Besuch in Nußbach

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Besuch in Nußbach

Besuch in Nußbach

Stefanie A. Drissen

Ernest Hemingway an Stadt Trieberg/Blackforest: Top secret!
Nur Stadt-Gouverneuer vorlegen!
Top secret!

Erfahre soeben von einem Interviewer, das ich dem Korthusener Tageblatt irgendwann mal einige von Triberg und Umgebung – Lachs, Nixen jagen, Mummenschanz, so vom Sommer 22 - und von der schönen Frau Johanna X – erzählt haben soll. Etliches an Kuriosa! Gar Erotica! Aber kein Gulasch um 23 Uhr, vom Diener Saint Servatius serviert, den ich dann mit Chloroform....! Oder was da auch stehen kann! Damned!
Haben mich dann aus dem Anwesen gejagt, angeblich. Doppelt peinlich!
Erkunden Sie die ominöse Quelle – erozuna.de – Autor unbekannt. Titel: Nußberg o. ä. Alle gelogen! Hoffe auf Berichtigung, alles Dementieren! I buy die Quelle. Ist großes Ente – sagen in Deutschland – or, please?
Recall erbeten!

Your sincerly
Ernest H.

Damned, I see: Der Text jetzt im Internet kursieren!


Heute, an meinem Geburtstag bekennen ich – jedem Journaillevertreter auf die Glatze seiner Feuilletons eingraviert: Everyman knows: Du kannst nichts für Dich selbst tun? Aber vielleicht kannst Du etwas für jemanden anderen tun.
Ernest Hemingway-Redivius (21.7.1899 bis 2.7.1961)

Besuch in Nußbach

Die wunderschönsten Geschichten erzählt mir mein Freund, der Wind. ...
Die folgende Geschichte aber wurde mir von einem Reportagenschreiber erzählt, der später berühmt geworden ist. Weltberühmt. Seinen Namen kann man hier im Schwarzwald gar nicht verschweigen.
Wir waren damals – in den frühen Zwanzigern - beide auf dem Gutshof und dem Landhotel der Meierhoffs, einer Verwandten meines Berliner Arbeitgebers, zu Gast. Von dort - ja, Triberg hieß das Städtchen, ja, eigentlich ein Dorf, im Wald da drunten, in Deutschland. Von wo es nach Frankreich nur eine kurze Luftlinie aber eine lange, kurvenreiche Fahrt ist. Na, das vom Krieg und seiner Not noch geschundene Deutschland! Also, Triberg besteht aus einer einzigen, von steilen Hotels gesäumten sich hinziehenden Straße. Es liegt in einem steilen Tal, durch das im Winter eine kühle Brise wehen soll. In the summer im Black Forest, angenehme Hölzer.
Ja, so kurz nach dem Krieg, den man später den Ersten Weltkrieg nennen mußte.
Wir Presseleute: Da pachteten einige von uns, die sich zwei Urlaubswochen á la nature leisten wollten, einen Forellenbach mitten im Schwarzwald, und es gab zwei Wege, die dort hinauf führten. Einer ging durch das Triberger Tal hinab und schlängelte sich an der Talstraße entlang im Schatten der Bäume, die die weiße Straße einsäumten, und dann eine Seitenstraße hinan, die durch die Hügel hinaufführte, an einer Menge kleiner Anwesen mit großen Schwarzwaldhäusern vorbei, bis jene Straße den Bach überquerte. Hier begann unser Fischgewässer.
Ja, Nußbach hieß das wohl. Wir hatten natürlich keine Ahnung, wo Nußbach lag. Mit Hilfe einer Landkarte fanden wir hinauf. Seitdem angelten wir dort ständig. Wenn wir uns nicht anders – na, Sie wissen wohl...
Ein Korrespondent, einer, der noch Deutsch konnte von seiner Mutter her, die aus Berlin stammte, ging sogar einmal ins Theater dort. Die Deutschen verehrten da einen Wilhelm Tell, eigentlich ist er dieser sagenhafte Schweizer Staatsgründer. Mit Geheimtreffen und Schwur und „Wir sind ein Volk von Brüdern...- und die Frau im Hause greift zur Axt!“ Ist wohl von Deutschlands berühmtesten Dramatiker. Nein, nicht Goethe. Ist egal. Hör zu!
Es ging die Sommerzeit schon ihrer hochzeitlichen Neige entgegen. Ja, ich las viel Rilke damals. Und wie das so hergebracht ist, kam man abends bis zur milden Nachzeit draußen auf der Veranda zusammen. Die cablegrams war geschrieben, das Honorar abgeschätzt, die Fourage geordert, das nächste Tagwerk geplant. Hier oder später, wenn die Mücken kreisten, im Salon, kamen wir auf alles Mögliche zu sprechen. Natürlich: Liebe. Und Leid! Und wenn einer sich intensiv im Schritt kratzte, gackerte ein andrer schon los: „Syphilis! Hütet euch, Jungs!“ „Haltet eure Gläser fest.“ „Oder pinkelt sie aus, bevor ihr neu einschüttet.“
Und an einem Abend, der Vorrat Whisky war erledigt, auch der Inhalt dieser ulkigen, landesüblichen Kornflaschen ging schon zur Neige, da kamen wir auch auf Gespenster zu sprechen. Der Ami-Schreiber nahm erst später, gegen elf, an diesem Gespräch nicht teil – er war fischen gewesen und hatte tüchtig vier oberarmstarke Forellen für das nächste Mittagessen mitgebracht -, als wir jedoch später allein waren (wir schliefen im selben Zimmer), steckte er sich seine Zigarre an und begann zu erzählen von einer gespenstischen Nacht. Was noch? Von welcher Zeitung? Ob ich das noch zusammen kriege: Toronto! Ja. Vom Toronto Star. Einer Wochenzeitung.

