Betty

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Betty

Betty

Abdullah Quasseem

Der Prospekt hatte nichtübertrieben. Mindestens 15 Personen hätten in der Sauna bequem Platz gefunden. Es saßen aber nur drei ältere Herrschaften, zwei, etwas füllige, Damen und ein weißhaariger Herr mit ebensolchem Schnurrbart, in der mittleren Reihe einer Längsseite der U-förmig angeordneten Podeste.
„Grüß Gott!“, bot Bettina beim Eintreten den Anwesenden leise zum Gruß.
„Mach isch, junge Frau, wenn isch en seh‘“, erwiderte der Weißhaarige in reinstem Rheinländer Dialekt und lachte. Bettina überlegte, an wen er sie erinnerte, aber es wollte ihr im Moment nicht einfallen. „Guten Abend“, grüßten die beiden Frauen offensichtlich ebenfalls amüsiert, aber freundlich, worauf die drei ihre gedämpfte Unterhaltung fortsetzten. Sie saßen nackt und schwitzend auf ihren Handtüchern, weshalb es Bettina ihnen gleich tat, das Liegetuch, das sie um sich geschlungen hatte und ihren Oberkörper noch von den Achseln bis zu den Oberschenkeln bedeckte, auf der Bank ihnen gegenüber ausbreitete und darauf Platz nahm. Sie war erleichtert darüber, dass die Sauna nur schwach besucht war. Sie liebte abendliche Saunagänge, verabscheute aber nichts mehr, als überfüllte Kabinen in denen man, gezwungener Maßen, schwitzend Fleisch an Fleisch mit wildfremden Menschen in die Bankreihen gequetscht war. Hoffentlich blieb es so und es tauchte nicht plötzlich eine aufgedrehte Runde von Kegelfreunden auf, die die Sauna übernahmen, so wie sie es erst vor ein paar Wochen in einem Hotel in Basel erlebt hatte. Der Tag war anstrengend gewesen und sie sehnte sich nach Entspannung, jedenfalls nicht nach lautstarken Unterhaltungen mit anzüglichen Herrenwitzen.
Hätte das Tagungshotel nicht mit einer „… außergewöhnlich großzügigen, modernen Wellnesslandschaft, in der Sie alles finden werden, was Sie zu Ihrem Wohlbefinden benötigen …“ geworben, dann hätte sie sich vermutlich in einer preisgünstigeren Unterkunft einquartiert. So, direkt am Tagungsort, war es natürlich bequemer und sie war bisher mit ihrer Entscheidung zufrieden. Das Haus war zwar teuer, aber modern und stilvoll, ihr Zimmer großzügig und ruhig, das Frühstück reichhaltig und die kleinen Imbisse, die zwischendurch gereicht worden waren, dem Niveau angemessen. Auch der Wellnessbereich in der obersten Etage entsprach ihren Erwartungen. Es gab ein kleines Schwimmbad mit Liegebereich und Solarien von dem man einen beeindruckenden Blick über die Innenstadt hatte, einen Fitnessraum, einen Bereich für Massagen und weitere Behandlungen und den abgetrennten Saunabereich, den sie nach einer schnellen Orientierung über die Räumlichkeiten direkt angesteuert hatte, mit Ruhezone und einem Abkühlbecken im Freien und, laut Prospekt, einem fantastischen Blick auf Dom und Rhein, wovon sie sich später überzeugen wollte.
Die Hitze, die sie umfing, empfand sie als wohltuend und die Anspannung des ersten von insgesamt drei Seminartagen fiel rasch von ihr ab. Für den nächsten Abend könnte sie eine Massage oder eine Schönheitsbehandlung buchen, doch für heute würde ein ausgedehnter Saunagang genügen. Vielleicht würde sie danach noch eine Kleinigkeit in einem netten Altstadtlokal zu sich nehmen und anschließend früh zu Bett gehen.

