Es war kalt, es schneite und auf einem Plakat neben dem Eingang stand "Gib auf, bevor der Galgen ruft!" Es zeigte Bruce Willis wie er eine spärlich bekleidete Dame umsorgte. Ein klassisches Drama, welches seine Spannung aus dem Paradoxon bezog, daß sie deshalb nicht frieren konnte, weil sie so unheimlich heiß aussah. Die importierten Schneeflocken aus Sibirien umtanzten lüstern ihr Dekolleté und die schamlosesten Exemplare verdampften bei dem Versuch einer billigen Anmache zu Nebelwolken voll feuchter Phantasie. Die literarisch interessierten Eiskristalle hingegen klopften gegen die Tür des Cafés, vor dem wir standen und baten gemeinsam mit einer zähneklappernden Kulturmeute um Einlaß.
Eingeklemmt in diesem nach Lyrik lechzenden Pulk stand ich neben meiner Freundin Manuela und massierte mir abwechselnd die vereisten Ohrläppchen und die Nase. Meine Zehen nahmen die Temperatur eines Fünf-Sterne-Tiefkühlfaches an und klagten den Wetterbericht des unverfroren geleisteten Meineides an. Ich schlängelte meinen Blick an den vor uns Stehenden vorbei und suchte nach einem Anzeichen auf ein Ende dieses Leidens.
Aha. Ein dunkelhaariger Mann versperrte im Café die Tür. Ausgerüstet mit einem improvisierten Kinnbart und einem übergroßen Ring an seiner linken Hand, glotzte er uns durch die Glasscheibe teilnahmslos an. Dann tupfte er sich mit einem vollkommen verrotzten Taschentuch den Schweiß von der Stirn und teilte uns mit dieser simplen Geste folgendes mit:
1. hier im Café herrschen subtropische Temperaturen,
2. bei dieser Lesung des berühmten Schriftstellers Peter Schande, bin ich auserkoren worden, diesen überaus wichtigen und verantwortungsvollen Posten des Türstehers zu übernehmen,
3. ich lasse euch erst herein, wenn ich dazu Lust habe,
4. ich habe aber noch keine.
Manuelas Lippen schminkten sich bläulich und auf meine Frage "Wann ist es denn soweit" zuckte sie nur mit der Schulter.
Unzufrieden über diese Auskunft nuckelten meine durchnäßten Socken an der Eiswürfelbrühe, in der unsere Füße wie Strohhalme in einem Longdrink stakten, weiter herum.
"Damit wollte ich nicht gesagt haben, daß es mich nervt." Versuchte ich vorsichtig Manuela meine Ungeduld zu erläutern. "Ich bin durchaus bereit, für eine Peter-Schande-Lesung vor der Tür im Straßenstaub zu übernachten, wenn es denn nur Straßenstaub wäre."
Ein mildes Leidenslächeln schwächte Manuelas strengen Kunstgenußblick etwas ab und ich wagte weiterzusprechen.
"Also ich würde sagen, daß Problem liegt mehr beim Wetterbericht."
"Nein!" widersprach ein junger Mann mit selbstgestrickter Kassenbrille aus reinster Nickelwolle. "Es liegt an der Veränderung des Klimagefüges. Eines der zahlreichen Beispiele verheerender patriarchalischer Machtpolitik. " Seine Brille wanderte dozierend nach links, dann nach rechts und ließ bei dem Wort "patriarchalisch" vor Ekel eine Masche fallen. Seine zwei Begleiterinnen nickten zustimmend und die kleinere schüttelte die heruntergefallene Masche angewidert sich vom Anorak.
"Frau Prof. Dr. Schnedelheimer-Wurzenberger von der renommierten Frauen-Akademie aus Bremen hielt kürzlich einen interessanten Vortrag über die männlich dominante Industriepolitik, deren phallissche Aggressivität sich in Schornsteinen symbolhaft widerspiegelt. Unvorstellbar mit welcher Brutalität in der Geschichte der Schornsteinarchitektur weibliche Vorschläge..." Der junge Mann drehte sich um und ließ mich mit Manuela allein.