Also, so erzählte der Ernest mir, der ich damals meist als Josephus zeichnete: Es war im vorigen Jahr gewesen, der Jahre nach diesem Weltkriegs, der später der erste genannt werden mußte. (Wie, sagte ich das schon?) Ich war gerade freier Autor geworden, mit eigener Steuernummer, Korrespondent. Unser Pressezentrum war damals Baden-Baden; da hauste ich schon zwei Wochen in diesem Städtchen im Schwarzwald. Wir vertrieben uns die Zeit, wie Gentlemen oder Offiziere es überall tun: Wir machten unseren Job, betranken uns, wir spielten, strolchten durch den Wald und stellten den Frauen nach. Oder den Heidelbeeren. Oder beiden. Wenn man eine entdeckte, für die es sich lohnen könnte.
Frau M., sie hieß unter den Gästen Johanna die Beauty oder die Große, wer behält das schon, stach die anderen Damen des Städtchens aus. Es waren auch nur noch zwei Dorftrampel, wehmutsvoll und von bäuerlicher Fülle. Das heißt, die Dame des Hauses gehörte eigentlich gar nicht zu der dortigen Gesellschaft, denn vorher war sie ständig in Baden Baden gewesen. Vor einem Jahre jedoch Witwe geworden – böse Geschichte: Johanna Große oder Klein, das vergißt man ja wieder. Deren Mann hatte sich erhängt. Der hatte eine gute Saison im Vorjahr gehabt, als Hotelbetreiber. Der war ein prima Kerl. Wir Boys waren alle im Haus befreundet. In dem August gab es viel zu feiern. Staatsgründung der ersten deutschen Republik. Aber die Not der Leute, die unseren Dollar für 1000 Papiermark kaufen mußten, na, das ist uns in den Staaten erspart geblieben. Ja, die Geldentwertung! Und der erwirtschaftete Gewinn, den der Hotelier im Jahr zuvor verdient hatte, reichte nicht aus, um Lebensmittel für den Beginn der neuen Saison zu kaufen. Er mußte dicht machen, versteckte sich einige Tage vor einem Gläubiger, und da erhängte er sich in der Feldscheune. Abseits, auf dem Hofe seiner Eltern.
Na, als wir kamen, brachten wir Dollars mit. Und die Frau ließ den gastlichen Betrieb weiterlaufen, mit Hilfe eines tüchtigen Hotelchefs und des fleißigen Personals aus dem Dorf, Leute, die dankbar für jeden Job waren..
Sie selbst hatte sich ganz auf ihr elterliches Gut, das keine drei Meilen vom Städtchen entfernt lag am Nußberger Hang lag, zurückgezogen. Mit einer Köchin und einem Hausdiener. Sie mochte so um die Dreißig sein, doch lag in ihren großen, blauen Augen immer noch etwas Kindlich-Vertrauliches, das ihr einen unbeschreiblichen Zauber verlieh. Keiner von uns Mannsleuten war gleichgültig zu ihr, ich aber verliebte mich in sie, wie man sich eben nur Mitte zwanzig verlieben kann. Fighter, der ich war. Nein, noch kein Bart, kein Whisky-Sound in der Stimme.

Ja, locker und proper gedresst! Ja, doch! Sieht man auf dem bekannten Bild so! Ist auch in Ihrer Monografie so gedruckt! Verkauft sich, sag ich mal, good!

