Black and White

Graues Schamhaar

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Black and White

Black and White

Jo Diarist

Vor den Ereignissen von "Die Bank am Wanderweg".

„Also, meine Familienplanung ist abgeschlossen!“, stellt Jara im Brustton der Überzeugung in die Runde.
„Meine aber noch nicht“, erwidert Hellen mit ihrer sanften klaren Stimme.
Die zwei Frauen sind wie Yin und Yang befindet Karl zum wiederholten Male. In vielerlei Beziehung denkt er und mustert sie unter halbgesenkten Augenlidern.
Jara, die dunkelhäutige herbe Schönheit, wirkt wie eine Amazone. Obwohl die Mutter eine blasse deutsche Blondine ist, hat Jara die braune Hautfarbe des afrikanischen Vaters geerbt. Nicht ganz so dunkel wie er, eher in Richtung Vollmilchschokolade. Jara ist aber nicht süß, sondern zartbitter, vom Wesen her.
Sie ist zwölf Jahre älter als Hellen und der dominante Part des Paares. Zornig funkelt sie bei diesem Gespräch, die elfenhafte Hellen an.
Doch dieses sanfte, grazile Wesen lässt sich davon nicht beeindrucken. Wie ein goldgelber Halm, beugt sie sich mit dem Wind, knickt aber nicht. Stolz richtet sie sich auf und hält dagegen, bei dieser, für Außenstehende fast aggressiv wirkenden Auseinandersetzung.
Nach einiger Zeit legt Hellen mit einer fließenden Bewegung, ihr langes rotblondes Haar über die Schulter und reißt Karl aus seinen Betrachtungen:
„Was sagen Sie dazu?“, fragt sie unvermittelt.
`In so was will ich mich eigentlich nicht hineinziehen lassen´, denkt er und reibt seinen grauen Stoppelbart.
„Nun, das ist eine Entscheidung, die man gemeinsam treffen muss und keiner sollte halbherzig dabei sein. Des Kindes wegen“, sagt er ausweichend.
„Das haben wir ja selbst gerade festgestellt, aber mich interessiert die Meinung eines Menschen mit Erfahrung“, gibt Hellen schmunzelnd zurück.
`Hmm, sie ist so klug wie schön und hat meine ausweichende Antwort durchschaut´, folgert Karl.
„Nun ja, Erfahrungen habe ich sammeln können, aber nicht eine solche Konstellation betreffend.“
Es ist ein letzter Versuch sich aus der Sache herauszuwinden, doch Hellen gibt nicht auf:
„Aaach bitte, auch wenn wir keine klassische Hetero-Beziehung sind, ist es doch das gleiche Problem.“
Mit einer sanften Bewegung legt Hellen ihre Hand auf die von Jara und bringt sie dazu, sich eine aufbrausende Antwort auf Karls Worte zu verkneifen.
„Ich wünsche mir zumindest ein Kind, meine Partnerin hat Angst vor der Verantwortung. Also nicht anders als bei anderen Ehepaaren, mit dem gleichen Konflikt. Sie haben vier Kinder großgezogen, und wenn ich mir Tina ansehe, dann können sie stolz sein, auf diese großartige Persönlichkeit“, bringt Hellen ihre Erläuterung zu Ende.
Karl ist nichts von alldem entgangen und nun stellt er sich dem Unvermeidlichen:
„Meine Tochter“, er blickt auf Tina, die versucht die Enkelkinder im Schach zu halten. „Habe ich nicht allein aufgezogen. Es war Teamarbeit, wie bei allen unserer Kindern. Meine Frau war der sanfte verständnisvolle Part, ich der strenge. Wir haben uns ergänzt und nie vor den Kindern infrage gestellt. Unstimmigkeiten wurden im, nicht so stillen Kämmerlein ausgetragen und die gab es zur Genüge.
Unsere Beziehung hat nur funktioniert, weil jeder etwas von sich aufgab, aber jeder dem anderen auch einen gewissen Freiraum gewährte.“
