Auswärtsspiel

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Auswärtsspiel

Auswärtsspiel

Ludique

Leise schließe ich die Wohnungstür hinter mir. Bis auf die funzelige Flurlampe ist es dunkel, nur im Wohnzimmer phosphoresziert der Fernsehschirm. Ich schlüpfe aus meinen Schuhen und pirsche mich in Richtung Lichtquelle. Ole sitzt auf der Sofakante, nach vorne gebeugt, als wäre er ein Sprinter vor dem Start, die Ellenbogen auf die Knie gepresst. Wie ein Scherenschnitt heben sich seine zerrauften Haare von dem erleuchteten Viereck ab. Ich schenke dem Geschehen auf der Mattscheibe nur einen flüchtigen Blick. Wie Objekte auf einem Radarschirm ziehen die kleinen Figuren ihre unberechenbare Bahn über das grelle Grün, untermalt von der bellenden Staccatostimme des Kommentators. Ich warte ab, bis Ole die zur filigranen Aschensäule heruntergebrannte Zigarette ausgedrückt hat, dann klettere ich vorsichtig über die Rückenlehne und hocke mich hinter ihn.Der späte Sommerabend ist drückend heiß. Ole hat das Hemd ausgezogen, seine Haut schimmert feucht. Einen Moment lang vertiefe ich mich in das Spiel der flachen und tiefen Schatten auf seinem kräftigen Rücken, dessen Anblick mir regelmäßig ein wohliges Kribbeln beschert. Dann setze ich meine Fingerspitzen auf seine Schulterblätter und beginne ihn sanft zu massieren. Er zuckt nur leicht zusammen und japst einmal kurz, aber er dreht seinen Kopf nur halb, denn gerade eben sind zwei der Objekte auf dem Bildschirm kollidiert. Das amorphe Klangrauschen von der Tribüne schwillt an wie ein Orkan, der Kommentator zetert wie Goebbels vor dem Reichsparteitag. „Ich bin's nur", hauche ich in Oles Ohr und küsse seinen Nacken, dann gleiten meine Daumen mit leichtem Druck seine Wirbelsäule entlang bis unter den Bund seines Slips und wieder nach oben.„Was machst du denn da?", murmelt er und verfolgt gebannt, wie der Schwarze Mann im TV seine farbigen Karten sortiert.

„Ich spiele nur ein bisschen", wispere ich und lasse ihn ganz zart die Schärfe meiner Fingernägel spüren. „Soll ich aufhören?"„Vielleicht warten wir bis zur Halbzeitpause..." Oles Reibeisenstimme und die Gänsehaut unter meinen Händen sprechen eine andere Sprache. Ich ziehe mein T-Shirt hoch, schlinge die Arme um seine Brust und drücke meinen nackten Busen gegen seinen Rücken. Schließlich ist nicht nur der Ball rund. Ole atmet langgezogen ein. „Nein, mach weiter!" Geduckt rutsche ich vom Sofa und tauche in das Dunkel zwischen seinen Beinen. Die Erregung auf dem Spielfeld, wo der gegnerische Mannschaftskapitän gerade die Freistoßposition einnimmt, hat ihn fühlbar angesteckt. Ich brauche mein ganzes Geschick, um seine Jeans aufzuknöpfen. Ich schiebe mir noch ein Kissen unter die Knie, dann widme ich mich meinem Werk der christlichen Nächstenliebe.Das Tor in der 42. Spielminute nach Steilvorlage des Rechtsaußen erlebt Ole leider nur halb bewusst, denn just in diesem Moment kommt er selbst zum Schuss. Sein gutturales Stöhnen ist schwer zu verstehen, und doch glaube ich ein Echo des hysterischen „Toooor!"-Röhrens aus den Fernsehlautsprechern wahrzunehmen. Ein letztes Mal dribbele ich mit der Zunge über seinen Schwanz, dann angele ich mir die Bierflasche vom Tisch, nehme einen tiefen Schluck und schleiche auf allen Vieren ins Abseits zurück. Ole hängt in der Sofaecke, als wäre er gefoult worden. Ich mache mir keine Illusionen, dass das beseligte Lächeln auf seinem Gesicht mir zu verdanken ist und nicht der wiederholten Torszene, die gerade über die Mattscheibe flimmert.Ich höre noch den Pfiff, mit dem der Schiri die erste Halbzeit beendet, dann ziehe ich die Wohnungstür hinter mir ins Schloss. Meine Freundin Mia wartet schon an der Theke unserer Stammkneipe. Wir prosten uns zu, während wir die Schlüsselbunde tauschen.„Und?", frage ich und senke die Stimme verschwörerisch. „Bei dir auch alles glatt gegangen?" Mia nickt.„Nur dass dein Matthias für einen Moment irritiert schien, als er meine kurzen Haare fühlte. Aber es hat ihm offenbar nicht wirklich zu denken gegeben. Na ja, David Beckham hat schließlich auch andauernd eine neue Frisur."Wir scheitern bei dem Versuch, ein zweites Getränk zu bestellen. Das gesamte Thekenpersonal schart sich mit den spärlichen männlichen Gästen um einen kleinen tragbaren Fernseher. Wir sehen uns ratlos an, zucken die Achseln und verlassen den heute ungastlichen Ort. Trotz der schönen warmen Nacht ist die Straße menschenleer. Kein Auto fährt. Überall dringt der geisterhaft grünliche Schein der Mattscheiben aus weit offenen Fenstern.„Kommst du noch mal mit zu uns?", frage ich Mia. „Ole wird dich sicher noch nicht vermissen."„Ole? Ich werde ihn in Zukunft anders nennen. Nicht mehr Ole, sondern..." Mia tänzelt im Sambaschritt über den Bordstein und kickt mit der spielerischen Eleganz eines brasilianischen Favela-Talents eine Coladose über die Straße. „Olé!"

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