Mein Verbindungskorrespondent aus Frankfurt war, über wie viele Großmütter auch, mit Frau Johanna verwandt, und so kam es, daß uns alsbald ihr Haus offenstand. Sie spielte keineswegs die Rolle der Einsiedlerin und empfing, lebte sie auch fast allein, junge Leute gerne bei sich, und natürlich uns foreigners, die harte Dollars hereinbrachten. Wir waren zuweilen schon zum Mittagessen eingeladen, brachten grünschillernde Forellen mit und verbrachten manchmal auch ganze Abende bei ihr. Aber mit wieviel Takt und Würde wußte sie immer ihre Haltung zu wahren, und niemand vermochte sich zu rühmen, ihr nähergekommen zu sein. Sogar die spitzesten Zungen in dem Provinznest fanden wohl keinerlei Gelegenheit, sie durch irgendeinen Klatsch zu verleumden. Häufig hatte sie auch einen Pfarrer da, der sich noch Pfarrherr, nennen ließ, immer im Ornat, so einer Art Schwalbenschwanz, so ein Propst von Heiligenblut vielleicht. Und immer als letzter seinen Rappen anspannen ließ, um in sein Pfarrhaus nach Triberg zurückzukehren.
Meine Liebe wuchs, ins Unerträgliche, sie nahm überhand. Doch am quälendsten war mir, daß es unmöglich war, sie ihr offen zu gestehen. Ich war zu allem auf der Welt bereit, um nur vor Frau Johanna einmal knien zu dürfen und ihr dies eine sagen zu können: Ich liebe Sie, gnädige Frau! Jugend ist immer ein wenig wie Trunkenheit.
Ja, auch so was gibt es auf Deutsch: Ein Sprichwort: Jugend ist Trunkensein, tipsy, Sie verstehn? Goethe. Hätte auch unser guter alter Walden sein können! Egal. Habe nie gerne zitiert. Bin lieber zitiert worden.
Und um mit ihr, die ich liebte, ein liebevolles Stündchen allein sein zu können, griff ich zu einem verzweifelten Mittel. Jener Sommer ging schon zur Neige. Morgens fiel schon einiges an Tau herunter. Die Mittage waren noch herrlich brandig auf der nackten haut. An einem nebligen Abend, als ein Sturm wütete, befahl ich, mein Pferd zu satteln, und ritt los.
Ich verstehe immer noch nicht, wieso eigentlich ich damals nicht fehl ritt. Nach fünf Minuten schon: Zwei Schritte vor mir stand es wie eine dicke graue Wand. Auf dem Weg lag nasser Nebel. Einige Male wohl irrte ich von der Straße ab. Auch sträubte sich meine Stute, ein helles Füchschen, weiterzutraben. Ich hatte eine Flasche Kognak bei mir und einen Busch Röschen mit, und der Fusel, den ich anbrach unter einer wuchtigen Lärche, ist wohl der einzige Grund, warum ich nicht erfroren bin oder verzweifelte und den Bock mit einem Peitschenhieb heimjagte. Für die restlichen miles brauchte ich gegen zwei Stunden.
Wahrhaftig, es war ein kleines Wunder, daß ich überhaupt das Gut der Frau S. erreichte. Da es schon spät war, hatte ich große Mühe, das Haus wachzuklopfen. Der Hausdiener war starr, gab sich aber dienstbereit, als er mich erkannte. „Yes, Mister, für Sie, frage ich Frau Johanna natürlich, ob sie noch empfängt.“ In der geöffneten Hand verschwanden zwei Notes. In meinem Nebelgespinst glich ich fast einer Maske. Ich wischte mir durchs face und schlug den Regen vom Cape ab, trat ein und schlüpfte dort in einen dicken Wollsweater, den der Diener mir hinhielt.
Ich hatte mir natürlich eine Geschichte ausgedacht, die mein unerwartetes Auftauchen erklären sollte. Verstauchtes Bein, der Hilfe bedürftig and-so-on! Meine Absicht gelang. Es ging nicht anders, Johanna mußte mich wohl oder übel empfangen und ließ mir ein Zimmer für die Nacht herrichten.
Und kaum war eine Viertelstunde vergangen, da saß ich bereits im Speisezimmer, und Frau Johanna leistete mir Gesellschaft. Sie setzte mir ein Abendessen vor und Wein und Tee. Im Kamin knisterte das Holz, und das Licht der Hängelampe schloß uns in seinen Kreis, der mir wie ein Zauberkreis vorkam. Alle Müdigkeit war fort, und ich war verliebt wie nie zuvor.
jung war ich damals und hübsch, und ich war wahrhaftig nicht dumm. Ich glaubte ein Anrecht darauf zu haben, von den Frauen bemerkt zu werden.