"Er hat nicht unrecht." gestand ich. "In der Tat was können die Meterologen für das Wetter. Nichts. Aber auch gar nichts. Petrus, der alte Patriarch ist schuld. Schuldig der männlich dominanten Wetterpolitik und ich wollte schon den Fehler begehen, mit einem Kommandotrupp den nächstbesten Fernsehsender zu stürmen, um den Wettermenschen vorlaufender Kamera zu erschießen. Wäre doch einfach unfair, oder?"
Die leichte Runzelfalte zwischen Manuelas Augenbrauen hinderten mich nicht, den Faden weiterzuspinnen. "Wir sollten Petrus und am besten Gott gleich mit an die Wand stellen. Das Paradies wird wiedererrichtet und die totale Gleichberechtigung verkündet. Jeder darf mit jeder." Manuelas Stirn zerknitterte. Der sich an die Lesung anschließende Abend drohte kompliziert zu werden. Ich versuchte zu retten, was zu retten war. "Das war nur so eine filmische Idee für ein Drehbuch a la "Die glorreichen sechs Engel" oder für die mehr Linksintellektuellen "Che Guevara - der Revolutionär steckt auch in dir" . Ich meine, wir könnten damit viel Geld verdienen. Die privaten Sender suchen solche Stoffe händeringend." Die Pupillen in Manuelas Augen wurden klein und kleiner. Auf Stecknadelgröße zusammengeschrumpft beschuldigten Sie mich des groben Foulspiels und zückten die rote Karte. Der sich an die Lesung anschließende Abend inklusive Nachtspiel war gelaufen.
Glücklicherweise näherte die Hand des netten jungen Mannes, welcher die Tür überwachte, sich entschlossen dem Schlüsselbund. Ungezählte Augenpaare verstummten. Die Hand hielt kurz vordem Ziel jedoch inne. Das dazugehörende so sympathische Gesicht, drehte sich um 180 Grad und diskutierte mit einem Unsichtbaren. Nach einem für uns nicht hörbarem Lachen wandte er sich uns wieder zu. Sein Gesicht strahlte und seine Fingerspitzen berührten das Schlüsselbund. Das eisige Metall holte ihn in die Realität zurück. Er kramte sein Taschentuch hervor, wischte sich gründlich die Stirn trocken, schneuzte hinein und setzte eine würdevolle Miene auf. Ich begann lautlos alle mir bekannten Hinrichtungsarten aufzuzählen. Der Scheiterhaufen der spanischen Inquisition erlosch erst bei dem knarrenden Geräusch der sich öffnenden Tür. Die vordersten durften eintreten und kurze Zeit später waren auch wir an der Reihe.
Die Augen des Türstehers fertigten ein Gutachten an, seine Nase schniefte sich vom linken Mundwinkel zur rechten Augenbraue zurecht. Er massierte sich seine Vorstellung von erotischer Kinnbehaarung und aus dem Mund plumpste die Frage "Gehört ihr zusammen?" Manuelas Wangen glänzten rot vor Aufregung. Sie nickte leicht, denn ihr Gebiß war noch zugefroren. Mein um die entscheidende Millisekunde aufgetautes "Ja" schlitterte vollkommen ignoriert zwischen Manuela und dem Türsteher hindurch und versank in den Fluten eines frisch gebrühten studentischen Milchkaffees. Er wies uns mit einem ICH-HABE-PETER-SCHANDES-MANTEL-
PERSÖNLICH-AN-DIE-GARDEROBE-GEHÄNGT-Blick eine Ecke in der vorletzten Reihe zu. Ich straffte meinen Oberkörper, zog meinen Colt und schob in die Patronenkammer einen besonders harten Spruch, um mein Recht auf freie Platzwahl zu verteidigen. Mr. Einlaß zog aus seiner Jacke seinerseits eine Gun hervor, auf deren Lauf eingraviert war "Halt die Klappe und mach was ich sage oder deine Freundin landet auf meinem Schoß!". Entschlossen versuchte ich daraufhin meinen Colt zu entsichern, doch dieser flog erschrocken in einem hohen Bogen durch den Saal, prallte gegen eine Wand, wodurch er eine Gehirntrommelerschütterung bekam und bewußtlos unter einem Stuhl liegen blieb. Manuela war mir in den Rücken gefallen und verblüfft durch ihre Überrumpelung, ließ ich mich von ihr auf den Platz zerren, der uns zugewiesen worden war.
