Black-Box

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Black-Box

Black-Box

Viktoria Tsiffa

Es ist eng und dunkel um mich herum. Trotz der Enge fühle ich mich nackt wie nie zuvor. Kniend, mit gekrümmtem Rücken und angezogenen Beinen kauere ich in einer Art Würfel. Ein ungefähr ein Kubikmeter kleiner Würfel, in dem ich eingesperrt bin. Meine Brüste gegen meine Oberschenkel gepresst. Weil ich mich nicht aufrichten kann. Meine Fußsohlen gegen eine Wand des Würfels gestemmt. Reglos bin ich in dieser Position gefangen. Man kann den Würfel nicht öffnen. Dennoch können Hände in diesen Würfel hineingreifen, mich berühren.
Ich erinnere mich an diesen Traum von letzter Nacht. Ich stehe auf einer dieser dekadenten Kunst-Parties herum und betrachte den faustgroßen, schwarzen Würfel, den ich in meiner Hand halte. In diesen Würfel ist die Einladung zu dieser Party eingraviert. Das abgrundtiefe Schwarz des Würfels läßt meine langen Fingernägel wie die Krallen eines Raubtiers wirken. Der schwarze Würfel wirkt bedrohlich in meiner zarten Hand.
Irgendetwas verstört mich und ich versuche meinen Blick vom schwarzen Würfel loszureißen.
Die Banalität um mich herum verschafft mir Ablenkung von meinem bösen Traum. Ich blicke um mich und fühle mich... deplaziert. Ich bin nur noch ein Körper. Ein Fremdkörper.
Wieder eine dieser Parties. Hier kopulieren Kunst und Entertainment. Der kühle Raum ganz feucht vor lauter Sinnlichkeit und Dekadenz.
Die Herren, ganz Schwanz und Bizeps. Enthaarte Affen. Gehüllt in Smokings und getarnt mit maskulinen, ledernen Gesichtern. Das ewige Gelächle muß wirklich anstrengend sein. Jeder hält brav sein Champusglas in der pelzigen Pranke. Ach, wie schön man die Affen doch wieder dressiert hat.
Ich weiß nicht, warum ich hier herumstehe. Ich weiß nicht, warum ich mich immer wieder zu solchen Parties überreden lasse.
Jetzt stehe ich hier, wie eine kleine Idiotin. Eine wirklich hübsche, kleine Idiotin. In einem Kleid, das nichts versteckt und mit einem faustgroßen, schwarzen Würfel in meiner Hand.
Ich stehe hier und lasse mich begaffen, in meinem blutroten, sexy Kleid, das ich gestern erst für diesen Anlass in Lucy`s Boutique hab` mitgehen lassen.
Das Kleid. Wenn man das überhaupt so nennen kann. Das Kleid sieht aus, wie eine weitmaschige, gehäkelte Tischdecke, mit der man eine Blutlache aufgewischt hat. Der trägerlose, superkurze Fetzen wird eigentlich nur von meinen harten Nippeln gehalten. Und die sind nur deshalb hart, weil es hier drin so kühl ist. Das Kleid reicht mir knapp über den Schritt. Gerade so, dass meine Schamhaare nicht unten hervorspitzen... solange ich aufrecht stehe und ich mich nicht bewege.
Ich darf mich also nicht rühren und meine Brustwarzen müssen hart bleiben. Sonst stehe ich nackt da. Also werde ich wohl auf dieser Party frieren müssen, oder ich ich suche schnell nach sexueller Erregung.
Vielleicht hätte ich besser in meiner Stewardessen-Uniform kommen sollen. Aber dieser rote, geile Fetzen kommt gut zu meinen pechschwarzen, langen Haaren, die meine nackten Schultern kitzeln.
Mein Prinz ist nirgendwo zu sehen. Auch sonst nirgendwo Prinzen auf dieser Party. Nur Frösche. Und alte Kröten. Frösche und Kröten... übereinandergestapelt und in talgige Smokings gestopft.
Der Typ, der mich diesmal eingeladen hat... wie hieß der doch gleich? Ich hab` ihn kennen gelernt, auf einem Business-Flug. Ich, sexy Stewardess. Er, sexy Business-Man. Meinem sanften Befehl gehorchend, brachte er nicht nur seinen Sitz in aufrechte Position. Brav angeschnallt. Den Gurt um seine edle Hüfte gezurrt. Ich wollte nur noch Gurt sein und mich eng um ihn legen.
