Bondage art

Lost in transformations - Teil 1

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Bondage art

Bondage art

Yupag Chinasky

Dieser Mensch, dieser Autodidakt, dieser Amateur, Liebhaber im wahrsten Sinn des Wortes, nahm sich also vor, maßgeschneiderte Kunst anfertigen zu lassen und sie unter seinem Namen zu verhökern. Er hatte genügend Ideen, daran hatte es ihm nie gemangelt. Er hatte lange überlegt, auf welchem Gebiet er in die neue Ära einsteigen sollte. Er entschied sich für die Nachbearbeitung, die künstlerische Gestaltung von Photographien und deren perfekte, hochwertige Ausdrucke. Diese Art von Kunst sagte ihm am meisten zu und er war überzeugt, damit irgendwann auch finanziellen Erfolg zu haben, immer noch die Messlatte seines Tuns. Er war überzeugt, dass sich der Erfolg einstellen musste, weil seine Ideen gut waren, weil er spannende Sujets auswählen würde, ungewöhnliche Techniken einsetzen würde und alles höchst penibel, höchst professionell umsetzen würde. Wegen seiner zahlreichen Kontakte in der Kunstszene war es ihm nicht schwergefallen, Künstler zu finden, die für ihn arbeiten würden. Er würde sie gut bezahlen. Geld ist das beste, oft auch das einzige Mittel, um seine Ziele zu erreichen. Alle waren bereit, mit ihm und für ihn zu arbeiten, obwohl er sich ausbedungen hatte, die Werke nur unter seinem Künstlernamen, einem Pseudonym, in den Handel zu bringen. Er selbst, der alte Mann, wollte anonym bleiben. Nur wenige sollten wissen, wer er wirklich war und kaum jemand würde die Ehre haben, einen Schritt in seine Traumwohnung zu setzen, dem Ort, an dem die Kunst entstehen würde, dem Ort für außergewöhnliche Ereignisse und auch dem Ort, an dem sie für einige Zeit verbleiben würde.
Nach all den langwierigen Vorbereitungen, dem Knüpfen von Kontakten, der Auswahl der Künstler und der Überzeugungsarbeit, die er dabei leisten musste, nach allen konzeptuellen Vorbereitungen war es nun so weit, die ersten ungewöhnlichen Werke sollten entstehen. Und nun kann die Geschichte fortgesetzt werden, wo sie unterbrochen worden war. Das, was sich an diesem schönen, klaren Abend vor den hohen Fenstern und dem glitzernden Hintergrund der Megacity abspielte und die Aufmerksamkeit des Alten völlig gefangen nahm, war das erste von vier Ereignissen, der erste Schritt zu einem umfangreichen Quadryptichon. Es war auch für ihn, der so manches erlebt und angezettelt hatte, etwas Neues, etwas Ungewöhnliches, eine Herausforderung. Zum Auftakt hatte er sich die Kunst des Fesselns, die bondage art, vorgenommen. Seine ungeteilte Aufmerksamkeit galt in diesen Momenten einem bondage artist, einem berühmten Meister, der sein Handwerk verstand und für seine ungewöhnliche Kunst viel Geld verlangte und auch erhielt. Der kleine, glatzköpfige, fette Mann in einem dezenten, braunen Yukata, einer Art Morgenrock, war dabei, eine junge Frau kunstvoll zu verschnüren. Sie lag vor ihm auf einer Tatamimatte und er umwickelte ihren nackten Leib sorgsam mit Seilen aus Reisstroh, die er ineinander verschlang und miteinander verknotete. Er knüpfte und drapierte die dunklen Seile so gekonnt, dass sie ein kunstvolles Muster auf der rosa Haut des Mädchens bildeten, dunkle Linien und regelmäßige, helle Flächen. Diese Flächen wölbten sich, weil die Seile tief in das weiche Fleisch einschnitten. Die üppigen Brüste quetschten sich durch die Knoten. Der Bauch wurde vertikal durch ein dünnes Seil zwischen den Beinen, einem Stringtanga gleich, in zwei Hälften geteilt, die in ihrer Symmetrie den Pobacken entsprachen. Die Arme und Beine des Mädchens waren grotesk nach hinten verrenkt, der Kopf weit in den Nacken gebeugt, das lange, blonde Haar zu einem