Der Buchhändler

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Der Buchhändler

Der Buchhändler

Michael Müller

Kurz darauf kam der Mann mit einem Tablett mit Kaffee, Milch und Zucker zurück.

„Sind sie zufällig in meinen Laden gekommen oder fanden sie mich übers Internet?“

„Ich wohne seit kurzem hier und bin dabei die Umgebung zu erkunden.“

„Schön, dass sie sich zu mir verirrt haben. Die Leute hier in der Gegend sind – leider – keine großen Bücherleser. Das Hauptgeschäft läuft bei mir übers Internet und zweimal monatlich lade ich Autoren zu Lesungen ein. Die nächste Lesung ist kommende Woche und sie sind dazu eingeladen.“ Er gab ihr einen Folder mit allen Terminen der diesjährigen Lesungen.

„Ich bin der Leo“ fügte er noch hinzu.

„Lisa“ nickte sie ihm über den Rand ihrer Tasse zu. Sie fühlte sich angenehm wohlig in seiner Gegenwart. Nun, da sie seinen Namen kannte verstärkte sich ihr Bedürfnis diesen Mann näher kennen zu lernen.

„Sie – nein, du kannst mir bestimmt einige nützliche Tipps geben – zum Beispiel wo es gute Lokale gibt. So zum abhängen oder gutes Essen.“

„Ganz in der Nähe findest du ein nettes Gasthaus mit wirklich gutem und preiswerten Essen. Abends ist in dieser Gegend nicht viel zu empfehlen. Aber ein, zwei nette Kaffees gibt’s. Hast du Lust heute Abend mit mir eines zu besuchen?“

So rasch hatte sie nun nicht mit einer Verabredung gerechnet. Sie wollte auch den Eindruck vermeiden, einsam durch die Welt zu wandern. Also sagte sie: „Leider, heut' Abend geht’s nicht. Aber morgen, da kann ich's mir gut einteilen.“

„Freitags halte ich länger offen – immer bis 19:00h. Komm doch vorbei und wir gehen gemeinsam ins „Käuzchen“.“

„Fein, dann zeigst du mir meine >Neue Welt<“ stimmte sie nun doch zu.

Sie trank den Kaffee aus und stellte das Buch zurück ins Regal. „Ich werd's mir kaufen. Heute lass ich's aber hier. Ein Grund zum Wiederkommen“ bemerkte sie und lächelte dem Mann zu.

Vor dem Laden blieb sie noch kurz vor dem Schaufenster stehen. Leo räumte das Tablett zurück in sein Büro und sie empfand ein leise Kribbeln als sie ihn dabei beobachtete. Er sah ja überhaupt nicht nach Buchhändler aus – obgleich sie sich eingestand, dass dies ja wohl ein Stereotyp sei. Wie bitte, haben Buchhändler aus zu sehen? Bleich, schmalbrüstig, kurzsichtig?

Leo hatte eine sportliche Statur, schulterlanges dunkles Haar und gesunde Gesichtsfarbe. Auf der Straße begegnet, hätte sie ihn wohl eher als Segellehrer oder Bergführer eingeschätzt. Nun, er ist Buchhändler – nahm sie, über sich und ihre Vorurteile belustigt, zur Kenntnis.

Es war leicht das von Leo empfohlene Lokal zu finden. Lisa las auf der Tafel neben der Eingangstüre das angebotene Mittagsmenü und entschied, einen Besuch zu wagen. Es war eines dieser Alt-Wiener Gasthäuser. Der Geruch aus der Küche mischte sich mit dem des Holzbodens der wohl auch schon einiges an verschüttetem Bier und Wein abbekommen hatte. Die Tische waren sauber gedeckt, am Tresen saßen Arbeiter um ihre Mittagsmahlzeit in flüssiger Form ein zu nehmen und an einem der Tische nahe zur Schank genossen Pensionisten das Menü und die dazugehörigen „Spritzer“. Zwei, drei der Männer sahen sie an und Lisa nickte ihnen einen freundlichen Gruß zu. Ein typisches Vorstadbeisel eben.

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