Während des ganzen, langen Flugs kümmerte ich mich nur noch um ihn. Und er kümmerte sich um mich. Der Flieger hob ab. Und wir auch. Heimlicher Treffpunkt Toilettenkabine. Die haben wir beide dann bis zur Landung blockiert. Es war so eng da drin, dass ich nicht mal meine Uniform ausziehen konnte. Die aufgeknöpfte Bluse und der hochgeschobene Rock waren alles, was ich ihm bieten konnte. Aber davon reichlich.
Auf seinem Hotelzimmer ging`s dann so weiter. Am nächsten Morgen war er verschwunden. Alle Rechnungen bezahlt. Er war weg. Mein Prinz. Mein Voodoo-Priester. Oder hatte er sich in den schwarzen Würfel verwandelt, der am Morgen auf dem Nachttischchen lag?
Ich bin dem Magnetismus dieses Zaubers gefolgt und jetzt stehe ich hier... und friere.
Ist das hier vielleicht die falsche Party?
Plötzlich schießt mir ein Gedanke durch den Kopf. Ein Gedanke, der von einem Pack stechender Schmerzen eskortiert wird. Der Gedanke und der Kopfschmerz. Die beiden laufen händchenhaltend und nervös in meinem Kopf auf und ab. Von Schläfe zu Schläfe.
Diese Männer hier sind Außerirdische, denkt es in mir. Könnte man die Fassaden der Gesichter aufklappen, dann sähe man sie. Außerirdische Penisse, die in den Köpfen der Männer hocken, wie Bauarbeiter im Führerhaus eines Krans. Und da hocken sie nun, die außerirdischen, hochintelligenten Pimmel, in ihren kleinen Schaltzentralen und hebeln an den Hebeln herum, steuern die maskulinen Körper ungelenk durch die Gegend.
Und diese Party ist gar keine Party. Nicht so richtig. Eher ein Experiment. Oder ein In-Joke unter Aliens.
Ich habe den Eindruck, ich befinde mich im leeren Kühlfach eines riesigen Kühlschranks. So öde ist das hier drin. Und auch so kalt. Man hat in jeder Ecke dieses Raums helle Strahler angebracht, die diesen Raum kalt ausleuchten. Und inmitten dieses gleißenden, weißen Lichts, die Black-Box.
Okay. Hier wird viel über Kunst gefaselt. Postmoderne hier, Metafiktion dort. Aber wo, verdammt noch mal, sind die sogenannten Kunstwerke? Die Black-Box, die da mitten im kühl ausgeleuchteten Raum steht, die kann`s ja wohl nicht sein. Ich dachte, diese schwarze Kiste ist eher was zum Draufsetzen. Falls nicht, auch egal. Denn ich werde mich jetzt auf dieses ein Kubikmeter große, schwarze Scheißding setzen. Weil mir die Füße weh tun. Ich bin`s nicht mehr gewohnt, in diesen hochhackigen Schuhen durch die Gegend zu stolpern.
Kaum sitze ich auf der Black-Box, gaffen mich auch schon alle an. Vielleicht deshalb, weil ich auf der schwarzen Kiste jetzt der Mittelpunkt des Raumes bin.
Jetzt stehen sie um mich herum, die Außerirdischen und gaffen. Und mir wird jetzt klar, dass es nicht anderes zu gaffen gibt, in diesem öden Kühlfach. Ich bin die einzige Frau unter den befrackten Kerlen. Mit gekrümmten Rücken und gespreizten Beinen lümmle ich auf einer schwarzen Kiste und blicke mit gesenktem Haupt zu all den Affen auf. Im Kreis stehen sie um mich herum. Jetzt nicht mehr lächelnd. Habe ich mit meinem Hintern die schwarze Kiste unter mir entweiht? Wieso kommt keine Party-Stimmung auf?
Das Gemurmel ist verstummt und auch das Schweigen gilt jetzt mir.
Einer der Affen kommt nun auf mich zu. Die Lackschuhe quietschen und der Frack vermag es nicht, dem Affen Würde zu verleihen.
Jetzt steht er direkt vor mir, der befrackte Affe. Meine Nasenspitze tangiert beinahe seinen Hosenschlitz. Ich sehe, wie seine behaarten Hände in den Hosentaschen verschwinden. Ich spüre, wie die Spitze seines Lackschuhs meinen nackten Zeh berührt.
Er faselt etwas von wegen "Transformation" und so. Seine wichtigen Worte werden offenbar von kleinen Spuckebläschen transportiert. Die Worte verhallen in meinem Kopf. Die Spuckebläschen landen auf meiner linken Titte.