Zopf geflochten, der wie ein Tau mit den Hand- und Fußfesseln verbunden war. Die Frau sah aus wie eine Puppe, der man gewaltsam die Glieder aus den Scharnieren gerissen und verdreht hatte. In ihrem Mund steckte zudem ein roter Slip und erlaubte ihr, neben mühsamem Atmen, nur noch leises Stöhnen und Keuchen. Sie litt offensichtlich an den Einschnürungen, den Verrenkungen, an der unnatürlichen Lage ihrer Gliedmaßen, dem gefesselten Zopf und dem Knebel in ihrem Rachen. Das Leid und den Schmerz konnte man in ihren Augen erkennen, aber alles, was geschah, geschah im gegenseitigen Einverständnis. Das Mädchen ließ die Tortur mit sich geschehen und unterdrückte seine Pein, so gut es ging, denn das Honorar für die Qual war hoch, sehr hoch und sie hatte genau gewusst, auf was sie sich einließ. Bei der Agentur, die den Auftritt vermittelte, hatte man ihr alles genau und in allen Einzelheiten erklärt. Man hatte sich sogar besondere Mühe gegeben, damit sie, die Ausländerin, auch ja alles verstand und sie musste dies extra mit einer weiteren Unterschrift in dem Vertrag bestätigen. Sie war ausgewählt worden, weil sie alle Anforderungen erfüllte. Sie war hübsch, groß, schlank, mit ausgeprägten Kurven, einer rosigen Haut, einem angenehmen, wenn auch etwas langweiligem Gesicht, das aber, weil sie hier Exotin war, kein Problem darstellte. Sie besaß sehr lange blonde Haare und diese waren ihr wichtigstes Kapital, mit diesem Pfund verstand sie zu wuchern, Sie war ein Typ von Frau, den es in diesem Land nicht gab und die schon deswegen Aufmerksamkeit erregte und Begehrlichkeit entfachte.
Der bondage artist hatte seine Arbeit fast beendet, nun brauchte er die Hilfe der vierten Person, des Fotografen. Dieser, ein faltenreicher, älterer Mann in tadellosem, dunklem Anzug mit Krawatte und Seidenhemd, hatte jede Phase der Fesselung penibel festgehalten: aus der Ferne, aus der Nähe, doch immer distanziert und zurückhaltend, selbst wenn er nahe an das Objekt heranrückte. Der Mann fotografierte so, wie er es gelernt hatte, so wie man in der dicht besiedelten Enge dieses Landes leben und arbeiten musste, distanziert und zurückhaltend. Er unterbrach seine Arbeit und half dem Fesselungskünstler das Mädchenpaket aufzuhängen, den Bauch und das Gesicht nach unten, den Rücken mit den verrenkten Gliedmaße nach oben. Es war kein Seil, kein Strick aus Reisstroh, an dem sie hing, sondern ein Gummiband, das aus mehreren dicken Strängen geflochtenen an einem starken Haken in der Decke befestigt war. Die Arbeit des bondage artist war vorerst beendet und der Fotograf setzte seine Arbeit an dem lebenden, hängenden Kunstwerk fort. Weitere Bilder entstanden, aus jeder denkbaren Perspektive, aus jeder Richtung, en gros und en detail: den verschnürten Leib, die feuchten, verkrampften Hände, die verrenkten Füße, die straff gezerrten Haare, die direkt mit den Füssen verbunden waren, den roten Textilballen in dem grell rot geschminkten Mund, die weit aufgerissenen, angstvollen Augen, die grotesk zugespitzten Brüste mit den steil aufgerichteten Warzen zwischen den Seilen und Knoten, den blonden Flaum um die tief eingekerbte Scham, die Symmetrie von künstlich geteiltem Bauch und natürlich geteiltem Hinterteil. Nachdem er dieses Paket des Schmerzes und der Lust zu genüge in unzähligen bits und bytes festgehalten hatte, nahm der Fotograf die Speicherkarte aus der Kamera, ging zu einem Laptop, der auf einem kleinen Tischchen etwas abseitsstand und übertrug die Daten. Es dauerte, bis der eine Speicher geleert und der andere gefüllt war und es dauerte noch länger, bis die Dateien im Internet nach einer Reise um die halbe Welt bei dem Empfänger ankamen, der sie schon erwartete.