Frau Johanna jedoch wußte mit einer geradezu unendlich geduldigen Geschicklichkeit alle Gespräche über die Liebe zu vermeiden. Sie veranlaßte mich, genauso mit ihr zu sprechen, als wären wir in der größten Gesellschaft. Und obwohl sie herzlich über meine Bosheiten lachte, gab sie sich den Anschein, keine einzige meiner Anspielungen zu verstehen. „Um zehn gehöre ich ins Bett, spätestens um halb elf“, wiederholte sie zweimal, als ich sie auf einen frohgestimmten, ruhigen Morgen nach dieser stürmischen Nacht ansprach.
Und dennoch stieg in uns beiden nach und nach eine besondere Art von Zusammengehörigkeit auf, die es uns erlaubte, immer offener miteinander zu sprechen. Und da ich gewahr wurde, daß die Stunde der Trennung immer näher rückte, faßte ich mir endlich ein Herz. Das Bewußtsein, daß diese Gelegenheit sich nie wiederholen würde, trieb mich geradezu vorwärts. Wenn du den heutigen Tag ungenützt vorübergehen läßt - sagte ich mir -, dann bist du selber an allem schuld. Und endlich nahm ich mich zusammen und unterbrach unser Gespräch mitten in einem Satz und sprudelte aufs Geratewohl all das, was ich so lange verborgen gehalten hatte, zusammenhanglos und ziemlich töricht heraus:
„Wozu die Verstellung, gnä‘ Frau; liebreichste Dame Johanna! Sie wissen genau, warum ich hier bin. Ich kam – ich kam nur, um ihnen zu sagen, daß ich Sie liebe. Und nun ist es ausgesprochen. Ich kann nicht anders, ich muß Sie lieben, und auch Sie sollen mich lieben. jagen Sie mich fort, und ich werde gehen. Aber wenn Sie mich nicht fortjagen, so soll mir das ein Zeichen sein, daß Sie mich lieben. Etwas Halbes ist nichts für mich. Entweder Ihr Zorn oder Ihre Liebe.“
Johannas Kinderaugen blickten hell wie Kristall. Ihr abweisendes Gesicht, sogar mit einem netten, aber eindeutigen Lächeln, sprach eine so deutliche Antwort, daß ich mich stumm erhob und mich anschickte, den Salon zu verlassen. Dann, unerwartet, hielt sie mich davon ab.
»Was soll das! Wohin? Seien Sie kein Kind. Setzen Sie sich doch zu mir.«
Und sie zwang mich, an ihrer Seite Platz zu nehmen, und sprach mit mir, wie nur eine erwachsene Schwester mit einem verzogenen Kind spricht.
»Sie sind so jung, und die Liebe ist Ihnen noch neu. Wäre hier an meiner Stelle eine andere Frau, Sie würden sich in die verlieben. Und nach einem Monat werden Sie eine dritte lieben. Aber es gibt noch eine andere Liebe, eine Liebe, die die Seele bis auf den Grund ausschöpft. Und mit dieser Liebe liebte ich Walter, meinen verstorbenen Mann. Ihm opferte ich restlos alle meine Gefühle. „Und der Freitod, Madam...?“
„Er, ja - mein Gatte! Die Selbsttötung – sie verpflichtet mich noch mehr, seiner zu gedenken, für ihn zu beten. – Der Pfarrherr ...“, sie stockte. „Mögen Männer mir auch von Liebe sprechen, ich höre es an, aber fühle mich gesichert, fest und frei wie ein Leichnam. Begreifen Sie doch, daß ich gar nicht mehr fähig bin, solche Wörter zu verstehen, so geturteltes oder gelispeltes Reden.“
Ich trank in vollen Schlücken einen kühlkräftigen Roten, aus einer wahren Glaskugel.
„Es ist, verzeihen Sie, Herr Hemigenweg, als sprächen Sie in mir zu einer Tauben. Geben Sie sich damit zufrieden. Es kann ja für Sie nicht kränkend sein, daß Ihre Liebe eine Erstorbene nicht mitzureißen vermag.“
Johanna sprach es mit einem leichten Lächeln. Sie rückte ihren Schulterschal zurecht, ihr mit einer Granatkette geschmückter Busen traf dabei das rötlich blitzende Licht der Ampel. Ich hörte etwas Beleidigendes in ihren Worten. Es kam
