Die Tür bewegt sich immer noch nicht. Ich zwinge mich, woanders hin zu starren. Ich drehe mich etwas und schaue zur Straße. Eigentlich ist es keine Straße, eher eine Gasse, die zwischen den Häusern im Schatten liegt. Auf der einen Seite steht eine Haustür weit offen, jeder Passant kann in den kleinen Flur und den angrenzenden Wohnraum schauen. Der Wohnraum ist menschenleer. Einige Meter neben der offen Tür sitzt eine alte Frau in schwarzen Kleidern vor dem Haus. Anfangs erscheint sie mir wie eine Wächterin. Mit unbewegtem faltigen Gesicht sieht sie herüber, die Arme auf dem großen Bauch verschränkt. Doch dann schaut sie mich freundlich an. Ich hebe meine Sonnenbrille etwas an und lächle zurück. Mir fällt auf, dass sie auf einem schrecklich unbequemen, ganz einfachen Holzstuhl sitzt, sicher schon seit Stunden. Nicht einmal ein Korbgeflecht, wie bei mir, das bei jeder Bewegung ein leises Knirschen von sich gibt. Nun ich bin sicher nicht dick, aber das Geflecht ist alt und viele Verbindungen sind gebrochen. Erst wollte ich mich da gar nicht hinsetzen, aber du hast mich überzeugt. "Dort möchte ich etwas trinken!" Du hast es in der Art gesagt, die keinen Widerspruch duldet und ich habe mich lächelnd an einen der Tische gesetzt. Meine Bauchtasche -du nennst sie meinen Kängurubeutel- neben mich auf einen leeren Stuhl gelegt und automatisch nach einer Karte gesucht, bis ich mich besonnen habe. Hier gibt es keine Karten.
Zwei junge Männer kommen vorbei, sie reden miteinander. Ich verstehe es nicht, aber ich spüre, dass sie über mich reden. Sie schauen lächelnd herüber und neigen den Kopf um unter der Tischkante mehr von meinen Beinen zu sehen. Unwohl ziehe ich das Kleid zurecht und senke den Blick, als sie nahe an mir vorbeigehen. Warum mache ich das? Ich könnte mich selbst ohrfeigen! Warum fühle ich mich immer so unsicher, wenn du nicht da bist?
Wütend über mich selbst hebe ich den Kopf und schaue wieder auf die Straße - umsonst,
die beiden sind vorbei. Ich atme tief ein und wende mich wieder zu Tür.
Hinter dem Glas ändert sich das Licht - Bewegung ist deutlich zu erkennen.
Ich spüre die Spannung in mir, aber das raue, blaue Holz bewegt sich nicht. Tief enttäuscht verziehe ich das Gesicht. Nein, das reicht! Ich will nicht länger allein sitzen!
Doch der Gedanke, der stille Protest ist kaum gedacht, da schwenkt die Tür auf und du erscheinst. Du hast die Tür mit dem Ellenbogen aufgestoßen und siehst auf deine Hände, die offensichtlich nass sind. Dann blickst du hoch und unsere Blicke treffen sich. Das unwillig verzogene Gesicht und die demonstrative Art, wie du die Hände schüttelst, um sie zu trocknen, sagen mir, dass auf der schmutzigen Toilette sicher keine Handtücher waren. Deinen hübschen runden Busen unter dem roten T-Shirt und den bedruckten Minirock nehme ich kaum wahr. Ich versinke in deinen Augen. Hinter dir schwingt die blaue Tür wieder zu, die Tür, die so lange -wie viel Zeit mag vergangen sein - mein einziger Haltepunkt war. Mein Herz schlägt schnell und ich zittere fast vor Aufregung. Jeder Meter, den du auf dem staubigen Boden zurücklegst, jeder Schritt, den du mir näher kommst, lässt mich aufjubeln. Deine Augen, sie strahlen. Ist das möglich? Können Augen in einer schmutzigen Kneipe, irgendwo auf einer griechischen Insel - ja, genau auf dieser griechischen Insel - können Augen dort, in diesem Umfeld erstrahlen? Können Augen überhaupt den göttlichen Funken, Strahlen der Liebe aussenden? Ja, sie können es. Ich weiß es, weil ich es fühle!
Auf einmal bin ich dir so dankbar, dass du mich überredet hast hierher zu fliegen, diesen Urlaub gemeinsam zu verbringen. Mir wird wieder klar, dass ich dich liebe.
Mein Gott, wie sehr ich dich liebe.
Die blaue Tür
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