Lorena Fulvias Mutter war genau so eine. Sie führte einen winzigen Albergo, der im Sommer den Touristen offen stand, im Winter aber exklusiv Italiens Politikern unterschiedlichster Couleur. Ja, und Lorena Fulvias Mamma konnte kochen. Liebevoll hängte sie des nachts ihre handgearbeitete Pasta an lange Drähte, die quer durch ihre geräumige Cuccina verliefen, und es kam nicht selten vor, dass sie den schweizerischen, deutschen oder japanischen Gast mit dodici piatti diversi, mit zwölf verschiedenen Gängen, verwöhnte. Oh ja, sicuro. Zelina gehörte zur Generation von Frauen, die noch sangen beim Bügeln und tanzten beim Kochen. Zelina lebte von innen heraus, capisci? Noch heute gelten italiens Frauen bekanntlich als beste Hausfrauen weltweit, con un cuore grande come il mondo, aber spätestens seit den Siebziger Jahren hat selbst im Land von Maria Grazia, im bel paese von Benito Werauchimmer, in der Wahlheimat vom lieben Gott die Emanzipation eingesetzt. Noch heute sind es zwar die Italienerinnen, die die erotischste Unterwäsche tragen, die zeitgenössische Designkultur überhaupt hervorbringen kann, es sind die Toscanerinnen, Sizilianerinnen, Florentinerinnen und Mailänderinnen, die in der betörenden Kombination von langen Beinen, schwarzem Haar, lauten Orgasmen und einer Sprache, die selbst das Gotthardmassiv erweichen könnte, den globalen Männertraum verkörpern. Und es sind Frauen wie Zelina, die das Leben, la vita, wirklich von Grund auf verstehen. Capisci?

Antonio war derart hässlich, dass er sich im Grunde bloss des Nachts auf die Strasse wagen konnte, so denn sein Job dies auch erlaubt hätte. Antonio war Taxifahrer, und seine Kunden sahen ihn daher meist von hinten. Das war deren Glück, denn Antonios krumme, pickelbewehrte Nase, seine triefenden Augen, seine Hängebacken und seine Haifischzähne hätten vielen Touristen auch eine gewisse Dosis Angst einjagen können. Zudem hatte Antonio einen Buckel, und er war ausgesprochen kurzatmig. Sein grösstes Lebensglück aber war Lorena Fulvia, die er bereits seit der Grundschule kannte und die er seither innig begehrte. In zahllosen Masturbationsphantasien hatte er sie nackt auf einsame Felsen projiziert, er hatte sich vorgestellt, wie der Macellaio, der Dorfmetzger, im Kühlraum seine Triebe an ihr ausliess, es war ihm vorgeschwebt, seine Lorena Fulvia schmiege ihren runden Hintern, ihren culo, in den Ledersattel einer knallgrünen Lambretta, und er hatte sie in seiner wilden Phantasie gesehen, den fünf Dorfvoyeuren ausgesetzt, hinter einem hellen Vorhang sich ausziehend. Und jetzt durfte er sie heiraten. Das ganze Dorf war eingeladen, und, precipitevolissimevolmente, blitzschnell also, waren fünf zusätzliche Boccia-Bahnen erstellt worden, damit auch der Zio, der Nonno, der Fratello, der Macellaio, der Pompiere und selbstverständlich auch der Postino ihre Freude haben würden. Lorena Fulvias Hochzeitskleid musste ein Vermögen gekostet haben. In Milano geschneidert, in Taormina anprobiert, in Firenze auf offener Strasse getestet und in Bagno Vignoni mit kleinen roten Rosen verziert, war das edle Stück ein Volltreffer. Das Kleid selbst wollte verstanden sein mit seinen zahllosen Ösen, seinen Rüschen und seinem eingebauten Mieder. Lorena Fulvia aber hatte emsige Unerstützung durch ihre amiche, ihre Freundinnen, die sie bereits seit dem giardino, dem Kindergarten, kannte. “Il tuo seno e troppo grande”, “Dein Busen ist zu gross”, oder “questo colore non va“, „diese bunte Unterwäsche passt nicht”, waren noch die mildesten Ansätze von Kritik, die Lorena Fulvia über sich ergehen lassen musste. Dann endlich war