Der digital artist, der vor seinem Computer saß und wartete, sah auf die Uhr. Es würde bald hell werden. An sich war es Zeit, schlafen zu gehen, es war aber auch die Zeit, zu der die ersten Daten aus dem fernen Osten eintreffen würden. Er war sehr neugierig und wollte die ersten Bilder noch unbedingt sichten, bevor er an diesem langen Arbeitstag Schluss machte. Er streckte die Arme seitlich aus, verschränkte sie dann hinter dem Kopf und dreht den Oberkörper hin und her. Anschließend waren ein paar Übungen zur Dehnung und Lockerung der verkrampften Finger an der Reihe. Der Computer surrte leise, eine Melodie erklang, die Dropbox wurde geöffnet, doch noch war nichts eingetroffen. Der digital aritst stand auf und griff nach der Flasche, die in Reichweite auf einem Bord über dem Computer deponiert war. Ein tiefer Schluck war die beste Medizin gegen die aufkommende Müdigkeit, eine sichere Droge, um die schwindende Konzentration wieder herzustellen, ein probates Mittel, um die Arbeit mit neuem Elan fortzusetzen. Whisky war besser als Kaffee. Er trank immer Whisky, immer direkt aus der Flasche, immer billiges Gesöff aus dem Supermarkt. Noch ein Schluck, dann schloss er die brennenden Augen, die lange auf den Monitor gestarrt hatten. Hinter ihm lag harte Arbeit, aber harte Arbeit war er gewohnt. Er war gefragt und hatte Erfolg, weil er gut war, ein Meister der Bildbearbeitung, einer, der aus dem Rohmaterial digitaler Aufnahmen, anspruchsvolle Bilder machte, einer, der mit Hilfe des Computers und der besten Software, die es gab, die finalen Kunstwerke schuf. Diese Werke waren etwas Besonderes, Synthesen aus einzelnen Fotografien, Zusammenfassungen von zeitlichen Abläufen, komplexe Kompositionen. Er stellte regelmäßig Beispiele seiner Arbeit in das Internet, auf seine Homepage, in spezielle Kunstforen. Dadurch wurde er bekannt, dadurch bekam er neue Kunden und so erhielt er auch diesen seltsamen Auftrag. Den Auftraggeber kannte er nicht, nur das Pseudonym, das in den e-mails verwendet wurde, mit denen er sich gemeldet hatte. Die Recherchen des digital artists führten ins Leere. Er sollte Bilder für ein Projekt „bondage art“ schaffen, die vergängliche Kunst der Fesselung mit ihrer eigenartigen Ästhetik in einen fassbaren Zustand, in beständige Bilder überführen. Der Auftraggeber, dessen Mails immer sehr kurz und in schlechtem Englisch abgefasst waren, erwartete Drucke von höchster Qualität und Güte und dafür war er war bereit sehr gut zu bezahlen. Um seine Seriosität zu unterstreichen, hatte er, nachdem sie sich geeinigt hatten, ihm bereits einen ansehnlichen Vorschuss überwiesen und er hatte Folgeaufträge angekündigt, wenn er mit den Arbeiten zufriedn wäre. Den digital artist erwartete gutes Geld für harte Arbeit, doch jetzt wartete er immer noch auf die ersten Bilder, die endlich eintrafen.
