Behinderung 1. Teil
Heute besucht er mich, er, den ich noch nie gesehen habe und der soviel über mich weiß. Er kennt meine Wünsche, meine Schmerzen und meine Witze. Monatelang unterhielten wir uns beinahe täglich, wie eine Büchse der Pandora öffnete sich uns das gegenseitige Interesse und ergoss sich in eine Zuneigung, die nur unter wirklichen Freunden entstehen kann. Heute hat er in meiner Gegend beruflich zu tun und kommt nachmittags vorbei. Ich habe eine Sushiplatte vom Japaner kommen lassen und meine Abendbetreuerin abbestellt. Als es klingelt, gerate ich ins Schwitzen, so aufgeregt bin ich. Vorsichtig nähern sich Schritte meiner Wohnungstür. Als sich unsere Blicke endlich treffen, umarmen wir uns herzlich. Es dauert einen Moment, bis ich seinen leidenschaftlichen Begrüßungskuss erwidern kann, dann lasse ich mich darauf ein, mit meiner Zunge die seine zu umarmen. Ich spüre, auch er ist aufgeregt. Und ich bin froh darüber. Wir genießen Prosecco, Sushi und light Jazz, und er hebt mich aus meinem Rollstuhl aufs Wohnzimmersofa und setzt sich dazu. Wie mir das gut tut, so nah an ihm zu lehnen, ihn zu riechen und zu schmecken, und ganz ohne störende Armstützen dazwischen. Er ist heute meine Stütze, und ich öffne sein Hemd und berühre seinen nackten Oberkörper. Bald hebt er mich auf und trägt mich ins Schlafzimmer. Er lässt mich sanft auf mein Bett gleiten, öffnet meine Seidenbluse und zieht mit den Zähnen das dünne Seidenhemd bis zu den Brüsten hoch, um mit dem Mund darin einzutauchen. Die Brustwarzen richten sich steil auf, während er jeden einzelnen Quadratzentimeter mit seinen Küssen erobert. Geschickt hebt er mit einem Arm meine Taille hoch, während er mit der anderen Hand die Stretchhose nach unten zieht. Nachdem er meine Füße von den Socken befreit hat, fängt er an, sie zu küssen. Es kitzelt, und ich muss mich erst an diesen Genuss gewöhnen. Noch nie hat mir ein Mann die Füße geküsst. Ich liege da mit gestrecktem Rücken, außerstande mich zu bewegen. Sein erhitzter Blick ruht auf mir, ich liege fast nackt vor ihm, bis auf die übergroße Windel, die zu meinem ständigen Begleiter geworden ist. Er öffnet die Verschlüsse und zieht den Vorderteil herunter. Es breitet sich ein leichter Uringeruch aus. Ich bin beschämt und verärgert zugleich. Da fliegen sie seit Jahrzehnten zum Mond, aber geruchlose Erwachsenenwindeln kriegen sie nicht zusammen ... Souverän befreit er mich von dem übervollen Hilfsmittel und versucht, meine verkrampft geschlossenen Beine in eine lockere Öffnung zu bekommen. Meine Spasmen sind stärker, und so dreht er mich zur Seite. Unter großem Kraftaufwand winkelt er meine Beine an und wäscht sorgfältig mit einem feuchten Tuch meine Genitalien.
Er hat gewusst, was auf ihn zukommt, als er meine Einladung annahm, und er macht seine Sache gut. Und ich? Bloß nicht jetzt diese verdammte Hilflosigkeit spüren! Gerade heute wollte ich kein Selbstmitleid zeigen. Er küsst meine Klitoris und ich spüre es kaum. Als er auch er fühlt, dass mir zum Weinen zumute ist, legt er sich ganz nah an meinen Rücken und umschließt mich mit den Armen. Der Trost, der von ihm ausgeht, tut mir so gut. Ich spüre seinen vollen Penis auf meinem Gesäß, der noch immer geduldig wartet, bis ich bereit bin. Und da wird mir allmählich klar, dass ich dort ganz normal empfinde. Ich habe taube Hände, taube Arme, taube Stellen an Bauch und Beinen, aber mein Hinterteil spürt ihn ganz deutlich. Ich denke an Analverkehr, bin mir nicht sicher, ob ich das wirklich möchte, doch nach einigen Minuten hab ich diese gedankliche Hemmschwelle überschritten. Bitte, bitte, füll mich aus! Ich hab sie mir sosehr gewünscht, diese Lust, dich zu spüren. Es begleitet mich auch die Angst, dass das alles eine Sinnestäuschung sein könnte. Aber bei seinen ersten Stößen ist mir klar, dass ich mich nicht getäuscht habe. Ich genieße es, wie er immer tiefer in mich eindringt.