es so weit. Die Dorfumusik blies einen Tusch, die Sonne trat hinter einer Wolke hervor und Kinderlachen aus der Ferne vertrieb die letzten Fetzen von Frühlingsnebel. Lorena Fulvia war bereit, bereit für Antonio, den Taxifahrer. Klar war Lorena Fulvia noch eine Vergine. Sie hatte sich, ähnlich wie Mutter Maria, aufgehoben für den Mann ihrer Träume, ihre “piccola festa matrimoniale”, ihre Hochzeitsnacht, kapriziert auf diesen einen und ewig dauernden Hochzeitstag. Böllerschüsse aus der Ferne deuteten darauf hin, dass da ein besonderer Tag anbrach in Bagno Vignoni, dass Antonio, il automobilista, Lorena Fulvia, la principessa ehelichen würde. Die Männer im Dorf waren so aufgeregt, als würden sie selbst Lorena Fulvia zur Frau nehmen. Jeder stellte sich die Hochzeitsnacht mit ihr auf seine Art vor. Jeder wusste (oder vermutete zumindest), dass die toscanische Schönheit als Vergine, als Jungfrau, die Ehe eingehen würde. In Gedanken gaben sie ihr besten Wein, Brunello, zu trinken, damit sie sich vor dem Akt entspannte. Mit klopfendem Herzen trugen sie sie über die Schwelle ins Hochzeitsgemach, das sich, wie könnte es anders sein, in Zelinas Albergo befand. Lorenas Mutter selbst entflammte die erotischen Fantasien der braven uomini, der Männer von Bagno Vignoni. Lüstern betrachteten sie ihren riesigen Hintern mit den Massen eines Tenntors, wenn sie im giardino, im Garten, Wäsche aufhängte. Und was für Wäsche das war! Die blütenweissen Unterhosen wirkten wie Zelte, die im sanften Wind hin- und her schwangen. Ihre Büstenhalter hätte man als Kuhtränken benutzen können, wären sie denn wasserdicht gewesen. Daneben nahmen sich die Klamotten ihres Gatten, seines Zeichens ein unscheinbarer Bauingenieur, wie kleine Kleckse aus. “Ein Prachtsweib”, murmelten die Dorfmänner unisono, einstimmig, und sie schmunzelten bei der Überlegung, ob Giovannis Pimmel überhaupt lang genug war, um tief in die Vagina von Zelina einzudringen. Irgendwie musste es aber geschehen sein: Die hübsche Figlia, die Tochter Lorena Fulvia, war Beweis genug.

Alle hielten den Atem an, als Lorena Fulvia stolz aus dem Albergo ins Sonnenlicht trat. Ihr schwarzes glänzendes Haar war mit Hyazinthen geschmückt. Ein elegantes Perlencollier zierte ihr grosszügiges Dékolleté. Die zahllosen Rüschen, Falten und Bordüren ihres schneeweissen Hochzeitskleides verbargen zwar so ziemlich alles von ihrer Figur, was zu verbergen war, die Fantasien in den Köpfen der Hochzeitsgäste liefen aber heiss. Was sie wohl „darunter“ trug? Ob sie in den Achseln rasiert war? Ob die Schminke hielt, wenn Antonio, gierig wie ein wildes Tier, in der folgenden Nacht über sie herfallen würde? Ob der herrliche Brunello, den sie im Lauf des Abends trinken würde, ihre Brustwarzen prall und fest werden liess, wie man es diesem Wein nachsagte? Im Hintergrund dampfte die geheimnisvolle Thermalquelle aus römischer Zeit, als die Welt noch in Ordnung war. Selbst der Bach, der durch Bagno Vignoni floss, führte warmes Wasser, war somit ein Quell der Lebensfreude für die Einwohner nicht nur des Dorfs, sondern auch der näheren Umgebung. Die Leute klatschten und waren so begeistert, dass manches Apéroglas zu Boden fiel und zerschellte. Man liess sich die Crostini auf der Zunge zergehen, die Kinder tranken glückstrahlend Chinotto und Arancie Amare, delikate Getränke, die normalerweise den Erwachsenen vorbehalten waren. Sie streuten Blumen vor Lorena Fulvia, was sie in noch schönerem Glanz erstrahlen liess. Dann hielten alle den Atem an, es wurde still. Selbst die Böllerschüsse und das Kirchengeläut verstummten. Antonio trat in Erscheinung, mit