„Gleich dreiviertel zehn.“ bemerkte Mandy mit einem flüchtigen Blick auf ihre zierliche Armbanduhr. „Na, dann wollen wir mal…“
Angesichts der warmen Witterung fixierte sie die geöffnete Ladentür mit dem Türstopper und bugsierte die fahrbaren Ampeln, an denen Strümpfe, Strumpfhosen und Leggins aufgehängt waren, strategisch günstig neben den Eingang. Bis die erste Kundin den Laden betrat, blieb noch Zeit, um die Büsten mit den raffinierten Spitzen-BH´s ins rechte Scheinwerferlicht zu rücken und falsch einsortierte Größen an den richtigen Platz zu hängen. Dank der vorsommerlichen Temperaturen hatte sich die Innenstadt rasch belebt und kaum fünfzehn Minuten nach Ladenöffnung spazierten drei junge Frauen herein. Famke identifizierte sie mit geübtem Blick als Studentinnen und überließ sie der Obhut Mandys. Die drei stöberten jedoch nur eine Weile, hielten sich einige Büstenhalter der gehobenen Preisklasse vor die Brust und äußerten zu ihrer jeweiligen Wahl wohlwollende oder abschlägige Kommentare. Schließlich verließen sie den Laden, ohne zu einer Kaufentscheidung gekommen zu sein.
„Hast du diese drei Grazien gesehen?“ spöttelte Mandy. „Wie die nach den Preisschildern geschielt haben! Ich wette, die gehen jetzt hinüber ins Kaufhaus und steigern den Umsatz deiner Ex-Chefin.“
Famke lächelte. Es kam öfter vor, dass sich Kundinnen bei ihr ausführlich beraten ließen, nur um dann woanders billigere Ware zu erwerben. Sie wollte gerade etwas entgegnen, als eine fesche Dame eintrat. Die sportlich wirkende, attraktive Mittvierzigerin mit streichholzlanger Kurzhaarfrisur legte Wert auf modische, wenn auch - wie Famke fand - etwas zu jugendliche Kleidung. Die Riemchensandalen und das weiße T-shirt waren OK, aber die Hot Pants aus ausgebleichtem, ausgefranstem Jeansstoff? Na ja, Geschmacksache. Da die Frau über eine tadellose Figur verfügte, war dieser stilistische Fehlgriff eine eher lässliche Sünde.
Famke hielt sich zunächst dezent, aber ansprechbereit im Hintergrund. Sie hatte ein feines Gespür dafür, ob und wann eine Kundin Hilfe benötigte oder gar Ansprache wünschte. Diese hier betrachtete mit kritischer Miene einige BH´s in verschiedenen Farben. Als sie sichtlich verunsichert eine Hand auf die Wange legte, hielt Famke den Zeitpunkt für ihre Intervention für gekommen.
„Kann ich Ihnen behilflich sein?“
„Ach wissen sie,“ seufzte die Frau und warf Famke einen dankbaren Blick zu, „jetzt kommt wieder die Zeit, wo ich gerne diese leichten, weißen T-Shirts oder Blusen anziehen würde, weil das so schön zur Bräune passt, wissen sie. Aber obwohl ich immer weiße BH´s darunter trage, sind sie durch den Stoff zu sehen, und das mag ich nicht. Ich habe schon einen grauen ausprobiert, obwohl ich diese Farbe scheußlich finde, aber da tragen die Stickereien so auf. Ich sehe darin aus, als ob ich lauter Pickel auf der Brust hätte. Unmöglich, so was! Neulich habe ich mir einen in Pink gekauft, den sieht man kaum, so transparent ist der. Aber ich habe ziemlich große Warzenhöfe, wissen sie, und die schimmern dann so durch. Gibt es denn nichts Unauffälligeres für drunter? Ich kann doch nicht ohne gehen wie diese jungen Dinger…!“
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