Dieser Auftraggeber und Mäzen hatte die Zeit der Fesselung des Mädchens fast unbeweglich auf seinem niedrigen Sofa verbracht. Nun stand er auf und ging langsam zu dem lebenden, hängenden Packwerk, umrundete es mehrmals, betrachtete es aus verschiedenen Positionen, prüfte hier einen Knoten, strich dort über ein Stück der heraus gepressten Haut, fuhr die ganze Länge der blonden Haare ab, prüfte die Festigkeit einer der aufgerichteten Brustwarzen und roch sogar an einigen delikaten Stellen. Dann strich er sich über das Kinn und nickte. Das Werk schien zu seiner Zufriedenheit geraten zu sein, er hatte nichts auszusetzen, nichts zu bemängeln und gab dem Paket zum Schluss einen sanften Stoß, so dass es leicht hin und her schwankte. Mit kurzen, knarrenden Worten bedeutete er dem Fotografen, auch diese Bewegungen festzuhalten, was dieser umgehend tat.
Aber ganz zufrieden war der Alte doch nicht. Er ging nicht zu seinem Sofa zurück, sondern verharrte und starrte auf die verschnürte Frau, die gleichmäßig, gemächlich hin und her schwang, wie der Pendel einer altertümlichen Standuhr. Kaum kam das Pendel fast zur Ruhe, gab er ihm einen neuen Stoß und verursachte neue Ausschläge, immer ein wenig Heftigere als zuvor. Wenn das Mädchen dicht bei dem Alten vorbei schwebte, schaute sie ihn jedes Mal hilfesuchend an. Ganz offensichtlich hatte sie genug von diesem Spiel und wünschte sich, dass ihr Auftritt nun beendet werden sollte. Es war doch nun alles getan. Der bondage artist hatte sie nach allen Regeln der Kunst verpackt. Der Alte hatte ihren nackten, verschnürten Körper zu Genüge betrachtet und hatte sich an ihrer unkomfortablen Situation ausreichend ergötzt und sie sogar mit seinen geilen, knotigen Händen befummelt, überall, wo er wollte, und der greise Fotograf hatte sie in allen möglichen und unmöglichen Stellungen abfotografiert und auch das Gefummel aufgenommen und die geilen Blicke des Alten. Das war alles in Ordnung, das war ja alles im Preis inbegriffen, aber jetzt hatte doch nichts mehr zu bieten, jetzt war ihr Teil doch erledigt. Doch der Alte schien dieser Meinung nicht zu sein. Sein Interesse an ihr, dem lebenden, pendelnden Paket, hatte immer noch nicht nachgelassen.
Während der Alte das Schaukeln verfolgte, wurde ihm immer klarer, dass Verpacken allein nicht ausreichte, um etwas Besonderes in die Welt zu setzen. Er hatte die bondage art als Einstieg für seine Projekte gewählt, weil die Kunst der Verpackung von Frauen in diesem Land durchaus nichts Ungewöhnliches ist. Es gibt unzählige Bilder und ein Künstler wie Araki ist mit solchen Bildern bekannt geworden. Eine gefesselte Frau, auch wenn sie hübsch und die Fesselung perfekt ist, stellt nichts Ungewöhnliches dar, diese Kunst ist längst nicht mehr aufregend. Und so langsam ergriff ein Gedanke von ihm Besitz, eine Vorstellung nistete sich in seinem Gehirn ein. Hin und her, ein Stoß, stärker hin, ein stärkerer Ausschlag her, ein weiterer Stoß, ein noch stärker Rückstoß. Ja, das war es. Er würde das Kunstwerk erweitern, zu dem statischen ein dynamisches Element hinzufügen, das verschnürte Paket zu etwas Ungewöhnlichem transformieren und aus dem Üblichen etwas Unübliches machen, ja etwas geradezu Unglaubliches. Er scheuchte den Fotografen, der ihm im Weg stand, zur Seite, fasste die Frau an einem Arm und stemmte sich mit aller Kraft in die Schwingrichtung. Erst langsam und gleichmäßig, dann immer schneller und wilder versetzte er das Paket in Bewegung. Das Gummiband dehnte sich und zog sich zusammen, immer