Begossener Pudel

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Begossener Pudel

Begossener Pudel

Irena Böttcher

Sie hat es schon wieder getan. So oft habe ich sie darum gebeten, ja, geradezu angefleht habe ich sie, mir das zu ersparen. Irgendwer hat sie auf diesen komischen Pott gesetzt, dass devote Männer die Demütigung brauchen wie die Luft zum Atmen und die Finger zum Rubbeln. In Ordnung, gut – wenn es ihr Spaß macht, dafür ertrage ich es, dass sie mich beschimpft, mich herumkommandiert wie einen kleinen Jungen, der noch Windeln trägt.
Es merkt ja keiner.
Aber sie besteht darauf, immer wieder den besonderen Reiz dieser ganzen bescheuerten Spiele in der Öffentlichkeit zu genießen.
Weiß sie gar nicht, dass die Leute über sie genauso lachen wie über mich, bei jeder dieser beschämenden, plumpen Vorführungen? Ist ihr nicht klar, wie sie alle lachen, sich amüsieren, und sich dabei kaum die Mühe geben zu warten, bis wir ihnen den Rücken kehren, sondern uns ins Gesicht lachen?
Ich ertrage es nicht.
Oh Gott, es war so peinlich. Einfach aus der Hand genommen hat sie mir den Teller mit den Salaten vom kalten Büfett, ihn auf den Boden gestellt. "Ich habe zwar noch nie davon gehört, dass Hunde Salat fressen – aber wenn, dann bestimmt nicht mit Messer und Gabel im Stehen, sondern aus einem Napf. Also, halte dich dran."
Ich hasse diese Hundespiele ohnehin. Sie hat schon recht; es ist mit das Demütigendste, was ich mir vorstellen kann. Deshalb macht sie sie ja. Aber auch noch vor aller Augen! Die meisten haben gar nicht wirklich verstanden, was da abging; aber gekichert und geprustet haben sie alle trotzdem. Ist ja immer ein innerer Vorbeimarsch, wenn ein anderer genau die Alptraumsituation erlebt, vor der man sich selbst fürchtet. Lächerlich gemacht werden vom Partner. Das Lachen war auch Befreiung, dass für diesmal der Kelch an ihnen vorübergegangen ist und einen anderen übergossen hat. Begossen. Wie den sprichwörtlichen Pudel. Der kann sich auch nicht schlimmer gefühlt haben als ich in diesem Augenblick. Passt ja auch gleich in doppelter Hinsicht, der Vergleich mit dem Pudel.
Natürlich wäre ich am liebsten sofort verschwunden, aber sie wollte es ja auskosten, mich unter der Knute zu haben; es den anderen zeigen, was man alles machen kann mit einem dressierten Ehemann.
Das Blitzen ihrer Augen sagte mir genug. Hier nachgeben – oder mindestens drei Wochen lang für aufrechte Sturheit bezahlen. Und Ruhe hätte ich danach auch auf dieser Feier nicht gehabt. Ich hatte keine andere Wahl. Ich schäme mich, es zugeben zu müssen – auf alle Viere bin ich gegangen und habe ein Salatblatt genommen. Es steckte mir lange Zeit quer im Hals wie ein tonnenschweres Zementstück.
Sie war zufrieden.
Das Verrückte ist, sie bildet sich tatsächlich ein, ich bekäme einen hoch von solchen Szenen. Ob sie es erregt – das weiß ich gar nicht. In den Situationen selbst ist meine Scham so überwältigend, dass ich an nichts anderes denken kann; und nachher würde ich den Teufel tun und die Sprache noch einmal auf den Blödsinn bringen.
Anfangs, ja, da habe ich noch versucht, es ihr auszureden, solche Spiele mit mir zu veranstalten. Völlig witzlos, das ganze Bemühen. Jedenfalls – ihre Erregung war dabei das letzte, was für mich eine Rolle gespielt hätte.
Das muss sie gespürt haben; diesen inneren Widerstand von mir, ihr in dem Punkt nachzugeben. Und prompt hat sie alles darangesetzt, mich zu erziehen. Mehr als ein Jahr macht sie das nun schon. So langsam kann ich mich nirgendwo mehr sehen lassen. Jede Gelegenheit von Öffentlichkeit versuche ich zu meiden wie die Pest; aber sie lässt mich nicht in Ruhe. Zwei-, dreimal in der Woche schleppt sie mich unter Leute, und nie weiß ich, wann ihre Stimmung umschlägt und sie wieder so einen Affentanz veranstaltet wie gestern. Einen Hundetanz vielmehr.
Heute Abend ist wieder etwas. Ein kleiner Theaterbesuch. Ganz schlicht. Die Begleitung allerdings, die wird nicht sehr schlicht sein. Ihr Chef, nebst Gattin. Da wird sie es wohl nicht wagen, mich zum Hund zu degradieren.
