Bahnhofsmilieu

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Yupag Chinasky

Dann streckte sie fordernd ihre Hand aus, während er immer noch halb gelähmt, halb verängstigt zwischen Zimmertür und Bett stand und diese Frau, diesen halb willkommenen, halb unwillkommenen Eindringling, nahezu dämlich anglotzte. „Alors, qu’est-ce que c’est?“ fragte sie gurrend. Er tappte zum Schreibtischstuhl, über dessen Lehne sein Jackett hing, holte die Brieftasche aus der Innentasche und fingerte die gewünschten Scheine aus dem Geldfach. Dabei verfluchte er seine Dummheit und auf was er sich da eingelassen habe. Die Frau nahm schnell das Geld, steckte es in ihre Handtasche, lächelte ihn an und kam dann gleich zur Sache. „Eh bien, allons commencer“, meinte sie geschäftsmäßig und begann sich routiniert auszuziehen. Erst ihre Kostümjacke, dann die hochhackigen Schuhe, danach knöpfte sie ihre Bluse auf, legt sie ab und hielt inne. „Et toi ? Viens! Mach schon.“ Darauf hin begann er nun auch, sein Hemd aufzuknöpfen und an seiner Hose herumzufummeln. Sie fuhr mit ihrem Nicht-Striptease fort und streifte den engen grauen Rock über die recht breiten Hüften und macht sich daran, die Strumpfhosen abzurollen. Bei ihrem Tun beobachtete sie kritisch, wie er sich ungeschickt und fahrig auszog. Sie merkte ihm deutlich an, dass er Schiss hatte, und sagte etwas spöttisch, aber dennoch beruhigend: „Mein armer Kleiner, nur keine Aufregung, Mama wird schon alles richten.“ Schließlich stand sie vor ihm, nackt wie Gott sie erschaffen hatte, eine durchaus ansehnliche Frau mit ein paar kleinen Problemzonen um die Hüften, den Bauch und den Po herum. Auch sie eine Frau aus der Nachbarschaft, eine Kollegin, nichts Verruchtes, nichts was ihn an Rotlicht und Neonleuchten erinnerte. Eine Frau, genauso seriös wie die, mit den schwarzen Leggins. Sie wartete, bis auch er sich vollends aus seinen Kleidern geschält hatte, dann nahm sie ihn an der Hand, genauso wie die Sängerin im „La Tangueria“, nur dass sie ihn nicht zum Tanzen animieren wollte, sondern ihn zum Bett dirigierte, auf dem sie dann auch gleich lagen. Dort setzt sie ihren Job professionell fort, aber es dauerte doch eine ganze Weile und erforderte von beiden einiges an Anstrengungen, bis er bereit war, sich diesem warmen Körper hinzugeben und in ihn eindringen konnte. Aber letztlich ging doch alles glatt. Fast zu glatt, wie er am Ende des Aktes bedauernd fand, zu glatt und zu schnell für das viele Geld, aber so ist das nun mal in diesem Geschäft und es ist immer besser, wenn es glatt geht, als wenn es gar nicht geht. Nachdem also der Gipfel des Tigerbergs erreicht und rasch überschritten war, hatte die Liebe auch schon ein Ende. Sie stand auf, ging ins Bad, kam wieder zurück, zog sich an, gab ihm, der immer noch erschöpft da lag, einen flüchtigen Kuss auf die Wange, genauso wie die Sängerin, und verschwand mit einem: „au revoir chérie et merci et peut-être une autre foie“. Er wusste nicht ob er sich über das viele Geld und die letztlich zu kurze Phase des Vergnügens ärgern oder mit dem Erreichten doch lieber zufrieden sein sollte. Ärgern wollte er sich aber jetzt nicht mehr, denn er war richtig wohlig müde und das Geld war nun mal weg und so beschloss er, dass es ein schöner Tag gewesen war, wickelte sich in das Lacken, löschte das Licht, drehte sich zur Wand und schlief ein.

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Gedichte auf den Leib geschrieben