mir vor, als sei es ein blanker Hohn, daß sie sich mir gegenüber auf ihre Liebe zu ihrem verstorbenen Gatten berief. Doch, es war ihr heiliger Ernst. Ich blickte auf meine nebeneinander liegenden, krampfigen Hände, ruckte im Sessel wohl hin und her und erblaßte. Es schnürte mir der Hals zu. Und in meine Augen traten zwei Tränchen, ich kann mich noch gut daran erinnern.
Meine Erregung konnte Johanna nicht entgehen. Ich sah, daß ein neuer, verständnisvoller, weiblicherer Ausdruck in ihre Augen trat. Sie erfaßte, daß ich jetzt litt, als ich mir über die Brauen wischte. Und da ich schweigend aufstehen wollte, ergriff sie meine Hand und rückte sogar ihren Sessel näher heran. ihr Atem lag auf meinem Gesicht. Und mit aufrichtiger Offenheit und einer zärtlichen Nachdenklichkeit sprach sie, und ihre Stimme wurde, obwohl nur wir beide im Zimmer waren, immer leiser dabei:
„Wenn ich ihnen weh tat, so verzeihen Sie mir. Möglich, daß ich mich in ihrem Gefühle täuscht und daß es ernstlicher ist, als ich anfangs annahm. Und nun will ich Ihnen die ganze Wahrheit sagen. Hören Sie, ich möchte mich Ihnen gegenüber deutlicher erklären. In meinem Gefühl zu Walter ist nichts Totes, sie ist lebendig, diese Liebe. Und ich liebe Walter nicht in der Vergangenheit, nein, im Hier und Jetzt liebe ich ihn. Denn wir sind nicht voneinander getrennt. Ich habe nicht über Ihr Geständnis gelacht, Herr Ernst, darum lachen auch Sie nicht über das meine. Seit dem Tage seines Todes ist Walter mir nahe, und war er auch unsichtbar, er war doch da. ich fühle seine Nähe, sein Atem umgibt mich, und ich höre sein zärtliches Flüstern. Und ich gebe ihm Antwort, und so führen wir lautlose Zwiegespräche. Und manchmal küßt er mich so zart, daß ich es kaum spüren kann, auf meine Haare, auf meine Wangen und auf meine Lippen. Und manchmal kann ich sogar verschwommen im Halbschatten oder im Spiegel seine Umrisse wahrnehmen. Sobald ich allein bin, ist er sogleich in meiner Nähe. Ich habe mich schon so sehr an dieses Leben mit einem Schatten gewöhnt. Ich fahre fort, meinen Mann lieben, und ward auch seine Gestalt eine andere, ich liebe ihn ebenso zärtlich, ebenso leidenschaftlich wie vordem. Er besucht mich fast jede Nacht. Was soll mir eine andere Liebe? Ich werde ihm, der mich selbst jenseits der Grenzen dieses Leben nicht im Stiche gelassen hat, niemals die Treue brechen. Und mögen Sie auch sagen, daß ich irre rede, daß das alles nur Halluzinationen seien, ich will nichts entgegnen als nur dies eine: Es ist mir gleich! Diese Liebe macht mich glücklich, warum sollte ich meinem Glück entsagen! Lassen Sie mich auf meine Art glücklich sein! – Ich – Sie werden mich nicht falsch verstehen – fühle mich auch körperlich be-, beglückt.“
Dies alles sagte Frau Johanna, wiederholte sich wohl, sehr sanft und ohne die Stimme zu erheben. Und wieviel tiefste Überzeugung lag in ihren Worten, denen ich aber nicht glauben konnte, nein: wollte. Die Ernsthaftigkeit ihres Tones überraschte mich umso mehr, daß ich nichts zu entgegnen wußte. Ich beschränkte mich darauf, sie ein wenig besorgt und voll Mitleid anzublicken, als wäre sie von nicht ganz bei Sinnen. Sie jedoch fiel in ihre Gastgeberrolle zurück und sagte, wobei ihre Stimme eine Klangfarbe annahm, als wollte sie alles Vorhergegangene in einem Scherz enden lassen: „Höchste Zeit, schlafen zu gehen. - Servatius!“ (Sie mußte kein zweites Mal rufen.) „Er wird ihnen das Zimmer zeigen, in welchem Sie übernachten werden. Servatius: im Dienst grau und klug geworden, er wird Ihnen noch ein wenig die Zeit vertreiben.“
Ich, zum Abschluß noch mutig: „Darf ich Sie trinken, gnä‘ Frau?“ Sie stockte, schaute starr. „Mit mir trinken? – Nein, nicht mehr diese Nacht! – Nehmen Sie die Flasche, hier, und ein frisches Glas, Servatius!“