Jetzt beugt er sich zu mir herunter. Mir sticht sein kahler, konisch geformter Schädel fast ein Auge aus. Ich muß mir ein Lachen verkneifen, wenn ich mir vorstelle, wie dieser Kerl mit seinem spitzen, kahlen Schädel versucht, in eine Frau einzudringen.
Aber das Lachen vergeht mir auch so. Der Kerl zieht das Kavalierstaschentuch und beginnt damit an meiner Brust herumzutupfen. Der Spuckebläschen wegen. Ganz langsam und bedächtig drückt der Mann kleine Dellen in meine Brust. Das erregt ihn offenbar. Mich nicht. Ich verpasse ihm eine schallende Ohrfeige.
Zwei weitere Herren treten aus dem Kreis um mich hervor. Jeder der zwei alten Säcke hält eine knallrote Wasserpistole in der Hand, auf mich gerichtet.
Jetzt wird`s albern, denke ich. Ich kann den Gedanken gar nicht richtig zu Ende denken, da trifft mich der erste Spritzer aus einer der Wasserpistolen.
Der Strahl beißt heiß in meine Haut und zersetzt mein Kleid. Säure? Das ist nicht komisch! Ich würde jetzt gerne das Wort ergreifen und ein paar wirklich unflätige Flüche von mir geben. Aber ich halte lieber meine Klappe, da ich jetzt von links und rechts bespritzt werde und vermeiden will, dass das Zeug in meinen Mund gelangt.
Mein schönes, enges, rotes Kleid. Es schmilzt mir dampfend von der Haut. Die ist leicht gerötet und zum Glück nicht verätzt.
Ätzend aber, die Situation: Ich sitze nackt, inmitten einer öden Party... auf einer kleinen, schwarzen Kiste. Und ein Haufen Männer steht im Kreis um mich herum. Mit Wasserpistolen in den Händen.
Okay, denke ich. Blöder kann`s jetzt nicht mehr kommen.
Aber offensichtlich sind die noch lange nicht fertig mit mir. Der Affe, der seinen Hosenschlitz an meiner Nasenspitze reibt, der packt jetzt meine Handgelenkte so fest, dass es das Blut nicht mehr bis in meine Fingerspitzen schafft. Der Griff macht mir nun klar, wie wehrlos ich bin. In diesem Moment wünsche ich mir, ich hätte mich vorher ordentlich betrunken. Ich will mich morgen nicht an das erinnern, was jetzt noch mit mir passiert.
Während der Stammesführer meine Handgelenke quetscht, legt mir ein anderer eine Augenbinde an. Okay. Spielen wir "Blinde Kuh", spielen wir "Blöde Kuh". Lasst uns "Würstchen schnappen" spielen! Ihr seid die Würstchen! Spürt meine Zähne, Jungs!
Ein Piekser in meinen rechten Oberarm. Plötzliche Müdigkeit. Ich falle. Ich sinke tiefer und tiefer in eine klebrige, beißende...
Als ich aus meinem muffigen, dumpfen Schlaf erwache, ist da... nichts! Buchstäblich nichts.
Nie zuvor war ich mir meiner Körperlichkeit so schmerzlich bewußt. Weil da nichts anderes ist. Nur meine Körperlichkeit.
Dunkelheit. Stille. Kein Orientierungssinn. Ich fühle mich... nackt. Wahrscheinlich deshalb, weil ich`s bin. Ich rieche etwas, was mir auf seltsame, verstörende Art vertraut ist. Nur rieche ich davon keine Milligramm. Nein, tonnenweise lastet der Geruch auf meinen zarten Sinnen. Testosteron. Ich atme keine Luft. Ich atme pures Testosteron.
Ein Hauch von Licht kitzelt meine Netzhaut. Der Druck um meinen Kopf verrät mir, dass ich die Augenbinde noch trage. Zaghaft greife ich danach. Meine Fingerspitzen auf meinem Gesicht fühlen sich fremd an. Ich fingere an der Augenbinde herum und nehme sie ab.
Ich ertappe mich dabei, wie ich gespieltes Entsetzen mime, bei einem Anblick, der doch eigentlich meine Augen streichelt, meine Netzhaut liebkost.
Maskuline Körper, nackt und schlafend. Die liegen hier überall herum. Kreuz und quer. Wild verstreut. Die liegen so dicht an dicht, teilweise übereinander, dass der Fußboden beinahe völlig mit muskulösem, braungebrannten Fleisch bedeckt ist.
Minutenlang füllt dieses Bild mein Blickfeld aus. Ich reiße meinen Blick von all den Körpern los.