"Es wird Zeit, daß du dich für ernsthafte Literatur interessierst!" sagte Manuela beim hinsetzen und ich lutschte ehrfürchtig an ihren Worten, um auf den Geschmack dieses historischen Momentes zu stoßen, der wie bei einer Zwiebel unter mehreren Schichten im Verborgenen lag. Zuerst bohrte sich nur ein säuerlicher Stromstoß in meine Zunge. Er bezog seine Spannung aus der Tatsache, daß einerseits eine Eintrittskarte vierzig Mark gekostet hatte und ich für Manuela aus diversen Gründen mitbezahlen durfte, andererseits mein Portemonnaie an einem chronischen Minderwertigkeitskomplex litt. Da meine unbedingten Reflexe bei Pawlow in die Schule gegangen waren, setzte ich mein säuerliches Empfinden in eine Schluckbewegung um und gab damit meinem Magen die Gelegenheit an seinem Geschwür weiter zu basteln. Nachfolgend breitete sich in meinem Mund ein mildes Aroma aus, daß sich aus folgenden zwei Ingredenzien zusammensetzte:
1. Seite an Seite mit Manuela würde ich in kurze meine höhere Weihe in wirklicher Literatur empfangen.
2. Ich zählte zu dem erlauchten Kreis, der ihn sehen und hören, sowie sein noch unveröffentlichtes Manuskript genußvoll beklatschen durfte.
Mit stolzgeschwellter Brust entzündete ich mir eine Zigarette und die abgebrochene Streichholzkuppe brannte diesen historisches Moment für alle Zeiten fest in meine Jeans ein.
Da Manuela gerade in eine tiefe Diskussion mit dem Barkeeper verwickelt war, begann ich mich langsam mit den hiesigen Örtlichkeiten vertraut zu machen.
Genau vor uns saß der an phallischer Schwindsucht leidende junge Mann zwischen seinen beiden Begleiterinnen. Er führte gerade ein Diskussion über die Verwerflichkeit machohaftem Sexualverhaltens und die Notwendigkeit geschlechtssolidarischer Abwehrstrategien, unter Berücksichtigung frauenspezifischer Aspekte.
Schräg hinter mir demonstrierten zwei kraftstrotzende Lesben ihre Vorstellung von frauenspezifischen Aspekten. Zwischen knutschen und Armdrücken, schielten beide zu einer knabenhaften Frau hinüber, die solidarisch in ihrer Nähe saß. Diese verschickte drohende Blicke in meine Richtung und massierte nervös einen Kugelschreiber. Die Ausgesprochen phallische Form des Schreibgerätes bewies eindeutig seine aggressiv männliche Herkunft. Übrigens war es genau jene Frau, unter der mein Revolver in Koma lag und liegen bleiben mußte. Zwar könnte ich ihr zwischen die weit gespreizten Beine greifen und sagen. "Sorry, du brauchst keine Angst zu haben, deine erotische Ausstrahlung liegt weit unter der erforderlichen Anziehungskraft." Doch ich besaß zum einen keinerlei Interesse an einer intensiveren Bekanntschaft mit jenen Lesben, die nur darauf warteten sich ihr anbieten zu dürfen. Zum anderen wollte ich meine Beziehung zu Manuela nicht vollends aufs Spiel setzen.
Manuela setzte sich wieder neben mich und riß mich aus meinen Überlegungen. Der Einlasser schloß die Tür ab, denn im Cafe waren alle Plätze besetzt. Der Barkeeper stellte die Musik ab und goß sehr sorgfältig stilles Wasser in ein tiefes Glas. Auf ein rotes Samtkissen bettete er die offizielle Peter-Schande-Erfrischung und prozessierte damit am Publikum vorbei zum Mikrofon. Ein letztes Hüsteln, Rascheln und Tuscheln, dann senkte sich das Glas auf den Altar hinab und unter tosendem Beifall betrat Peter Schande das Podium. Mit einem knappen Händedruck des Stargastes belohnt, eilte der auf diese Weise geadelte Barkeeper auf seinen Platz zurück. Die neidischen Blicke waren Balsam auf seine trinkgeldfrustrierte Seele.