Ganz und gar nicht mechanisch küßte ich die Hand, die mir Frau Johanna hinstreckte. Und im selben Augenblick war auch Servatius bereits da und lud wies mich mit leiser Stimme an, ihm zu folgen. Er trällerte was von einem Büschken, das stets Rosen trägt. Und von einem Gärtner, der es tränkt und näßt. Blöd, so nur! Kuckte mich wieder an und setzte neu an: „Das Büschken, das jeden Monat!“ Ich winkte ab. Lästig der Diener! Nix kapiert! Er führte mich durchs Vorderhaus, zeigte mir die Kammer mit dem Fenster zum rückwärtigen Apfelbongert, im Licht der Laterne das Bett, das man für mich hergerichtet hatte, setzte eine Kerze in einen Porzellanleuchter, zeigte mir das nebenan liegende Bad und wollte mir eine gute Nacht wünschen - Erst da gelang es mir, die Fassung zurückzugewinnen. Was glaubte die Frau wohl im Ernst? Und, ist das nicht sonderbar, mein erstes Gefühl war das der Beschämung. Ich schämte und es verdroß mich, eine so jämmerliche Rolle gespielt zu haben. Ich schämte mich, daß ich, zwei Stunden mit einer jungen Frau in einem fast leeren Hause mutterseelenallein, nicht einmal einen Kuß von ihr erhalten hatte. In jenen Minuten war es nicht Liebe, es war eher ein Gefühl des Zornes, das ich für Johann die Unberührbare empfand, und vielleicht der Wunsch, mich zu rächen. Es schien mir viel eher, daß sie wohl von Sinnen sei; es leuchtete mir plötzlich ein, daß sie sich über mich lustig gemacht hatte.
Ich setzte mich aufs Bett und sah mich im Zimmer um. Die Räumlichkeiten des Hauses waren mir von den Gängen in etwa, von einer wilden Polonaise her, bekannt. Ich befand mich im Arbeitszimmer des verstorbenen Hausherrn. „Nebenan sein Schlafzimmer...?“ „Sicherlich, in dem alles noch genauso ist, wie es sich“, so ließ sich mit einem Räuspern Servatius vernehmen, „zu seinen Lebzeiten befunden hat.“ Ich verabschiedete ihn, mit einem Silberdollar.
Dann ging ich entschlossen hinüber zur Tür, nachdem ich alleine war, und vergewisserte mich. An der Wand vor mir hing
sein Porträt, ein Bild in französisch-heiter impressionistischen Ölfarben: der Hotelier unter blühenden Apfelbäumen. Es stellte ihn in einem schwarzen Gehrock dar, im Knopfloch ein auffälliges Bändchen irgendeiner Kolpings-Bruderschaft, das ihm irgendwie und für irgendwas zur Zeit Wilhelm II. verliehen worden war. Und eben dieses Bändchen brachte durch eine sonderbare Ideenassoziation meine Gedanken auf den seltsamsten und tollsten Plan...
Hatte nicht mein Gesicht nicht eine gewisse entfernte Ähnlichkeit mit dem Gesicht des verstorbenen Walter? Stark knochig, na, etwas rustikal vielleicht. Er war freilich ein paar Jahre älter als ich. Aber er trug einen Schnurrbart, sonst aber fast die gleiche Frisur. Allerdings waren seine Haare stellenweise bereits grau geworden. Ich betrat entschlossen sein Schlafzimmer. Der Kleiderschrank war nicht abgesperrt. Und schon hatte ich den Gehrock, den er auf dem Porträt trug, gefunden und angezogen. Ich suchte und fand das rotschwarzgoldene Schleifchen des Kolpingvereins. Ich puderte meine Haare und meinen Schnurrbart. Mit einem Wort, ich bemühte mich, ja, ich zog es durch: den Verstorbenen darzustellen.
Es würde mir wohl, wenn mir meine Absicht gelungen wäre, peinlich sein, Ihnen dies alles zu erzählen. Denn, ich gestehe es offen, was ich tat, war kein Scherz mehr, es war viel, viel schlimmer. Man könnte es unverzeihlich nennen, diente mir nicht meine damalige Jugend einigermaßen zur Entschuldigung. Aber freilich wurde ich für mein Vergehen auch gebührend gestraft.
Nachdem ich mich, wie geschildert, hergerichtet hatte, begab ich mich zu Frau Johannas Zimmer.
Sind Sie einmal in der Lage gewesen, nachts durch ein schlafendes Haus schleichen zu müssen?