neue Stöße, immer neue Impulse, immer stärkere Ausschläge. Voller Gier und Eifer starrte der Alte auf die heftig pendelnde Frau, die inzwischen jegliches Vergnügen an dem Spiel verloren hatte und nun den Alten, ihren Peiniger, ängstlich und verzweifelt anstarrte, unfähig diesen verdammten Schwingungen Einhalt zu gebieten, unfähig um Hilfe zu schreien, unfähig sich zu wehren. Nur mit ihren Augen, ihrem immer verzweifelter werdenden Blick konnte sie um Erlösung bitten und betteln. Nach einiger Zeit ließen sich die Impulse kaum noch steigern und der Alte schien ein Einsehen zu haben. Er ließ das Pendel ausschwingen, doch das Spiel brach er immer noch nicht ab und erlöste die hängende Frau immer noch nicht aus ihrer misslichen Lage. Im Gegenteil, eine weitere, noch perfidere Idee war ihm gekommen. Er packte die Frau an beiden Oberarmen und drehte sie um die Gummiachse. Er verquirlte das Gummiband bis zum Anschlag, zerrte und wuchtete, bis es nicht weiter ging, bis die Spannung zu groß war, um ein weiteres Aufdrillen zu ermöglichen. Dann ließ er los und das Band entspannte sich. Es drehte sich in Gegenrichtung, erst langsam, dann nahm es Fahrt auf, drehte sich immer schneller und versetzte die Frau in eine heftige Rotation. Sie drehte sich immer schneller und pendelte, wegen der Unwucht, zudem hin und her und auch das immer heftiger. Drehen, pendeln, schwingen. Das Band entspannte sich und wickelte sich wieder ein Stück in Gegenrichtung auf, wechselte die Drehrichtung und so ging es ein paar Mal hin und her. Der Alte lachte hysterisch, schlug sich auf die Schenkel, tanzte auf der Stelle, gab neue Impulse und wollte sich kaum noch beruhigen. Er wies den Fotografen mehrfach herrisch an, ja alles aufzunehmen, alle Einzelheiten des menschlichen Pendels auf die Speicherkarte zu bannen. Dann wartete er, doch kaum hörten die Drehungen auf, kaum ließ das Pendeln nach, fing er erneut an, das Band aufzuwickeln und die Spannung zu erhöhen, den Gummi zu straffen, bis er die gebannte Energie nicht mehr zurück halten konnte. Dann ließ er das Bündel los und versetzte ihm zusätzlich einen heftigen Stoß, fügte der Dreh- und Schwingbewegung die torkelnde Komponente hinzu und das schreckliche Spiel begann von vorne. Die arme Frau ächzte und stöhnte, ihr Atem ging stoßweise, ihre Augen traten voller Angst aus den Höhlen, Speichel troff aus dem geknebelten Mund, Urin lief ihre Schenkel hinab. Der Alte weidete sich an den kuriosen Bewegungen des menschlichen Pendels und an der Pein der gedemütigten Kreatur und dachte nicht daran, dem grausamen Spiel ein Ende zu machen. Immer kindischer juchzte er auf, immer fanatischer drehte und drückte er, immer geiler wurde sein Blick, immer fahriger seine Hände. Wer weiß wann er genug gehabt, wann er endlich ein Einsehen oder gar Mitleid bekommen oder wann ihn vielleicht die Langeweile veranlasst, hätte aufzuhören. Es war jedenfalls der Fotograf, der das unwürdige Geschehen beendete. Er konnte nicht weiter mitansehen, wie die junge Frau litt, hielt, als es gefahrlos möglich war, das Pendel an und stellte sich vor den Alten, um ein erneutes Antreiben zu verhindern. Gerade noch rechtzeitig konnte er den Knebel aus dem Mund der jungen Frau ziehen, bevor sie sich heftig erbrach und ihre Kotze auf die Strohmatten verteilte. Sie würgte, ächzte, röchelte, schnaufte, schrie, aber befreien konnte sie sich nicht, denn nach wie vor hing sie von der Decke, nach wie vor war sie gefesselte und nach wie vor pendelte sie weiter, wenn auch nur noch ganz sanft.