Peter Schande fingerte aus seiner Aktentasche einen zusammengehefteten Papierstapel hervor und schlug eine markierte Stelle auf. Er fixierte die Zuschauer der ersten Reihe eindringlich und zog die kostbare Stille durch die Nasenlöcher ein. Sein Körper blähte sich auf und und in dem Moment wo ich befürchtete, daß seine Lungen platzten, erlöste er die Zuhörerschaft mit dem Titel seines ersten Gedichtes.
"Schiffe verjähren am Morgen"
"Olala" dachte ich. Der Titel ist ja eine verdammt harte Nuß und diskret schaltete ich deshalb unter meiner Jacke den Intelligenzverstärker ein. Umsonst. Irgendwo zwischen der zweiten und dritten Zeile blieb ich hängen. Wahrscheinlich waren entweder die verdammten Longlife- Batterien alle oder das Gerät war kaputt. Irritiert betrachtete ich die verstehenden Gesichter um mich herum. Auch Manuelas Wangen flackerten aufgeregt hin und her.
Mit der Langsamkeit des Genießenden sprach Peter Schande. "Rotkelch bleibt trostlos, bleibst Wanderdüne. Alter Freund."
Peter Schande beantwortete das leise Gelächter mit einem ironischen Augenzwinkern.
"Ah ja" zuckte es verstehend durch meinen Kopf. "Ein Seitenhieb auf seinen schärfsten Konkurrenten, aber welchen?" und ich senkte beschämt meinen unwissenden Kopf. Manuela hatte recht. Es wurde Zeit, daß ich die richtige, die ernsthafte Literatur zu lesen begann. Sonst blieb ich ein poetisch Ausgestoßener. Eine männliche Persona non grata unter einem gebildeten und überwiegend weiblichen Publikum.
"Manuela..." flüsterte ich. "Ist dir eigentlich aufgefallen, daß hier die meisten Zuhörer Frauen sind?"
"Frauen besitzen eine größeres Verständnis für Lyrik!" antwortete sie ebenso leise.
Ich nickte begreifend. "Aber warum," wand ich ein, "gibt es dann fast nur Dichter?"
Leicht genervt erwiderte sie "Das hängt mit der patriarchalischen Unterdrückung der Frau zusammen. Männer wollen nicht, daß Frauen eine eigene weibliche Phantasie entwickeln können."
"Und wie machen Männer das?" bohrte ich weiter "Ich meine, unterdrücke ich dich?"
Manuela sah mich strafend an und zischte "Sei endlich still"
Unzufrieden lehnte ich mich zurück und Peter Schande pustete bedeutungsvoll das Wort "Phantome" seiner Anhängerschaft entgegen.
"Ficken" schallte lallend zurück. Erschreckt suchten dutzende Augenpaare nach dem Störenfried und eine Brünette riß sich verstört die Perücke herunter.
Peter Schande setzte von neuem an. "Phantome"
"Ficken" ergänzte hinter dem Fenster auf der Straße eine sturzbesoffene Gestallt. "Ficken. Ihr wollt alle nur ficken." Sein dicker Wurstfinger zielte wahllos auf mehrere Frauen.
Mister Einlaß öffnete die Tür und rief dem Provokateur zu. "Bitte seien Sie ruhig. Hier findet eine Lesung mit Peter Schande statt." Der Besoffene bellte "Kenn ich nicht!" und seine platzierte Bierfahne knockte den Türsteher noch in der ersten Runde aus.
Die beiden Lesben erhoben sich und streiften sich Gasmasken über. Auf dem grauen Gummi stand in deutlich lesbaren Buchstaben "Woman´s Domina World". Die größere von beiden, eine Art Brunhilde packte sich den Kerl, während die zweite auf der Straße einen Gullydeckel öffnete und unter frenetischem Applaus wurde die Gestallt entsorgt. Die zwei lesbischen Gladiatoren kehrten ins Cafe zurück und der wiedererwachte Türsteher flocht ihnen augenblicklich die Siegerkränze.
Peter Schande wartete bis sich die Aufgeregtheit gelegt hatte.