Wie durchdringend jedes kleinste Geräusch, wie laut knarrt da so eine Bohle des Fußbodens! Einige Male war mir, Diener und Hausmädchen müßten aufwachen.
Endlich stand ich vor ihrer Tür. Mein Herz pochte laut. Meine Hand lag auf der Türklinke. Was wischte da um meine Beine. Ach, ihr Satansbraten, ein schnurrende Kätzin! Lautlos öffnete ich die Tür. Ich trat ein. Das Zimmer war von einem Lämpchen, das sehr hell brannte, notdürftig erleuchtet. Johanna war noch auf. Ich sah ihre Figur sofort von der leise geöffneten Tür aus. Ganz in Erinnerungen vertieft, saß sie in ihrem Nachtgewand in einem tiefen Lehnstuhl vor ihrem Schreibtisch. Mein Kommen hatte sie überhört. Oder wollte sie es überhören?
Ich blieb in meinem Halbdunkel und rührte mich nicht. Und plötzlich drehte sich Johanna, meine Schöne, um, als hätte sie irgendein Geräusch gehört oder meine Anwesenheit gefühlt. Sie erblickte mich, staunte wohl, aber erschrak keineswegs. Hatte sie mich erwartet? Der Streich war besser gelungen, als ich zu hoffen gewagt hatte. Ein leiser Schrei, sie flog vom Sessel auf und streckte mir ihre Hände hin. Und wie froh klang ihre Stimme: „Walter, bist du endlich gekommen!“ Sie hielt mich für ihren verstorbenen Mann! Ihre Erregung war erschütternd, sie ließ sich in den Sessel zurückfallen, machte die Augen zu. Verlor sie das Bewußtsein? Sie atmete heftig. Ohne recht zu wissen, was ich wollte, eilte ich zu ihr. Doch im gleichen Augenblick, als ich mich über ihren Sessel beugte, sah ich im Spiegel die Gestalt eines anderen Mannes hinter mir, nur drei kleine Schritte jenseits des Sessels. Es kam so überraschend, daß mir der Atem stockte. Jener andere Mann war nämlich die genaue Wiederholung meiner selbst. Er trug ebenfalls einen schwarzen Rock, und auf seiner Herzseite war gleichfalls das farbige Bändchen dieses Vereines angesteckt. Aber gleich darauf wußte ich bereits, daß er es sein mußte, dessen Erscheinung ich gestohlen hatte und der nun von Irgendwoher (jenseits des Grabes?) gekommen war, seine Frau zu verteidigen. Stechendes Entsetzen durchzuckte meine Glieder. Und ich hätte gerne den Colt von John gehabt, mit dem er so gerne auf Forellen schoß.
Durch den Sessel getrennt, in dem die von uns umstrittene Frau bewußtlos lag, standen wir einige Sekunden einander gegenüber. Ich konnte mich nicht rühren. Und da hob dieser andere, und er richtete sich absichtsvoll auf, lautlos die rechte Hand und drohte mir mit starrer Geste, glatt unterm Kinn: Hals ab! Die Linke wies herrisch zur Tür.
Ich habe später an den Kämpfen der Internationalen Brigaden gegen die Schergen der Faschisten teilgenommen, bin dort in unmittelbarer Nähe von Einschlägen als Reporter gewesen. Ich sah dem Tod in die Augen und erlebte all das, was man gemeinhin für unerträglich hält. Aber das Grauen, das mich hier in einem dunkeln deutschen Wohnraum packte, habe ich nie wieder gefühlt. Die Drohung jenes zweiten Liebhabers ließ meinen Herzschlag stillstehen, das Blut in meinen Adern stocken. Und einen Augenblick stutzte ich noch. Dann aber stürzte ich mit defensiven Schritten zur Türe hinaus. Ich tastete mich an den Wänden entlang, ich taumelte, es war mir gleichgültig, wie laut meine Schritte schallten - und endlich erreichte ich mein Zimmer für diese Nacht, versperrte das Schloß, stellte einen schweren Lehnstuhl mit der Lehne unter die Klinke, überprüfte die Türen, die Fenster samt Läden. Ich wagte nicht, das Porträt an der Wand anzuschauen. Ich warf mich auf das Bett, und eine schwarze Erstarrung nagelte mich fest.