Nein, sie wird es nicht wagen. Nur – diesmal hat sie die Rechnung ohne mich gemacht.
Geil sieht sie aus, in ihrem langen Schwarzen. Nur etwas unpraktisch, das Teil, für das, was ich vorhabe. Vielleicht kann ich sie überreden, das kurze Schwarze anzuziehen?
"Schatz, bist du sicher, dass du es so sehr übertreiben solltest? Ich meine, wir sollten auf keinen Fall bei deinem Chef den Eindruck erwecken, als sei ein Theaterbesuch etwas Ungewöhnliches. Der hält dich glatt für einen Kunstbanausen. Es ist doch einfach normal, ins Theater zu gehen. Natürlich musst du dich schön machen dafür. Aber du siehst doch immer toll aus, egal was du anziehst. Nur – vielleicht etwas weniger Förmliches?"
Unschlüssig sieht sie mich an. "Meinst du wirklich? Ich weiß nicht ..." Zögernd fingert sie an ihren Dutzenden von Abendkleidern herum. "Ich will ja auch nicht aussehen wie eine Landpomeranze, wenn sie in lang kommt." "Warum nicht? Stell dir vor, sie glaubt, auf dich herabblicken zu können – dann sieht sie keine Gefahr in dir und lässt sich womöglich sogar aus Mitleid dazu herab, ihrem Mann vorzuschlagen, dich zu befördern. Während in Wirklichkeit doch aller Augen nur dir gelten. Und, bedenke, wenn es andersherum wäre, du in lang kommst, und sie etwas Kurzes trägt – dann fängt sie gleich an zu kratzen und zu beißen."
Sie weiß nicht so recht, was sie tun soll. Also erleichtere ich ihr die Entscheidung, greife mir das kurze schwarze Kleid. "Sieh mal, warum solltest du deine herrlichen, wohlgeformten Beine verstecken? Ich sehe sie so gerne – und dein Chef tut das bestimmt auch."
Das überzeugt sie. Ich werde heute Abend ganz genau hinschauen müssen, was zwischen den beiden abgeht. Nichts dagegen, dass sie fremden Männern den Kopf verdreht. Weiter allerdings sollte das nicht gehen.
Natürlich braucht sie wieder stundenlang im Bad. Als ob sie das nötig hätte, sich zu schminken. Schon ganz ohne diesen Pastenkram sieht sie besser aus als manche Frau mit haufenweise Farbe im Gesicht.
Nachher sucht sie ihren Schlüssel, vergisst die Tempos, wechselt in letzter Sekunde die Schuhe – und so weiter. Man kennt das ja als Mann. Immerhin kommen wir dank meiner vorausschauenden Planung nur zehn Minuten zu spät vor dem Theater an; und da gnä' Frau Chefin anscheinend noch länger braucht, um sich anzuhübschen, sind die beiden noch später, und wir machen Punkte.
Etliche scheißfreundliche Sätze und endloses Flanieren und Umsehen später geht endlich das Licht aus.
Es ist so weit. Ich muss schnell sein, noch bevor das Stück selbst für Ablenkung sorgt. Soll übrigens ganz gut sein – eigentlich schade, dass wir es versäumen werden.
Mitten in die laut atmende, zum Teil noch flüsternde Spannung vor dem Heben des Vorhangs hinein stehe ich auf. Ein paar verwunderte Blicke ernte ich, aber das ist mir egal. Das wird noch viel mehr werden an Aufmerksamkeit, bevor ich fertig werde.
Ich lege den Kopf zurück, stoße ein lautes Heulen aus. Wer bisher noch nicht auf unsere kleine Vierergruppe geachtet hat, tut das spätestens jetzt. Dann lasse ich mich auf alle Viere nieder – gar nicht so einfach in dem engen Raum zwischen zwei Sitzreihen -, schnaufe, hechele, und nähere mich unaufhaltsam dem Schoß meiner ersichtlich absolut schockierten Frau.
Wie ein unerzogener Hund schiebe ich meine Schnauze – äh, nein, meinen Mund – zwischen ihre Beine, arbeite mich langsam nach oben, belle einige Male unterdrückt, mit Stoff vor dem Mund. Schade, dass sie einen Slip trägt – ohne wäre es noch besser. Das ist schon weit erregender als die Dinge, die ich armer Hund sonst machen durfte.
Endlich löst Frau Chefinsgattin sich aus ihrer Erstarrung. Mit einem empörten Aufschrei erhebt sie sich, schiebt sich fregattenartig an den anderen Zuschauern vorbei in den Gang nach draußen, gefolgt von ihrem nicht weniger entsetzten Männe.
Meine Frau sitzt da, den Tränen nahe.
Ich hebe den Kopf und grinse sie an. "Du magst es doch, wenn ich in der Öffentlichkeit Hund spiele, oder etwa nicht?"
Nun, anscheinend wohl doch nicht. Ich schätze, das war das letzte Mal, dass ich als Pudel aufgetreten bin.

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