Meine Verdauung meldet sich. Scheiße. Sonst krieg ich sie nie zu spüren. Muss immer mit Einläufen nachhelfen lassen. Es nützt nichts, wir müssen unterbrechen. Er kramt die Leibschüssel unter meinem Bett hervor, in die stinkend meine Fäkalien plumpsen. Ich schäme mich. Wie gerne hätte ich uns gerade das erspart! Er, ganz Hausmann, bringt alles wieder in Ordnung. Als er zu mir zurückkehrt, ist seine männliche Pracht in sich zusammengefallen. Ich denke an Pornofilme. An diese reinen Rammelvideos, und ich beneide die Hauptdarstellerinnen, die sich in solchen Situationen zu helfen wissen. Er setzt sich neben mich, um erneut meinen Hintern zu reinigen, und ich lege meine Hand in seinen Schoß. Obwohl ich weiß, dass mir die körperliche Kraft fehlt, fange ich an, seinen Penis zu bearbeiten. Nach kurzer Zeit wird es mir zu anstrengend. Da umschließt er mit seinen Händen die meine und schiebt sie vor und zurück. In seiner humorvollen Art meint er, dass er bald bereit für den zweiten Angriff sei ... Er ist ein wahrer Traummann.
Es ist bereits später Abend und ich habe den ganzen Nachmittag vor mich hingeträumt. Gestern mailte er mir, dass er mich gerne kennen lernen wollte. Da wusste ich, dass ich ihm nicht mehr schreiben würde. Ich werde sicherlich einen anderen Mail-Partner finden, mit dem ich mein Lachen und meine sexuellen Ausschweifungen teilen kann. Meine Ängste wollte ich sowieso niemandem preisgeben.
Es klingelt. Meine Betreuerin kommt zur Tür herein, befreit mich von meiner vollen Windel und wäscht die Genitalien, wie jeden Abend. Sie legt eine frische Windel an und zieht mir den Pyjama über, bevor sie mich zu Bett bringt und das Licht löscht. Und ich frage mich, was mir mehr Schmerzen bereitet hätte: Das Erlebte oder das nicht Erlebte. ***
Behinderung 2. Teil
„Hallo du, ich weiß, ich hab mich lange nicht mehr gemeldet. Ich bekam auf einmal große Angst, dass wir uns so plötzlich gegenüber stehen, dass wir Gefallen aneinander finden, oder auch nicht... Egal, wer da auf mich zukommt, ich war nicht bereit, die Illusion zu zerstören, die im Laufe der letzten Monate in mir gewachsen ist. Es ist um so vieles einfacher, meine Träume schriftlich zu deponieren, als demselben Mann in die Augen zu schauen. Ich wünsch dir für die Zukunft alles Gute.“ Ich hab wochenlang mit mir gerungen, ob ich ihm überhaupt noch schreiben soll. Doch dann konnte ich seine wiederholten Fragen nicht unbeantwortet lassen.
Mein Liebeskummer schmerzt (oder ist es Selbstmitleid?), und als nach zwei Tagen ein e-Mail von ihm im Postkasten liegt, zittere ich, während ich es neugierig öffne. Es klingt unfreundlich und verständnislos. Er meint, dass ich meine Krankheit missbrauche, um ja nicht am realen Leben teilnehmen zu müssen. Da will ich trotz Behinderung für voll genommen werden und verstecke mich bei der ersten Gelegenheit wie ein kleines, verschrecktes Kind. Je öfter ich mir seine Worte durchlese, desto klarer wird mir, wie recht er hat. Nur, was soll ich tun? Ich habe Angst, o.k. Und was jetzt? Ich lese seine Botschaft dutzende Male, hunderte Male und fühle mich wie in einem Vakuum. Was will ich eigentlich vom Leben?
Ich erstelle ein Konditionsprogramm. Physiotherapeutinnen kommen schon seit längerem ins Haus, jetzt gönne ich mir Farbakupunkturbehandlungen und Bindegewebsmassagen, Fußreflexzonenmassagen, Lymphdrainagen für Spastiker, und ich kaufe mir ein Therapieergometer, mit dem ich täglich eine Stunde Rad fahre. Zwei Monate später kann ich bereits ohne fremde Hilfe aufstehen und mich minutenlang am Rollator festhalten. Ich stehe alle paar Stunden auf, um beweglicher zu werden. Die Spannung in den Aduktoren verringert sich nach und nach, und ich schaffe es, zuerst mein Bein über das andere zu schlagen und später, den Fuß auf den Oberschenkel zu bringen. Es ist für mich wohl die vernünftigste Stellung zu masturbieren. Ich hole meinen Vibrator und die Pornovideos aus der Versenkung, öffne die Windel und schalte das hell brummende Gerät ein. Zitternd taucht die Spitze in meine sonst so gut verpackte Vagina, während auf dem Bildschirm ein Liebespaar stöhnend seine üblichen Akrobatikexerzitien veranstaltet. Ich spüre – nichts, und nach einer halben Stunde vielleicht kommt mit viel Phantasie seichte Erregung auf, die jäh von Spasmen unterbrochen wird. Mir ist die Lust sowieso schon längst vergangen. Enttäuscht beende ich die Aktion. Ich denke an die