Ums Morgengrauen fuhr ich auf. Ich hatte noch immer die fremden Kleider an. Von nagender Scham bedrückt, zog ich sie aus und hängte sie an ihren früheren Platz. Dann warf ich mich in meine Alltagsklamotten, rief Servatius herbei und teilte ihm mit, ich müsse unverzüglich fort. Ja, in den noch stürmischen Morgen hinaus! Vom „Büschchen“ rief er mich nochmals nach, „das jeden Monat Rosen trägt! – Es steht Ihnen doch offen!“ – „Kerl, was denn noch? Ich muß jetzt heim!“
Er rieb seine Augen: „Aber, ach, Sie sind doch schon losgeritten!“ Er will mich festhalten, der Bursche! „Oder ist noch Hochwürden bei ihr? – Sorry. Bin eben eingenickt! I bag Your Pardon!“
„Ach was! Kerl!“ Ich hatte noch nicht völlig verstanden! „Rufen Sie in dem Triberger Hotel an und lassen Sie den John mit seinem Motorrad kommen. Ich werde ihm entgegenlaufen. Er schien darüber nicht im mindesten erstaunt zu sein. Die Zofe Mascha, die aus ihrem Zimmer neben dem Salon heraustrat, fragte ich, ob die gnädige Frau noch schlafe. Sie entgegnete mir, daß sie allerdings noch zu schlafen geruhe – und nicht, von niemandem gestört werden wolle.
Diese Antwort gab mir wiederum einigen Mut. Ich bat, meine Entschuldigung auszurichten, da ich fort müsse, ohne Abschied zu nehmen, schaute noch in den Pferdestall. Nichts! Und schritt rasch aus. Noch vor dem Ortsausgang hörte ich das vertraute Knattern – und John ließ mich, mit einem langen Blick, einsteigen. Und reicht mir eine Aluminiumfläschchen herüber, das er aus der Innentasche seiner dicken Lederjacke holte. „Das wärmt dich, alter Herumtreiber! – Du bist heute schon der Zweite, der sich abholen läßt! – Wo treibt ihr euch nur herum in diesem dunkeln Land?“ Mit einer abwehrenden Geste ließ ich ihn losfahren.
Zwei Tage darauf – es war mein letzter Tag in Triberg, und meine brennende Neugier nicht erloschen und meine Fragen spannen sich von alleine fort - kam ich mit mehreren Kameraden und einem Amtsdirektor, wieder mit Farbenbändchen – warum, weiß ich nicht! - in Frau Johannas Haus. Sie empfing uns freundlich wie immer. Sie ließ mir gegenüber auch nicht die geringste Anspielung auf jene Nacht fallen. Auch sonst bei niemandem gewahrte ich Vertraulichkeit oder ein intimes Augenspiel. Und es ist mir bis auf den heutigen Tag ein Rätsel, ob sie überhaupt begriffen hat, was damals vorfiel und wer mir zuvorkam in jener Nacht.
John, mein heranknatternder Kradfahrer – ob er mein Konkurrent in jener Nacht war? Oder doch der Pfarrherr? - Mein Gott! - Wieviele Liebhaber hatten sich dort schon bedient am Quell der so getreuen Liebe? Und waren glückhafter gewesen als ich?
Ich schwang mich auf den Soziussitz, preßte mich an seinen Körper! Herrlich! Muskeln. Und Leder! Und dann Tempo!
„Has he told of the „Büschchen“?
„What? What do you know`“
Er kicherte und legte sich in eine Kurve, daß mir bang wurde.
„It’s oldfashioned German.


*


Er war am nächsten Morgen – als ich noch duselte und mich zu spät unter die Dusche getraute, abgefahren. Nach Frankfurt sei er, dann nach Berlin zurück, erhielt ich als einzige Auskunft.
An meinem Frühstücksplatz, unter der Whiskeytasse fand ich einen Schmierzettel, mit folgendem Text – ziemliche Zumutung:
Das Gärtlein still vom Busch umhegt,
Das jeden Monat Rosen trägt,
Das gern den Gärtner in sich schließt,
Der es betaut, der es begießt,
Es lebe hoch!

Der Bergmann, stark und wohlgenährt,
Der ohne Licht zur Grube fährt,
Der immer wirkt und immer schafft,
Bis er erlahmt, bis er erschlafft,
Er lebe hoch!

*

Good, so good, Old Ernest: Ob du es glaubst oder nicht: It’s from Goethe. Or his friend, named Wieland. Is me unknown.
I believe, the poem must not translated - Your John!
Okay: Bergmann means miner. Not trout-hunter.

Ich hab’s zerknüllt! Dreimal geflucht! Und mich nach Spanien abgesetzt. Amen! Father Kolping sei Dank!

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