Der Alte, inzwischen außer Atem und wohl auch weitgehend befriedigt, ließ den Fotografen gewähren, schaute ihn aber böse an, und bellte ihn an, auch diese Phase des Happenings zu fotografieren. Dann ging er zurück auf seinen Platz und tat so, als sei nichts vorgefallen, er wischte sich den Schweiß von der Stirn und klatschte sogar fast lautlos in die Hände. Der bondage artist, der sich vornehm oder feige die ganze Zeit im Hintergrund aufgehalten hatte, trat nun wieder in Aktion. Er hielt das immer noch schwankende Paket endgültig an, stellte sich daneben und verneigte sich, erst vor dem Alten, dann vor der kunstvoll verpackten Hängefrau. Der Fotograf, irritiert durch die mehrfachen Anschisse des Alten, hielt auch diese Szene mit der Kamera fest und das Mädchen, immer noch bleich, aber wieder ein wenig gefasst, wartete sehnlichst darauf, dass sie endlich jemand aus ihrer prekären Lage befreien würde.
Das geschah dann auch. Auf ein erneutes Kopfnicken des Alten hin hängten der bondage artist und der Fotograf das Paket ab, durchschnitten die Seile und entfesselten das Opfer. Als die junge Frau wieder auf ihren Füssen stand, holte sie mehrfach tief Luft, betastete ihren Körper, um zu prüfen, ob noch alles in Ordnung war, massierte ihre abgeschnürten Gliedmaßen, bewegte ihre Gelenke, kreiste mit den Armen, drehte ihren Oberkörper und zum Abschluss der Wiederauferstehung absolvierte sie einige Kniebeugen. Dann war sie wieder genügend fit, um, immer noch steif und gestelzt und wohl auch immer noch schwindelig, in das Bad, zu gehen, sich ausgiebig zu duschen und damit die Angst und den Frust und das ertragene Leid abzuspülen. Dann zog sie sich an und erneuerte ihr Make-up. Als sie wieder in dem runden Raum erschien, gefasst und ein bisschen wie neu geboren, hatten der Fesselungskünstler und der Fotograf ihre Utensilien bereits zusammengepackt und der Fotograf hatte auch schon die letzten Dateien in das Internet eingespeist. Beide standen demütig vor dem Alten und warteten darauf, ihr Honorar zu erhalten. Das Mädchen gesellte sich zu ihnen und jeder erhielt ein verschlossenes, dickes Kuvert. Der Alte zeigte sich zufrieden und leutselig und fand sogar ein paar anerkennende Worte. Die beiden Männer nahmen den Brief mit mehrfachen, devoten Verbeugungen entgegen und auch das Mädchen versuchte es ihnen gleichzutun. Ihre Verbeugung missriet jedoch, es reichte nur zu einem unbeholfenen Vorrecken des Oberkörpers, vielleicht wegen der Malträtierung oder weil sie derartige Zeremonien nicht gewohnt war. Dann gingen die drei und ließen den Alten allein.
Beim digital artist hatte sich die Dropbox nach und nach mit den Dateien des korrekten Fotograf gefüllte. Er hatte die Bilder geöffnet, gesichtet, sortiert und einige wenige ausgewählt, die er am nächsten Tag weiterbearbeiten wollte. Er war mit diesen ersten Fotografien nicht so recht zufrieden. Er kannte Bilder von gefesselten Frauen aus dem Internet. Er hatte sich bei der Vorbereitung für seinen Auftrag Dutzend angesehen. Diese, die nun auf seinem Monitor erschienen, waren konventionell, nicht anders als die üblichen. Sie boten keine Abweichungen, keine Überraschungen, keine neuen Ansätze. Was er sah, war nicht viel mehr als Abfotografiertes, verpacktes, hängendes Menschenfleisch, konventioneller Schrott. Er war vorsichtig mit seinem Urteil, weil er sich selbst mit diesem Thema noch nie auseinandergesetzt hatte, geschweige denn eigene Aufnahmen gemacht hätte. Für ihn war bonding art Neuland, eine Kunst, von der nicht einmal unbedingt behaupten würde, dass sie gefiele, aber er hatte sich nun einmal auf den Auftrag eingelassen und er musste das Beste daraus machte. Das war sein Job, das war die Herausforderung, er brauchte solche Jobs, er liebte Herausforderungen. Aber das, was er erhalten hatte, sprach ihn auch als Künstler nicht an, die Bilder sagten ihm nichts und erregten ihn nicht, obwohl sie zweifelsohne erotisch waren und viele Details zeigten, die sexuell stimulierend wirken konnten. Das vielleicht Ungewöhnlichste waren die langen, blonden Haare der Frau und dass sie kein asiatischer Typ war. Aber diese beiden Fakten reichten nicht aus, um ihn zu begeistern, denn von der Kunst des Verschnürens, den variantenreichen Knoten, den ausgewogenen Verteilungen der Flächen mit nackter Haut, den kunstvollen Bahnen der dunklen Stricke, verstand er zu wenig. Letztlich machten ihn diese Bilder weder kirre noch ließen sie Emotionen aufkommen, sie versetzte ihn weder in Aufregung noch stachelten sie seine Arbeitswut an. Was er sah, als er sie rasch durchblätterte, schaffte nicht mehr, als ihm ein müdes Gähnen zu entlocken.