anderen in der Selbsthilfegruppe. Wir redeten über alle möglichen Probleme, aber nie über Sex. Wir machten aus der Not eine Tugend und taten so, als ob wir das nicht bräuchten. Ich hab die Nase voll davon und will mit dem Vibrator weiterüben. Es dauert ein paar Wochen, bis die Stimmung passt. Diesmal stelle ich mich viel geschickter an. Die Spitze umkreist lediglich meine Klitoris, während der Pornofilm eine romantische Szene zeigt. Ich steh auf diese unschuldige Romantik. Und da passiert es, dass ich – jetzt schon? Ja tatsächlich, dieses Gefühl steigt in mir hoch und verwirbelt im Kopf, und zurück bleibt diese glückliche Erinnerung daran und die Erleichterung, dass ich es geschafft habe. Ich blicke verwundert um mich und fühle mich wie einer, der gerade die Doktorarbeit mit summa cum laude bestanden hat. Vor Jahren war dieses Prickeln verschwunden, und jetzt hab ich es wieder eingeholt. Auf dem Bildschirm stöhnen zwei neue Hauptdarsteller um die Wette, und auf einmal muss ich fürchterlich lachen: Das, was ich gerade erlebte, war größer als alle Orgasmen in diesem Film zusammengenommen. ***
Behinderung 3. Teil
Heute besucht er mich, er, den ich noch nie gesehen habe und der soviel über mich weiß. Er kennt meine Wünsche, meine Schmerzen und meine Witze. Und – das ist das wichtigste – er kennt meine Ängste, wie sie noch keiner vor ihm kennen gelernt hat. In einem besonders mutigen Moment erzählte ich ihm von meiner Veränderung. Er ließ sich mit der Antwort wochenlang Zeit, und der Dialog begann zaghaft. Er schien an einem Treffen nicht interessiert zu sein, und ich vermied zu diesem Thema sowieso jegliche Stellungnahme. Ich begann regelmäßig auszugehen und bemerkte erst da meine Schüchternheit, die sich wohl eingeschlichen hat, als meine Behinderung zunahm. Ganz langsam kehrte hie und da mein alter Humor zurück. Es dauerte Monate, bis ich mich traute, die schwarzen Strümpfe anzuziehen und in den alten Ledermini zu schlüpfen. Ich fühlte mich irgendwie nackt, so als ob ich im Rollstuhl nicht das Recht hätte, ein solches Kleidungsstück zu tragen. Ständig hatte ich Angst, dass jemand die Windel entdecken könnte, und presste die Handtasche fest auf die Oberschenkel. Dass es eigentlich niemanden wirklich interessierte, was ich anhatte, darauf kam ich erst viel später. Viele meiner Probleme waren im Kopf entstanden, und es war mir nicht einmal bewusst! Es dauerte seine Zeit, bis ich es schaffte, einem Mann in die Augen zu blicken, und ich fühle mich heute noch wie ein Voyeur, wenn ich einem knackigen Männerhintern nachschaue.
Er mailte mir gestern, dass er heute in meiner Gegend zu tun hat. Ich freue mich auf seinen Besuch. Meine Betreuerin macht mir einen Einlauf, rasiert mir die Beine, duscht mich ausgiebig, kleidet mich in den pinkfarbenen Stretchmini und zieht meinen Beinen die halterlosen Strümpfe über.
Es klingelt. Er betritt die Wohnung, und er sieht gut aus. Nicht im Sinne von Schönsein, sondern von Verstehen. Der Begrüßungskuss auf den Mund zieht sich, keiner will ihn beenden. Vorsichtig öffne ich die Lippen und erkunde mit der Zunge neues Territorium. Es kribbelt in meinem Unterleib, während unsere Zungen immer wilder und frecher miteinander spielen ...
Ich spüre diese Dankbarkeit, dass er sich darauf einlässt. Ich habe Recht auf Sex, auf Geilheit, und ich könnte dieses Recht in diesem Moment bei jedem einlösen, der sich dafür bereit erklärt. Ich befinde mich auf hoher, stürmischer See und schaukle von Wellental zu Wellenberg, spüre Sturm, Wasser, Salz, Licht und Dunkelheit. Da ist kein Platz für Ängstlichkeit, ich will jetzt alles erleben, was es zu erleben gibt. Und ich erlebe eine stürmische Seefahrt, so, als ob das die letzte meines Lebens wäre. Jeder einzelne Wellenschlag, der gegen meinen Bug prallt, entfacht die Lust auf noch höhere Wellen, bis ein Orkan tosend über mir zusammenkracht und die jäh eintretende Flaute als beinahe unwirkliches Glücksgefühl erleben lässt.
Seit Stunden liegen unsere Kleidungsstücke verstreut in der Wohnung, die Prosecco-Flasche ist leer und ich liege in seinem Arm wie ein sattes, zufriedenes Baby. Es ist etwas Neues entstanden: Ich darf Lust auf Sex haben und die auch noch mit einem anderen Menschen teilen! Ich küsse mich seine Brust entlang bis zum Bauch und weiter zum Steuerruder, das mich in den nächsten Sturm lotsen soll ...
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