Die Tür ging auf und Bettina hoffte nur, dass keine lärmende Horde hereinströmen und die erholsame Ruhe stören würde. Zum Glück war es nur ein einzelner junger Mann der eintrat und die Runde mit einem „einen schönen, guten Abend allerseits“ höflich begrüßte. Im Gegensatz zu ihr und den drei Älteren behielt er das Handtuch an, das er um die Hüften geschlungen hatte, und setzte sich in die unterste Reihe der noch freien Seite schräg unter ihr. Anscheinend war er ein wenig schamhaft, obwohl es dazu keinerlei Grund gab. Im Gegenteil, er war eine angenehme Erscheinung, sogar ausgesprochen gutaussehend, wie sie gleich bemerkt hatte, als er hereingekommen war. Aus ihrer Position konnte sie ihn ungehindert ein wenig von der Seite mustern, ohne dass es in dem gedämpften Licht der Sauna besonders auffallen würde. Es war sonst überhaupt nicht ihre Art, aber bei einem so interessanten Mann musste man einfach ein bisschen genauer hinsehen.
Sie setzte sich ein wenig auf und straffte sich. Nicht, dass sie sich eingebildet hätte, er könnte sich für sie interessieren, schließlich war sie ein gutes Stück älter als er und auch sonst bestimmt nicht der Typ Frau, von der einer wie er träumte, aber sie war eitel genug, um sich nicht so zu präsentieren, dass er sie mit den drei anderen in einen Topf werfen würde.
Er war noch keine 30, wie sie schätzte, groß und schlank mit sportlicher Figur. Mit seiner definierten Muskulatur, dem flachen Bauch und den ausgeprägten Brustmuskeln wirkte er kräftig und durchtrainiert. Soweit in dem Licht erkennbar, war er gut gebräunt und nicht zu stark behaart.
Sein bartloses Gesicht war männlich markant geschnitten, strahlte Energie aus, ohne kalt zu wirken und er trug die Haare in einer modischen und dennoch individuellen Frisur, oben leicht gewellt und etwas länger, an den Schläfen und im Nacken kurz geschnitten. Ein paar Strähnen fielen frech in seine Stirn. Über dem linken Fußknöchel hatte er ein Tattoo in so einem Tribal-Muster, wie es bei den Jungen eben heute Trend war, aber wenigstens war er nicht mit geschmacklosen Tattoos übersät wie viele andere seiner Generation.
Im Grunde war er genau der Typ Mann, wie man ihn von Werbung für Herrenunterwäsche kennt – ein richtiger Frauenschwarm, der wahrscheinlich nur mit den hübschesten Mädchen verkehrte. Oder vielleicht war er ja schwul und machte sich nichts aus Frauen. Das sagte man doch schönen Männern allgemein nach.
Auch wenn sie nicht mehr ganz jung war und ihr Äußeres nach ihrer eigenen Einschätzung eher unauffällig, ließ sie der Anblick eines so attraktiven Mannes nicht kalt. Vielleicht war es besser, dass er sein Handtuch um die Hüften anbehielt, sie wäre sonst möglicher Weise zu sehr ins Träumen geraten und das hätte doch zu nichts geführt.
Die Stimme des Weißhaarigen riss sie plötzlich aus ihren Gedanken.
„Na, Mädsche, wolle mers jut sing losse för hütt?“, wandte er sich mit deutlich lauterer Stimme als bisher an seine Begleiterinnen, die ihm darauf nickend und murmelnd ihre Zustimmung signalisierten.
„De beede Jonge könne de Hitz noch länger vertroje wie mir“, sagte eine der beiden Frauen, während sie sich wieder in ihr Handtuch hüllte, „also do wünsche mer euch noch ne schöne Aowendt. Mir jond jetz noch schön zum Köbes. Stimmt’s? Was mer do russjeschwitzt hon, muss jo irjendwie wieder ring.“ Mit einem letzten Nicken verließen die drei, gut gelaunt lachend, die Sauna.

Bettina fühlte sich mit einem Mal unwohl so ganz nackt allein neben dem hübschen jungen Kerl. Die anderen hatten durch ihre Anwesenheit und dadurch, dass sie ebenfalls nackt sauniert hatten, eine gewisse Sicherheit gegeben. Jetzt waren plötzlich ungleiche Verhältnisse entstanden, aber es wäre albern gewesen sich jetzt noch das Handtuch umzubinden. Bettina hätte in diesem Moment nichts gegen ein wenig zusätzliche Gesellschaft gehabt (es mussten ja keine Proleten sein). Aber niemand kam.
Der junge Mann stand plötzlich auf und setzte sich in die gerade frei gewordene, zweite Bankreihe ihr fast direkt gegenüber. Er sah zu ihr hinüber. Sie lächelte, er lächelte wortlos zurück. Bettina drehte sich zur Seite und stellte die Füße neben sich auf die Bank. So saß sie ihm wenigstens nicht frontal gegenüber. Vermutlich interessierte sie ihn nicht und doch war es ihr peinlich, ihm ihre komplette Vorderansicht ungeschützt zu präsentieren. gehen wollte sie auch noch nicht, ihre Saunarunde hatte ja gerade erst begonnen.

