Julia. Sie sah aus wie Juliette Binoche, das Gesicht schmaler, die Augen etwas sanfter, aber ebenso tief.
Wir hatten uns zufällig getroffen, sie kam mir auf der Fußgängerbrücke über den Fluß entgegen, abseits des Lärms der Stadt. Der heiße Wind spielte um den Saum ihres weißroten Sommerkleides, hielt sich aber, zu meinem Bedauern, im züchtigen Bereich und zauste etwas in ihrem seidigen kurzen schwarzen Haar. Sie war der Typ Frau, an der man im ersten Moment vielleicht noch vorbei sieht, sie aber unweigerlich wahrnimmt, ihre Aura erfaßt und den zweiten Blick nicht mehr von ihr wenden kann.
Nun standen wir hier und ich hörte kaum, was sie sagte, konnte sie nur ansehen, verlor mich in ihrem Blick. Mühsam suchten meine Augen einen unauffälligen Punkt, um doch nur über ihre makellose Figur zu wandern. Ihre herzliche Wärme ging mir unter die Haut und ich genoß den Augenblick, versuchte ihn auszudehnen, ohne sie merklich aufzuhalten. Doch sie machte es mir leicht und schien ohne Eile. So unterhielten wir uns über Gott und die Welt, gemeinsame Freunde, bevorstehende Urlaube und vergangene Missverständnisse. Mein Körper gab mir zu verstehen, dass mir ihre Augen, ihre Lippen, ihre Hüften gefielen, und er war sich sicher auch — unbekannterweise — ihr Schoß. Und sie alle sprachen zu mir: Küß mich! Berühre mich! Liebe mich!
So standen wir da, an das Geländer gelehnt und sahen auf das Wasser, an den Ufern fast ausschließlich Grün, östlich, vor der Autobrücke, ragte eine Jugendstilvilla mit weitläufiger Dachterrasse aus den Baumwipfeln, westlich ein modernes Appartmenthaus, mit Blick auf Fluß und Park. Dort wohnte Freddy, ihr Freund.
*
Freddy. Er war mein Freund seit Teenagerzeiten, ein nachdenklicher Zuhörer und redseliger Gesprächspartner durchwachter Nächte, in denen wir unsere Jugend feierten und einen Platz im Leben suchten, ein impulsiver Streiter gegen Ungerechtigkeiten und ideologische Festlegungen, einst im Auftreten immer ein Hauch mehr an Macho als man(n) und Frau ihm abnahm, verletzt, dass man ihn nicht ganz ernst nahm, aber allseits beliebt. Studium und Beruf verschlugen ihn in ganz andere Gegenden und Kreise als die meisten von uns und in seiner ehrlichen, offenen Art gewann er stets neue Freunde, wo wir oft nur Bekannte und Kollegen fanden. Er reiste mit leichtem Gepäck und war schnell an neuen Orten zu Hause. In der Liebe war sein Wesen beständiger als ihm vom Leben vergönnt war, wovon ich aber nur in den frühen Jahren wirklich tiefere Kenntnis hatte. Und so nebenbei hatte er die Texte unserer beiden schönsten Lieder geschrieben.
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