auf Hochglanz gewichsten halbhohen Stiefeln, einem Hochzeitsanzug wie aus 1001er Nacht mit eleganten Fischgräten, einem senfgelben Hemd mit einer edlen Halskrause und einem kleinen Zylinder, der ihm etwas Majestätisches verlieh. Vergessen waren Buckel, Haifischzähne und triefende Augen. Hier schritt ein Mann auf seine Braut zu, der das Herz am rechten Fleck hatte und mit ihr mindestens dodici bambini, zwölf Kinder, zeugen würde. Stolz schritten die beiden Hand in Hand durchs Blumenmeer, das sie der Dorfjugend zu verdanken hatten, und selbst die kleine chiesa, die Kirche, erzitterte vor Rührung in ihren Grundfesten ob dem ungleichen Paar. Schweigend und etwas abseits stand Der Fotograf, il fotografo. Er war ein straniere, ein Auswärtiger, den niemand im Dorf so recht kannte – ausser Antonio, der ihn in seinem Taxi zeitweilig an “Orte des Geschehens” manövrierte. Der Fotograf war freier Künstler und suchte Inspiration an diesem toscanischen Ort der Liebe und der Erholung. Wie bereits erwähnt, übertrug Antonio des öftern seine reiche Fantasie auf die neben ihm einher gehende Braut. Er liebte Bilder. Klar. Er stammte ja aus dem Land von Michelangelo und Leonardo Da Vinci. Und er wollte seine Braut in Szene setzen, sich selbst beweisen, dass er wirklich derjenige war, der sie an den Traualtar führte. So kam es also zum Auftrag an den Fotografen, Lorena Fulvia vierundzwanzig Stunden lang zu fotografieren, ihren Hochzeitstag zu dokumentieren, und zwar von allem Anfang an. Das stellte sich als gar nicht so einfach heraus, denn ein derart intimes Projekt hätte doch bestimmt den Protest der braven aber resoluten Zelina, Lorena Fulvias Mutter, geweckt. Der Fotograf, Paolo mit Namen, musste sich also mit einem bestimmten Vorwand frühmorgens den Weg in Lorena Fulvias Gemächer bahnen. Dies gelang ihm auch, denn er war nicht ein Mann von Interesse, dessen Wege man verfolgte. Es genügte Zelina und den Ihrigen vollauf, als er leichthin erklärte, er müsse auf dem Dachboden des Albergo Material archivieren. In Wirklichkeit öffnete er vorsichtig die Tür zu Lorena Fulvias Schlafraum und traf sie an, wie sie gerade dabei war, sich anzuziehen. Sie wusste von Antonios Wunsch, zierte sich aber dann doch eine ganze Weile vor Lorenzos Linse. Dieser redete nicht viel und beschäftigte sich laufend mit den Einstellungen seiner Kamera. Lorena Fulvia beim Anziehen ihrer schwarzen Unterwäsche, Lorena Fulvia beim Aussuchen der Strümpfe, Lorena Fulvia beim Gesichtwaschen, beim Zähneputzen, beim Kämmen und beim Pinkeln. Paolos Herz raste. Was für eine begehrenswerte Frau das doch war! Und ER war derjenige, der hier wirklich verbotene Bilder von ihr machte. War er dio, der liebe Gott? Lorena Fulvia legte allmählich ihre Scham ab und forderte Lorenzo heraus. “Magst Du meine linke Brust fotografieren? Hm? Wir tun es ja für meinen Antonio…” seufzte sie und zog das Körbchen herunter. Was Paolo, mit trockener Kehle versteht sich, zu sehen bekam, war aber kein gewöhnlicher Busen, wie er sich das von seinen Modellen gewohnt war. Lorena Fulvias Seno war eine Landschaft. Eine Landschaft mit milchig weisser Oberfläche, ein paar zarten kleinen Venen, die durchschimmerten, einem spitzen Verlauf und einem Gipfelchen aus schokobrauner Haut, die sich in diesem Moment, wie in Zeitlupe, zusammenzog und höchste Erregung signalisierte. Lorena Fulvia machte es Spass, sich verbotenerweise zu zeigen. “Wir haben nicht mehr viel Zeit, gleich wird meine Mutter kommen und mir beim Anziehen des Hochzeitskleides helfen“, sagte sie aufgeregt.

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