Eine Zeit lang herrschte Schweigen. Kein weiterer Saunagast gesellte sich zu ihnen.
„Sind Sie Steuerberaterin?“, wandte er sich unvermittelt an sie.
„Ja. Sie etwa auch? Also Steuerberater, meine ich natürlich.“ Sie konnte sich nicht erinnern, ihn im Laufe des Tages schon einmal gesehen zu haben, war aber immerhin froh, dass das ein wenig peinliche Schweigen beendet war.
„Nein. Ich bin nur wegen der Sauna hier“, erwiderte er mit einem warmen Lächeln.
„Wie kommen Sie dann darauf?“, wollte sie wissen
„Na, ja. Der Kongress. Ich schätze, mehr als die Hälfte der Hotelgäste sind zur Zeit Steuerberater, oder etwa nicht?“ Natürlich, die Antwort lag auf der Hand. Man musste kein Hellseher sein, um heute beim Großteil der Hotelgäste auf den richtigen Beruf zu tippen.
„Es ist kein richtiger Kongress, wissen Sie“, sagte Bettina und drehte sich wieder ein Stück weit zu ihm hin, „ein Paukseminar, so nennen wir es. Die Steuergesetze ändern sich bei uns von Jahr zu Jahr und hier werden uns die Änderungen von teuer bezahlten Dozenten im Schnellverfahren regelrecht eingepaukt. Kein Spaß, kann ich Ihnen verraten. Man muss sich enorm konzentrieren. Am Abend ist man komplett alle. Ne Sauna tut da zum Abspannen ganz gut. So hat eben jeder Beruf seine Pflichten.“
„Ah so, verstehe“, entgegnete er darauf, „und wo kommen Sie her, wenn ich fragen darf?“
„Aus Karlsruhe“, antwortete sie. Das erklärte ihren unverkennbar alemannischen Akzent.
Er wollte wissen, ob sie zum ersten Mal in Köln sei und wie es ihr gefalle. Sie erzählte von einem früheren Besuch, vor vielen Jahren, für ein Wochenende und dass sie dieses Mal noch nicht viel gesehen habe, aber sich wohl einiges verändert hätte.
Während sie sich so unterhielten, hatte er Gelegenheit, sie sich unauffällig, genau anzusehen. Schon als er eingetreten war, war ihm klar gewesen, dass sie zu dieser Steuerberatertagung oder was auch immer gehörte. Die zwei alten Schachteln und der Millowitsch-Verschnitt waren völlig uninteressant, aber sie hatte sofort seinen Jagdinstinkt geweckt. Sie war seine Beute, die er langsam, ohne dass sie es bemerkte, umschlich. Er musste nur im richtigen Moment zuschlagen und sie gehörte ihm. Da war er sich seiner Sache sehr sicher. An der Art wie sie die Augen leicht zusammenkniff, wenn sie mit ihm sprach, konnte er ablesen, dass sie schon angebissen hatte.

In den letzten Jahren hatte er gelernt, Frauen richtig einzuschätzen – nicht nur äußerlich, auch psychologisch – und er lag damit meistens ziemlich richtig. Nicht, dass er sie abschätzte, nein, er betrachtete sie immer mit Empathie. Er liebte Frauen, sie waren so schwache Wesen. Es war für ihn von geradezu existenzieller Bedeutung, an ihnen etwas Liebenswertes, etwas Reizvolles zu entdecken – mindestens auf den zweiten Blick. Wenn er sie gänzlich unattraktiv oder auch nur total langweilig fand, konnte er mit ihnen nichts anfangen – um keinen Preis. Bei jungen Frauen war es leicht, sie waren von Natur aus reizvoll und hin und wieder traf er auch auf hübsche Frauen, sexy Frauen, Frauen die kaum älter waren als er. Aber das waren eher die Ausnahmen, Glücksfälle. Die meisten waren deutlich älter, zwischen Mitte 40 und Ende 50 am häufigsten. Frauen, die schon ein wenig verblüht waren, die ihren zweiten Frühling erlebten, die es noch einmal wissen wollten. Es bedurfte schon einer grundsätzlichen Zuneigung, um ihre Schönheit zu erkennen. Manchmal reizten sie ihn sogar mehr als die jungen und schönen. Und immer waren sie dankbarer, für das was er ihnen bot, weil sie Erfahrung hatten und weil sie wussten, dass die Zeit für sie nicht stillstand.
Sie war nicht mehr jung und auch nicht außergewöhnlich hübsch, gehörte aber zu denen, die auf den ersten Blick einen gewissen Reiz besaßen, jedenfalls genug für seine Absichten. Er schätzte sie auf Anfang 40 und damit deutlich jünger als der Durchschnitt seiner Eroberungen. Sie war nicht groß, nicht größer als 1,65. Genau konnte er das erst sagen, wenn sie aufgestanden war. Ihr sympathisches, leicht herzförmiges Gesicht mit freundlichen Augen wurde von einer nackenlangen, kastanienbraunen Lockenfrisur umrahmt. Die Locken waren vermutlich Natur, aber bei der rötlichen Farbe hatte sie mit Sicherheit etwas nachgeholfen.

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