Das Geräusch des auf der Gardinenstange zur Seite geschobenen Kabinenvorhanges riss sie aus ihren Gedanken. Mit zufriedener Miene trat die Kundin aus der Umkleide und posierte mit in die Hüften gestemmten Fäusten und nach hinten gestreckten Schultern vor dem großen Ganzkörperspiegel.
„Darf ich fragen, welchen BH sie jetzt anprobiert haben?“
„Den roten, gepolsterten. Der gefällt mir am besten.“
Zufrieden betrachtete die Frau ihre nach vorn gereckte Brust von allen Seiten. „Knallrot und nichts zu sehen!“ begeisterte sie sich.
„Obwohl er eine schmale Spitzenbordüre am Körbchenabschluss hat.“ bestätigte Famke.
„Ich nehme den und den hautfarbenen.“ entschied sich die Kundin. „Wenn sie schon mal das Etikett entfernen könnten, ich möchte das Teil gleich anbehalten.“
Diskret trennte Famke das Schildchen mit dem eingearbeiteten elektronischen Chip vom Träger. Die Frau stopfte ihren in Ungnade gefallenen, weißen BH unnachsichtig in ihre Handtasche und folgte ihr mit dem Büstenhalter in Nude zur Kasse. Sichtlich beglückt über ihre neue Errungenschaft trat sie mit einem freundlichen «ich werde sie weiterempfehlen» aus dem Laden in die helle Vormittagssonne.
„Die kommt bestimmt wieder.“ prophezeite Mandy.
„Hoffentlich nicht, um sich zu beschweren.“ ulkte Famke, die viel auf Kundenzufriedenheit setzte. Bei diesem Stichwort fiel ihr das geplante Seminar über BHlogie wieder ein. Sie lief ins Büro, druckte ihren Entwurf aus und drückte ihn Mandy in die Hand.
„Was hältst du davon?“ erkundigte sie sich bei ihrer Partnerin. Mandy überflog die Tagesordnungspunkte.
„Teile und Funktion eines BH´s…wie man die Wahl eines falschen BH´s vermeidet…Anleitung zum korrekten Anziehen eines BH´s…“
„Sag, was hältst du davon?“ fragte Famke erneut, da sie einen Anflug von Skepsis über Mandys Gesicht huschen sah.
„Großartig, wirklich echt prima, deine Themenauswahl. Aber wir sollten die Überschriften etwas aufpeppen. Die kommen so technokratisch ´rüber. Ich würde sie ein wenig verkürzt und eingängiger formulieren.“
„Schön, wie du meinst. Sonst noch etwas?“
„Yepp. Für alle Fälle sollten wir um Voranmeldung bitten und die Teilnehmerzahl auf maximal zwölf begrenzen. Und schreib noch dazu: «Eintritt frei», das macht sich gut.
Ja und dann sollten wir noch zwei oder drei schöne Fotos als Blickfang dazwischen stellen. Ich habe da schon eine Idee…alles andere kannst du lassen wie es ist. Wenn du willst, übernehme ich das Layout.“
„Darum wollte ich dich sowieso gerade bitten.“ gestand Famke, die in solchen Dingen Mandys Fachkompetenz neidlos anerkannte.
„Wenn alles klappt, können wir die Flyer ab nächster Woche verteilen. Und du wirst sehen, Liebste: das BHlogie-Seminar wird ein voller Erfolg werden.“
Famke wollte etwas erwidern, doch in diesem Augenblick betrat eine Frau mit zwei halbwüchsigen Mädchen das Geschäft. Sie trug ein elegantes, mintgrünes Bleistiftkleid, das ganz gewiss nicht von der Stange war, dazu teuer aussehende Pumps, die ihre wohlgeformten Beine reizvoll in Szene setzten. Ihr dunkelblondes Haar war streng nach hinten gekämmt und im Nacken mit einer Spange zum sportiven Pferdeschwanz gebündelt.
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