Dann war Schluss, dann stockte die Flut der Bilder und er schaltete den Computer aus und ging ins Bett. Als er am frühen Vormittag seine Arbeit fortsetzte, staunte er. Nicht nur über die neuerliche Flut der Bilder in der Dropbox, sondern auch über die Art der Bilder. Auf einmal erregten sie sein Interesse, auf einmal entstand eine emotionale Bindung, auf einmal regten sie ihn auf und er konnte sich in die Situation hineinversetzen. Die Aufregung war angekommen, die letzte Serie war fantastisch, ungewöhnliche Bilder voller Leben, voller Pfiff, aber auch voller Abscheu. Ein alter Mann hatte seine Hände in die Arme der Paketfrau gekrallt. Er zerrte und drückte und versetzte sie in Schwingungen, schleuderte sie herum. Dann umkreiste er das Paket, zerrte an ihm mit ausgestreckten Händen, deren Finger den Krallen von Aasgeiern glichen, Teufelskrallen. Aber von wegen alter Mann. Einer, der mit solch wilden, geilen Augen das Objekt seiner Begierde anstarrte, einer, der sich am liebsten auf diese junge Frau gestürzt hätte, obwohl sie festgebunden, festgezurrt, unzugänglich an der Decke hing, einer der sie mit seinen Blicken vergewaltigte, ein solcher Typ konnte doch nicht alt sein, nur äußerlich alt, aber in ihm loderte ein Feuer. Oder war er gar pervers, ein perverser Sadist und Frauenschänder? Der digital artist bekam ob der Fülle der Bilder und der dargestellten Einzelheiten Mitleid mit der armen Frau. Sie war gefangen, gedemütigt und musste alles, was sich dieser Typ ausdachte, ertragen, musste alles mit sich geschehen lassen, konnte nur entsetzt und voller Angst zurück starren, musste ausharren bis zum bitteren Ende, bis sie sich schließlich erbrach, auskotzte, ausrotzte, ein hängendes Häufchen Elend. Bei allem Mitleid und aller Abscheu faszinierten ihn diese Bilder. Nun hatte er seine Motive. Nun war er selbst erregt. Nun konnte er beginnen, seine eigenen Werke zu schaffen und musste nicht nur einen Auftrag erledigen.
