Bahnhofsmilieu

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Yupag Chinasky

Geschenk für eine Krankenschwester

Nach dem herzlichen Abschied ging er tatsächlich zurück in sein Hotel, in das altmodische Grand Hotel mit seinem nostalgischen Ambiente, mit der pompösen Eingangshalle, den Fresken an den Wänden und einem Fahrstuhl mit schmiedeeisernem Gitter. Aber er war noch nicht müde. Die exotische Sängerin mit ihrer warmen, einschmeichelnden, erotischen Stimme, mit ihrer sinnlichen, körperlichen Nähe und ihrer lasziven Ausstrahlung hatte ihn so angetörnt, dass er beschloss, noch einen Abstecher an die Bar zu machen. Er brauchte noch etwas Abkühlung, etwas Distanz, einen Absacker, um ruhig einschlafen zu können. Auch hier, in der Bar, war nur wenig los, ein Pärchen beim Tête-à-tête, ein ebenfalls gelangweilter Barkeeper und dann war da noch eine Frau, eine einsame Frau, die auf einem der Barhocker saß und ein fast leeres Cocktailglas vor sich stehen hatte. Sie sah aus wie eine Geschäftsfrau, fand er, als er sich ebenfalls an die Bar setzte und sie verstohlen musterte. Eine Geschäftsfrau, die nach einem arbeitsreichen Tag mit vielen anstrengenden Besprechungen und wichtigen Entscheidungen ebenfalls noch nicht abschalten konnte und vor dem Einschlafen noch einen Drink brauchte, genau so wie er. Eine seriöse, nicht mehr ganz junge Frau, in geschmackvoller Kleidung, bei der nichts darauf hindeutete, dass sie etwas anderes im Sinn haben könnte, als das, was sie gerade tat, nämlich sich noch einen späten Drink zu genehmigen. Höchstens die Tatsache, dass sie allein und um diese Zeit in der Hotelbar saß und sich dabei ganz offensichtlich langweilte, hätte einem zu denken geben können. Denn kaum hatte er sich gesetzt und ein Bier bestellte, er trank fast immer Bier, verwickelte sie ihn in ein Gespräch, froh, dass endlich noch jemand zur Unterhaltung gekommen war. Sie redeten über belanglose Dinge, über das Wetter, die Stadt, das Leben als solches, schäkerten ein wenig und er machte ihr ein Kompliment, dass sie auch noch zu so später Stunde hervorragend aussehe. Das fiel ihm nicht schwer, denn sie sah in der Tat ganz gut aus. Sie freute sich und bedankte sich artig mit einem unschuldigen Augenaufschlag. Das gefiel wiederum ihm und er spendierte ihr einen Cocktail, einen Caipirinha, wenn auch erst nach einigem Zögern, denn er war ja einer, der das Geld zusammen hielt und unnötige Ausgaben scheute, Ausgaben, die sich nicht rentierten und heute hatte er schon eine getätigt, eine für die Sängerin, die sich jedoch zweifellos gelohnt hatte. Dennoch schwankte er, ob es angebracht sei, auch einer Geschäftsfrau einen Drink zu bezahlen, einer, die sicher selbst genügend Geld hatte. Aber er war gut gelaunt, hatte wohl seine Spendierhosen an und zudem das Gefühl, es würde sich vielleicht doch noch lohnen.

Das Gespräch plätscherte wieder eine Weile dahin und er erfuhr zu seinem Erstaunen, dass die seriöse Dame keineswegs eine Geschäftsfrau, sondern Krankenschwester von Beruf war und auch nicht im Hotel wohnte, sondern eine kleine Wohnung in der Stadt hatte. Er fragte sich um so mehr, was sie denn wohl hier mache, scheute sich aber, die Frage direkt an sie stellen, erhielt jedoch sehr bald eine Erklärung, allerdings nicht im Verlauf der nichtssagenden Unterhaltung. Diese trachtete er nach einiger Zeit zu beenden, denn der Alkohol und die wohlige Wärme der Bar hatten ihn schläfrig gemacht und er sehnte sich nach seinem Bett, nach dem breiten, weichen Doppelbett des Grand Hotels mit seinen schneeweißen, lavendelduftenden Laken und den nostalgischen Daunenkopfkissen. Er rief dem Barmann, der nach wie vor lustlos vor sich hinstarrte, zu, er solle das Bier und den Cocktail und auch noch ein Trinkgeld auf seine Zimmerrechnung setzen, Zimmer 125. Der Barmann nickte, tippte etwas in seine Kasse und gab ihm den Beleg zur Unterschrift. Die Frau hatte interessiert zugeschaut und zugehört, und als er ihr sagte, es sei Zeit für ihn, antwortete sie, ja es sei wohl Zeit für kleine Jungs,aber es sei schade, dass er schon gehen wolle. Und dann, ja dann fügte sie unvermittelt hinzu, was er davon halte, wenn sie ihn auf sein Zimmer begleite oder nachkomme, Zimmer 125, das war doch die Nummer, oder? Er war perplex. Was er von einem schönen gemeinsamen Ausklang des Tages halte, fuhr sie fort. Mit dieser Wendung der Dinge hatte er nicht gerechnet. Nein, damit nicht. Er stammelte verlegen herum, von wegen müde und morgen anstrengender Tag, sagte aber weder ja noch nein. Sie lächelte ihn nun sehr verführerisch an und wiederholte, dass sie sich doch noch einen schönen restlichen Abend zu zweit machen könnten, auf seinem Zimmer, ganz intim und dass er ihr nur ein kleines Geschenk geben solle: un petit cadeaux, C’est tout. Er wusste beim besten Willen nicht, wie er reagieren sollte, stand auf, druckste noch verlegener herum als zuvor, sagte schließlich „bonne nuit“, verließ irritiert die Bar und die Frau und ging, leicht schwankend, in Richtung des schmiedeeisernen, nostalgischen Aufzugs. Die Frau war anscheinend über sein Verhalten gar nicht verwundert und rief ihm nach, dass sie also kommen würde.

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