"Phantome" begann er erneut und diesmal blieb es ruhig. Zufrieden und erleichtert atmete der Saal durch.
"Phantome verkehren quer Ihr Sein
und ist vibrieren nur
ist nur wie..."
"Ficken" dröhnte es unter dem Cafe. Bestürzt richteten alle ihre Blicke auf den Fußboden. Vermutlich war die besoffene Gestalt in der Kanalisation wieder zu sich gekommen und lief nun unter dem Haus herum. Der Barkeeper schoß hinter seinem Thresen hervor und eilte Richtung Toilette.
"Ficken wollt Ihr." meldete sich der Besoffene zurück. "Ficken bis der Amboß glüht. Mit solchen Vorschlaghämmern. Ficken bis zum Umfallen." Es folgte eine kurze Pause und dann ein ärgerliches "Scheiß Ratte, wirst du aufhören mich zu beißen!"
Ein lautes Rauschen auf dem WC übertönte die unterirdischen Flüche, denn der Barkeeper hatte alle Toilettenspülungen gezogen und ein riesige Wasserflut spülte den Unhold hinweg. Hinweg bis ins nächste Klärwerk, wo ihm die ferkligen Phantasien aus dem Kopf gefiltert wurden.
Um völlig sicherzugehen übersprang Peter Schande die "Phantome" und rezitierte passenderweise das "Trigometrische Tal der Teufel".
Außerstande zu folgen, konzentrierte ich mich lieber auf das Publikum und entdeckte so das Prinzip nach dem wir platziert worden waren. In der ersten Reihen saßen ausschließlich Frauen. Gutaussehend und vor allen Dingen unbemannt. Die nachfolgenden Reihen waren in absteigender Schönheitsfolge besetzt. Daran schloßen sich Pärchen wie Manuela und meine Wenigkeit an. Gefolgt von solch hoffnungslosen Fällen wie der Frau, die noch immer über meinem Revolver saß, oder den Rambo-Lesben. In der hintersten Ecken standen zusammengepfercht die wenigen allein erschienenen Männer.
"Alle Achtung" dachte ich "ganz schön clever dieser Schande. Dichter müßte man sein."
Und ich betrachtete in einem großen Spiegel der hinter dem Lyrik-Casanova an der Wand hing, die Damen in der ersten Reihe etwas genauer. Nach zwei Gedichten wußte ich Bescheid. Peter Schande und eine Blondine pflegten einen intensiven Blickkontakt. Ihr roter Minirock war das reinste Alibi um überhaupt bekleidet zu sein. Leider konnte ich keine Details erkennen, denn sie schlug gerade ihre Beine übereinander und ich hatte außerdem meine Gelegenheitsbrille vergessen. Ich kniff meine Augen zusammen, um besser sehen zu können und betete dafür, daß die langbeinige Schöne sich endlich etwas bequemer hinsetzte. Nebenbei bedauerte ich die Typen die zusammengedrängt in der Ecke stehen mußten, ich konnte im Spiegel genau sehen, wie sie vor Wut die Augen ebenfalls zusammenkniffen.
Peter Schande hatte mein Gebet erhört. Er kündigte ein Liebesgedicht an und schaute der Blondine dabei tief in die Augen. Sie bewegte ihre Beine und ich bemerkte, wie ich nervös wurde.
In diesem Moment krachte es laut und die hereinbrechende eisige Winterluft biß sich in meinem Nacken fest. Alle Köpfe flogen Richtung Tür und suchten nach dem Grund für die erneute Störung.
Fünf schwarzgekleidete Männer mit Maschinenpistolen stürmten in das Cafe hinein. Die Köpfe vermummt und die Hemden mit Goethe im Che-Guevara-Look bedruckt. Der Türsteher gab seine Tarnung auf, klopfte jedem auf die Schulter und sagte "Ich dachte schon ihr kommt gar nicht mehr."
"Alle sitzen bleiben!" brüllte der erste, vermutlich der Anführer. "Wenn ihr alle cool bleibt, geschieht euch nichts. Wir sind ein Kommandotrupp der LYRISCHEN ARMEE FRAKTION und wollen uns nur kurz mit Peter Schande unterhalten." Dabei lachte er grimmig und hielt seine Waffe auf Peter Schande gerichtet.