Ich sehe um mich. Ich befinde mich in einem großen, hell erleuchteten Zimmer, das im Stil des achtzehnten Jahrhunderts eingerichtet ist. Ich selbst sitze auf einem Kaffeehaus-Stuhl, im Zentrum dieses Raumes. Da drüben ist die Tür. Und durch die werde ich jetzt gehen. Für mich ist diese Party gelaufen.
Nackt wie ich bin, wird`s gar nicht schwer sein, mir ein Taxi zu krallen, wenn ich erst mal draussen bin. Ich stehe vom Kaffeehaus-Stuhl auf stelle mir unnötigerweise vor, wie die Sitzfläche des Stuhls sein Muster auf meinen Arschbacken hinterlassen hat. Lauter kleine Kreise, die über meinen Hintern verteilt sind. Was soll`s? Sieht ja keiner. Und die Situation ist ohnehin absurd genug.
Gerade will ich über den ersten schlafenden Mann hinwegsteigen. Ich sehe an mir herab, an meinem Schamhaarbüschel vorbei und auf die Schuhe, die ich trage. Das sind nicht meine. Meine Schuhe sind mal sexy, mal bequem. Aber die hier sind zum töten gemacht. Hochhackige Treter mit fiesen Stahlstift-Absätzen. Die Dinger wurden mir regelrecht an die Füße und an`s Bein gefesselt. Die Riemchen kann man nirgends öffnen und die langen Schnürbänder schneiden so eng um meine Unterschenkel ein. Unterhalb meiner Kniekehlen sind die Bänder so verknotet, dass ich wohl `ne Rettungs-Schere brauchen werde, um diese Schuhe loszuwerden.
Da drüben ist die Tür. Ich will raus hier. Ich mache den ersten Schritt so zaghaft, als berührten meine Füße einen fremden Planeten. Die erste Frau auf dem Mars. Mein Fuß tastet zaghaft nach dem kahlen Fußboden, der unter Fleisch begraben liegt. So stapfe ich, Schritt für Schritt, über die schlafenden Männer hinweg, die bis zur Tür den Fußboden bedecken.
Ein tiefes Grummeln, ein sich räkelnder Körper. Haut, die sich um Muskeln spannt. Nur keine schlafenden Löwen wecken. Die sind sicher hungrig. Die Jungs träumen jetzt sicher süß und klebrig. Lassen wir`s dabei. Die Anzahl der triefenden Erektionen hier in diesem Raum übersteigt bei weitem die Anzahl meiner Körperöffnungen. Eine kurze Erinnerung an meine letzte Orgie und ich fühle mich wieder wie ein einziges, schmerzendes Loch. Nein, wie eine Grube. Zwei Männer sind `was Leichtes, Süßes. Drei stecke ich mit Vergnügen weg. Im wahrsten Sinne des Wortes. Aber mehr als dreiunddreißig Finger in mir drin... das ist nicht mehr lustig. Das tut nur noch weh. Also nichts wie raus hier!
Endlich bin ich bis zur Tür gestakst. Verzweifelt rüttel ich an der Klinke einer großen Flügeltür. Verschlossen. Verärgert, trotzig stapfe ich auf, wie eine Dreijährige. Dabei muß ich wohl einen der schlafenden Löwen an einer empfindlichen Stelle erwischt haben. Jedenfalls habe ich etwas weiches unter meinem Fuß gespürt. Ich habe gespürt, wie einer der spitzen Absätze sich in festes Fleisch bohrt.
Wie untereinander abgesprochen wachen die Löwen auf. Oder wie Vampire, telepatisch miteinander vernetzt. Ein einziges großes Aufbäumen. Mit hübsch synchronisierter Choreografie stehen alle Männer auf, stehen stramm. Und alle sehen in meine Richtung. Ich denke nur: Na, die sollen mal aufpassen, dass die sich mit ihren Erektionen nicht gegenseitig aufspießen.
Den, den ich versehentlich getreten habe, der steht jetzt so nahe vor mir, dass sein nackter Zeh die Spitze meines Schuhs berührt. Seine Hände packen mich, heben mich hoch und reichen mich an die anderen weiter. Noch bevor mein Hirn wieder mit meinem Körper synchron läuft, schwimme ich auch schon auf einer Welle kräftiger Männerhände. "Stage-Diving". Ungefähr in der Mitte des Raumes werde ich von diesem Händen in die Tiefe gezogen. Ich versinke unter einem Berg von Männerfleisch und jede Menge Finger greifen unter meine Haut.