Karl unterbricht sich und musterte die beiden Frauen offen.
„Wir waren ähnlich wie ihr. Grundverschieden in manchen Bedürfnissen und Denken. Uns anzugleichen und aufeinander einzustellen hat Zeit gebraucht. Einige Male flogen dabei ordentlich die Fetzen und alles stand auf der Kippe. Aber wir haben es geschafft und waren in den späteren Jahren wie ein einziger Organismus, der trotzdem immer getrennt seinen Freiraum ausschöpfen konnte.“
Karls Brust entringt sich ein tiefer Atemzug.
„Es ist nicht einfach …“
Der Satz bleibt unvollendet, weil er sich den beiden jungen Frauen gegenüber nicht noch weiter öffnen will und er geht auf Hellens Frage ein:
„Deinen Kinderwunsch betreffend, kann ich nur sagen, dass ihr beide ihn tragen müsst, sonst leidet am Ende das Kind darunter. Bevor ihr ihn umsetzt, müsst ihr mit euch selbst im Reinen sein.
Und dann ist da noch der Punkt, den ihr vorhin selbst schon angesprochen habt. Wie soll das Kind zustande kommen?
Künstliche Befruchtung? Anonymer Samenspender? Oder soll ein Mann aktiv daran beteiligt sein?
Es lässt sich eben doch nicht so einfach mit einer Hetero-Beziehung vergleichen“, schließ Karl ab.
Er ist ungeschönt mit klaren Worten auch auf die Zeugung eingegangen, was die beiden Frauen erstaunt, ihnen aber auch Achtung abringt.
Hellen sucht noch nach den rechten Worten, als die kleine Lena Karl vor einer weiterführenden Diskussion rettet.
„Opa … Opa, kommst spielen in Sandkasten, biiitte?“, fragt sie mit einem kindlichen Augenaufschlag, dem wohl kaum einer widerstehen kann.
Karl gibt dem Kind nur zu gerne nach und winkt bei der entschuldigenden Geste seiner Tochter ab. Ihr war es nicht mehr gelungen beide Kinder zu beschäftigen, weil sich ihr Mann kurz zurückgezogen hatte. Das Gezänk der Frauen hatte ihn dazu bewogen, mit verdecktem Augenrollen und einer Ausrede, ins Haus zu gehen.
In dem Moment zurückgekommen, nutzt er auch gleich die Gelegenheit und folgt dem Opa mit seinem Sohn zum Sandkasten.
Zurückgelassen am sonnenbeschienenen Kaffeetisch im Garten, folgen die drei Frauen dem Quartett mit den Augen.
„Dein Vater ist schon ein besonderer Mensch. Ruhig, in sich ruhend und voller Spannkraft, wie ein Junger“, stellt Hellen fest.
Tina lacht leise auf.
„Das ist nur äußerlich. Also nicht das mit der Spannkraft, die hat er manch jüngeren Mann voraus. Er hat sein Leben lang immer hart gearbeitet, was ihn jung und auch geistig fit hält. Nach dem … dem Tod meiner Mutter, hat er sich immer weiter verschlossen und in die Arbeit gestürzt. Es kam so unvermittelt, dass dieses unentdeckte Aneurysma in ihrem Kopf geplatzt ist. Die zwei waren in den letzten Jahren so glücklich fixiert auf ihren baldigen Ruhestand, dass er mit der plötzlichen Leere an seiner Seite kaum klarkam.“
Tina entringt sich ein tiefer Seufzer.
„Das erste halbe Jahr danach, war er wie ein einsamer Wolf, der ungestört seine Bahnen ziehen wollte. Wir haben lange gebraucht, um ihn wieder ein bisschen in unsere Gemeinschaft einzubeziehen. Ohne Lena wäre uns das vermutlich nicht gelungen. Nur ihrem kindlichen Charme, mit dem sie den Opa um den Finger wickelt, ist es zu verdanken, dass wir ihn erneut in unser Leben einbeziehen können.
So ein Nachmittag mit Kaffee und Gästen, hätte er vor einigen Monaten noch abgelehnt und sich in seiner Ahnenforschung vergraben, die er jetzt für sich entdeckt hat.“