Im selben Augenblick sank die erste Lesbe entseelt zu Boden. Bei dem Versuch sich auf einen Maskierten zu stürzen, hatte dieser ihr in den Ausschnitt gefasst und die blanke Haut berührt. Es war für sie eine völlig neue Erfahrung, welche sie nicht verkrafteten konnte. Die zweite Lesbe starb aus purer weiblicher Solidarität und gesellte sich zur Ersten. Ansonsten hielt sich die weibliche Solidarität in Grenzen.
"Peter Schande" rief der Anführer und alle wandten sich wieder dem Autor zu. "Peter Schande, die LYRISCHE ARMEE FRAKTION erteilt dir das künstlerische Berufsverbot. Keine Lesung, kein Buch, keine Lyrische Scheiße im Radio oder Fernsehen mehr. Nie wieder Konkrete Poesie oder dir droht das hier!" Und mit einem kurzen Feuerstoß aus dem Maschinengewehr zertrümmerte er den Spiegel fachgerecht in neunsilbrige Zweizeiler. Peter Schande nickte verschüchtert.
Die Frau, unter der mein Revolver sanft vor sich hin schlummerte, versuchte sinnlos und halbherzig letzten Widerstand zu leisten. Mit einem Aschenbecher bewaffnet wollte sie sich auf den Anführer stürzen.
Doch das war meine Chance. Ich schlug ihr den Aschenbecher aus der Hand und griff nach meinem Revolver. Mit Tränen in den Augen schrie sie "Es lebe die Konkrete Poesie! Nieder mit dem festen Rhythmus! Peter Schande widerstehen Sie!
Endlich. Mein Finger wickelte sich um den Abzug. "Lege du dir erst einmal einen konkreten BH und einen festen Rhythmus zu. Der Spruch traf genau ins Schwarze, also mitten durch die nicht vorhandene Brust ins Herz und schluchzend brach sie auf ihrem Stuhl zusammen.
Der Anführer drehte sich zu mir um.
"Alles unter Kontrolle!" rief ich ihm zu "Ich bin auf Eurer Seite."
Mit dem Revolver in der Hand schritt ich auf meinen Platz zurück. Manuela starrte mich verblüfft an. Bevor sie mich zur Schnecke machen konnte, hielt ich ihr den Revolver in die Seite und sagte "Setz dich hin und halt den Mund oder ich drücke ab." Mir war sonnenklar, daß ich mein Todesurteil aussprach. Doch lieber so als andersherum. Um so überraschender setzte sich Manuela wortlos hin und lächelte mich an.
Peter Schande unterschrieb unterdessen zitternd seine literarische Abdankungsurkunde und verschwand. Der Guerillapoet schaute sich die erste Reihe an und baute sich vor der Blondine im Minirock auf. Mit rauher Stimme, die keinen Widerspruch duldete, sagte er.
"Du kommst mit mir mit und wirst mir heute nacht dienbar sein." Er ergriff ihre Hand und sie ließ sich ohne Gegenwehr entführen.
Der feministische Knecht zweier Damen auf dem Platz vor mir schüttelte fassungslos mit dem Kopf und sein Blick schielte auf meine Hand, die über Manuelas Oberschenkel strich.
"Wir hauen jetzt auch ab!" befahl ich und Manuela nickte. "Schließlich haben wir noch was vor Heute!" fügte ich hinzu und meinen Kniff in ihren Hintern quittierte Manuela mit einem Kuß, der späteres erahnen ließ. Im Aufstehen sah ich, wie sich die Hände des Anti-Phallus-Typen vorsichtig den Beinen seiner beiden Begleiterinnen näherte. Eng umschlungen schlenderte ich mit Manuela aus dem Cafe auf die Straße hinaus. Bevor sich die Tür hinter uns schloß, schallten zwei Ohrfeigen rhythmisch durch den Raum. Der simple Ausdruck einer geschlechtssolidarischen Abwehrstrategie gegenüber diesem plumpen Annäherungsversuches, unter gleichzeitiger Berücksichtigung weiblicher Befindlichkeiten.
Cafe-Jazz
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