Er betrat meine Praxis an einem kalten Novembertag. Seine äußere Erscheinung wirkte sehr gepflegt. Seine Bewegungen waren ruhig und kontrolliert. Seine Gesichtsfarbe war mit dem gleichzusetzen, was sich mir offenbarte, wenn ich aus dem Fenster sah. Alles grau in grau. Aschfahle Haut, die mit den glanzlosen Augen, in die ich blickte, den richtigen Begleiter gefunden hatte.
Eine angeschlagene Seele, dessen Korsett, bestehend aus seinem perfekten Anzug, den hochglanzpolierten Schuhen, den gepflegten Händen, nichts anderes bewirken sollte, als zu verhindern, dass sie ihn dahinrafft. Ein Make up für eine erkrankte Seele, die nicht erkannt werden wollte.
„Bitte nehmen sie doch Platz“, sagte ich und deutete auf den Sessel, der mir gegenüber stand.
Er setzte sich hin, ergriff die mit Wasser gefüllte Karaffe, die ich immer auf den zwischen uns befindlichen Tisch bereit stelle, füllte ein Glas damit und fragte:
„Darf ich ihnen auch etwas einschenken?“
Er sah mich dabei an und seine soeben noch faden Augen blitzten für einen Moment auf und sein Blick traf mich genau ins Zentrum. Eine warme Welle von stromstoßartigen Schüben wurde direkt in meinen Schoß transportiert und erzeugte ein wohliges Gefühl in mir.
Meine Contenance fing auf unerklärliche Art und Weise an zu bröckeln und ich musste meine ganze Kraft mobilisieren um den Status eines Profis, einer Therapeutin, aufrecht erhalten zu können.
„Sie machten einen dringenden Eindruck, als sie um diesen Termin gebeten haben“, brachte ich schließlich mit leicht belegter Stimme hervor. „Was ist für sie dringend? Möchten sie mir davon erzählen?“
Die Ordnung war zunächst wieder hergestellt. Meine Stimme festigte sich wieder und mir gelang es, durch mein ruhiges Äußeres, Sicherheit und Souveränität zu vermitteln. Mein Inneres war allerdings noch nicht wieder im Gleichgewicht. Ich war noch immer irritiert über meine Reaktion.
„Ich stehe kurz davor, womöglich den größten Fehler oder die größte Dummheit meines Lebens zu begehen“, begann er zu erzählen und stierte dabei auf sein Glas.
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