Die drei Frauen tauschen sich noch länger über Karl aus und dabei ist ihr Zankthema aus dem Fokus gerückt. Erst als Hellen und Jara am Abend allein in ihrer Wohnung sind, kommt es wieder zur Sprache:
„Es war unartig von dir, unser intimes Problem bei anderen zur Diskussion zu stellen“, bringt es Jara angefressen auf den Punkt.
„Was bleibt mir weiter übrig, wenn du es sonst nur blockst. Noch nie haben wir die Sache so detailliert betrachtet wie heute und ich hoffe, du verschließt dich in Zukunft nicht mehr vor einer weiterführenden Diskussion.“
„Warum bist du nur so fixiert auf ein Kind?“, hakt Jara nach.
„Hast du die Kinder von Tina nicht auch mit liebevollen Augen betrachtet. Mir ist nicht entgangen, dass es dir gefallen hat, als Lena deine Haut streichelte und sich über deren Farbe wunderte. Wie geduldig du ihr das erklärt hast, hat mir doch gezeigt, dass du Kinder auch magst und mit ihnen umgehen kannst.“
„Aaarrrg, das mag schon sein, aber da war es zeitlich begrenzt. Ich habe nicht die Verantwortung für Erziehung und Leben. Das wäre anders, wenn wir ein Kind hätten.“
„Ich bin doch auch da und du musst nichts alleine tragen. Hast du nicht gehört, was Karl gesagt hat und wie er uns mit sich und seiner Frau verglich. Wir könnten auch so sein.“
„Du bist heute irgendwie auf Krawall gebürstet, meine Kleine!“, knurrt Jara. „Versuchst mich in die Enge zu treiben mit deinen Argumenten und du weißt ganz genau, dass mich das runterdrückt.“
Nur Hellen gegenüber zeigt Jara ihr wahres Gesicht. Ihre sensible Seite. Das, was sie vor Außenstehenden hinter Dominanz und zur Schau gestellter Überheblichkeit verbirgt. Es ist die Art, die sie sich als Kind angeeignet hat, um mit dem Mobbing umzugehen, dem sie wegen ihrer Hautfarbe ausgesetzt war.
Hellen weiß, dass Jara keinem so vertraut wie ihr. Niemals wird sie deshalb Jara verletzen, indem sie anderen offenbart, wie verletzlich ihre Gefährtin in Wirklichkeit ist. Gerne gibt sie sich in der Öffentlichkeit unterwürfig, stellt Jara als den dominanten Part hin. Nur hier in ihrer trauten Zweisamkeit zeigt sie, wie es wirklich ist.
Hellen lässt sich in den Sessel fallen und fordert, mit ausgestrecktem Arm:
„Komm her!“
Unter einem tiefen Atemzug schließt Jara die Augen und reicht ihr die Hand.
Forsch zieht Hellen sie auf ihren Schoss und nimmt sie liebevoll in die Arme. Ein kurzer Kuss und ein leises Geständnis:
„Jara, ich liebe dich über alles und will dich nicht verletzen, aber ich kann diese Sehnsucht nach einem Kind auch nicht unterdrücken. Bitte steh dem nicht entgegen.“
Das Amazonenhafte ist längst von Jara abgefallen und eine Träne sucht sich ihren Weg über die braune Wange.
„Ich hab Angst Hellen. Angst vor der Verantwortung. Furcht, dass dem Kind gleiches wie mir widerfährt. Dass es gemobbt wird, weil es nicht in einer klassischen Familie aufwächst. Das Fragen nach dem Vater aufkommen. Dass das Kind selbst, seinen Vater vermisst. Ich weiß, wie sich das anfühlt, weil ich allein mit meiner Mutter aufgewachsen bin, als mein Vater nicht mit dem Leben hier einverstanden war, und zurück nach Gabun ging.“
Hellen wischt ihr die Tränen aus dem Gesicht und küsst sie erneut.
„Jara, wenn wir alles in unserem Leben ausschließen, was Bedenken auslöst, ist es kein Leben mehr.“
Fest nimmt sie Jaras Gesicht in ihre Hände und fängt deren unsteten Blick.
„Wir schaffen das, glaube mir! Das Umfeld, in dem wir uns jetzt bewegen steht doch, ohne Wenn und Aber hinter uns. Nimm zum Beispiel Karl. Er ist in einer Zeit aufgewachsen, in der es Beziehungen wie unsere nur versteckt gab und doch geht er ganz selbstverständlich mit uns um, oder?“
„Ja Karl“, gibt Jara unter einem tiefen Atemzug preis. „Der hat was Besonderes an sich. Etwas, das mich anzieht. In seiner Nähe fühle ich mich einfach wohl.“
„Ohhh, dann wäre er doch ein Kandidat, als …“
„Untersteh dich, das auch nur anzudenken!“, fährt Jara aufbrausend dazwischen. „Der Vater unserer besten Freundin … du spinnst doch!“
Selten, dass ihre Partnerin so aggressiv ihr gegenüber auftritt. Hellen erschreckt das und sie lehnt sich mit forschendem Blick zurück.
Da hat Jara sich auch schon wieder gefangen.
„Das geht wirklich nicht Hellen“, stellt sie beschwichtigend fest. „Ich weiß ja, dass du auf ältere Männer stehst …“
„Nein, ich steh auf dich!“
„Und doch hattest du vor mir einige Abenteuer mit gesetzten Herren.“ Jara ist nicht bereit sich aus dem Konzept bringen zu lassen. „Wie war das noch mit dem …“
„Schon gut, schon gut.“
Jara lächelt bei einem tiefen Atemzug.
„Wenn es denn schon unbedingt sein muss, dann such dir einen Fremden. Einen den ich nicht kenne.“
Hellen stockt der Atem.
„War das … war das ein Ja zum Kind?“
Jara nickt und nimmt sie in den Arm, um ihr nicht zu zeigen, dass sie selbst erstaunt ist, über ihre Zustimmung.

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