Er wählte die aus, die ihn am meisten berührten und die am besten in seine Pläne passten. Dann begann er, sie zu bearbeiten. Er stellte Ausschnitte her, optimierte Farben und Kontraste, nahm detaillierte Korrekturen vor, öffnete eine Vielzahl von Ebenen, stellte wichtige Partien mühevoll frei und fügte am Ende alles zu einem einzigen Bild zusammen. Er transformierte Farben in Grautöne, arbeitete Bewegungsunschärfen präzise heraus, verlieh seinen Bildern, die des Fotografen waren ja nur Vorlagen, nur Rohmaterial, Tiefe, Geheimnisse, Leben. Lange Protokolle in seiner Software zeigten die vielen Maßnahmen, die er durchgeführt hatte und dokumentierten seinen Eifer. Aber zählen würde nur das fertige Werk, nicht die Arbeit, die in ihm steckte. Es war wieder Nacht und er war erschöpft, aber Aufhören kam immer noch nicht in Frage. Er hörte erst auf, wenn er das Gefühl hatte, dass das Wesentlichste getan war und das war noch nicht der Fall. Nachdem er sich mit den Aktionsbildern in einen wahren Rausch gesteigert hatte, brauchte er noch eine Beruhigung zum Schluss. Nach all der Aufregung musste er noch ein ruhiges Bild schaffen, einen stillen Kontrast zu den entsetzlichen bewegten, bewegenden Motiven. Ein Schluck Whisky, dann noch einer und noch einer und dann war er in der Lage, auch sein letztes Bild zu gestalten. Es führte ihn wieder zurück, zum Anfang des Happenings, zu den langweiligen Bildern, die er noch in der Vornacht verachtet hatte. Die junge Frau hing ruhig in ihren Fesseln. Ihr Gesicht war entspannt, sie schien zu träumen. Sie wirkte verklärt, sinnlich, erotisch, anziehend und begehrlich. Sie war noch weit entfernt von der Angst und dem Ekel, der Pein und der Demütigung in den späteren Bildern. Der digital artist wunderte sich nicht, dass der Alte sich bei diesem Anblick aufgegeilt hatte. Als er merkte, dass die hängende Frau für ihn unerreichbar war, nicht nur weil sie hing, sondern weil diese schöne, blonde Frau für einen Alten wie ihn einfach unnahbar war, drehte er durch und demütigte sie und misshandelte sie. Zu viel Sinnlichkeit für einen alten Voyeur, dachte der digital artist, zu viel Reinheit. Diese Schale musste er erst zerstören, um sie gefügig zu machen, um sie ihm zu Willen zu machen, obwohl es keine Bilder gab, auf denen er sich ihr zu einem finalen Akt genähert hatte. Aber, so dachte der digital artist weiter, vielleicht hatte er ja nicht alle Bilder bekommen.
Er begann jedes Detail des Bildes zu prüfen, zoomte Einzelheiten heran, führte kleine Korrekturen durch, verstärkte hier die Kontur eines Seils, entfernte dort einen hässlichen Fleck auf der Haut. Um die richtige Farbe und Tönung der Haut zu finden, um ihre Struktur nicht aufdringlich, aber auch nicht zu flach erscheinen zu lassen, musste er lange herumprobieren und viele Entwürfe verwerfen. Lange überlegte er auch, ob er das Fenster im Hintergrund, nein, den Blick durch dieses Fenster, ein wenig aufhellen und klarer machen sollte, unterließ es aber, denn so war das Bild geheimnisvoller, ungewisser. Er steckte auch in die weniger wichtigen Bildteile viel akribische Arbeit. Alles musste stimmen, das Ganze musste stimmig sein. Das war sein Geheimnis, das hatte ihm Erfolg gebracht. Perfekt war natürlich auch der wichtigste Teil des Bildes, nicht nur der dunkle, glitzernde Hintergrund, perfekt war am Ende der Arbeit auch der nackte, verschnürte Körper der hängenden Frau und ihr stilles, verklärtes Gesicht.
Als er mit der Bearbeitung fertig war, druckte er das Bild aus, verlagerte das virtuelle Stadium in eine greifbar, anfaßbare Form, transformierte die visuellen Eindrücke aus der digitalen Welt des Monitors auf edles, handgeschöpftes Bambuspapier. Das waren die Endprodukte, klassische Kunstwerke, die er seinen Auftraggebern guten Gewissens übergeben konnte. Er musste den Druck wiederholen und einige Verbesserungen vornehmen, bevor er zufrieden war, aber das war normal, der Eindruck, den Papierbild hinterlässt ist anders als ein Monitorbild. Dann hängte er das fertige Werk an die Wand, neben die anderen Bilder aus der Serie, neben die aufgeregten, ekeligen action pictures. Es war genau dier Kontrast, der ihm gefiel. Dieses schöne, ruhige Bild war die perfekte Gegenposition zu all den faszinierenden Scheußlichkeiten. Er atmete tief durch und genehmigte sich einen letzten Schluck aus der fast leeren Whiskyflasche, dann gähnte er und schaltete, zufrieden mit sich und seinem Werk, den Computer aus.

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