Plopp!
Es mag ja unpassend erscheinen, einen solchen beängstigenden und zugleich faszinieren Traum mit einem "Plopp" zu beenden. Aber das Erwachen aus dem Traum ging tatsächlich mit einem sanften "Plopp" einher, das sich warm und weich in meinem Kopf ausbreitet.
Jetzt bin ich wach. Hellwach. Und meine Situation ist keinen Deut besser, als im Traum.
Es ist eng und dunkel um mich herum. Trotz der Enge fühle ich mich nackt wie nie zuvor. Kniend, mit gekrümmtem Rücken und angezogenen Beinen kauere ich in einer Art Würfel. Ein ungefähr ein Kubikmeter kleiner Würfel, in dem ich eingesperrt bin. Meine Brüste gegen meine Oberschenkel gepresst. Weil ich mich nicht aufrichten kann. Meine Fußsohlen gegen eine Wand des Würfels gestemmt. Reglos bin ich in dieser Position gefangen. Und obwohl der Würfel absolut geschlossen zu sein scheint, ist es irgendwie zugig hier drin. Ein kalter Hauch berührt meinen nackten Hintern.
Ich höre sakrales Gemurmel. Tiefe Stimmen. Männerstimmen. Gefasel über Kunst und Kommerz schält sich aus dem Stimmengewirr. Geplapper über Postmoderne und Metafiktion.
Ich bin immer noch auf der verdammten Party. Aber diesmal auf der anderen Seite des Würfels.
Meine Fingerspitzen tasten an der Wand des Würfels entlang, so weit es meine Bewegungsfreiheit zuläßt. Ein Würfel, den man nicht öffnen kann. Aber mir fallen jetzt die vielen faustgroßen Löcher auf, in den Wänden des Würfels. Die Löcher sind mit Samt ausgeschlagen. Ich kann meine Hand durch eines der Löcher stecken und das Samt umschließt mein Handgelenk, so dass kein Licht von aussen in den Würfel fällt und ich nicht nach draussen sehen kann.
Meine Hand kriegt da draussen etwas zu fassen. Etwas weiches, pelziges. Darüber, ein einzelner, isolierter Muskel. Mein erster Gedanke: Ich habe in ein seltsames Tier gegriffen. Ein kleines Tier mit kleinen, behaarten Titten und einer langen, harten, feuchten Schnauze. Mein zweiter Gedanke: Wenn ich jetzt nur fest genug zerre... kann ich dann dem Mann, der vor der Black-Box kniet die Hoden abreißen?
Ich lasse das seltsame Tier los und ziehe meine Hand zurück in die Black-Box. Wenn ich aus der Box herausgreifen kann... dann kann man auch hineingreifen.
So als könnte ich nur durch Gedanken die Dinge bestimmen und in Bewegung setzen, so geschieht jetzt, woran ich eben noch dachte.
Die Hand einer Frau greift von aussen in die Black-Box. Die Hand tastet nach mir. Wäre ich nicht hier drin eingesperrt und käme diese zarte Hand nicht von da draussen... ich könnte schwören, es ist meine eigene Hand, die mich berührt. Die zarte Hand greift mal in dieses, mal in jenes Loch des Würfels. Lange Finger greifen sachte in mein Haar. Die Fingerspitzen verirren sich in meine Mundhöhle. Ich schließe meine Augen und genieße. Ich beiße ganz zart zu.
Ein schlimmer Gedanke überkommt mich. Wenn diese Frau in die Black-Box greifen kann, dann können das auch die Männer da draussen.
Ich wage es gar nicht, diesen Gedanken zu Ende zu denken... da greifen auch schon von allen Seiten Hände in die Black-Box. Die Hände greifen in meine Haare, sehnige Finger dringen in meine Mundhöhle ein, Hände umgreifen meine Fußgelenke, meine Handgelenke. Hände tasten sich an meinem Körper entlang, befingern meine Haut.
Für den Rest der Ewigkeit werde ich in dieser Black-Box gefangen sein, wehrlos zahllosen Händen ausgeliefert. Obgleich der Gedanke absurd erscheint, weiß ich, dass dies mein Schicksal ist.
Ich bin in einer Black-Box gefangen. Nein. Ich bin die Black-Box.

For Stanley Kubrick. In Loving Memory. Viddy well, little Brother, wherever you are now.
Mein Dank geht wieder einmal an Hartmut Kraske für einen Szenen-Entwurf aus seinem Drehbuch "GRACE", der mich zu dieser Geschichte inspiriert hat.

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