Charlottes Ankunft

Episode 1 aus: Die Mädchen von Schloss Ruteberg

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Charlottes Ankunft

Charlottes Ankunft

Andreas

Die Renitenz dieses Mädchens gefiel ihr, aber dulden durfte sie so etwas nicht. Sie klärte Charlie auf:
„Hör mir gut zu, Charlotte! Wenn du auf das Unrechtsregime der Nationalsozialisten abzielst, gebe ich dir unbedingt recht. Aber damit hat das rein gar nichts zu tun! Sei also folgsam und gehorche.“

„Und wenn nicht?“ Charlie verschränkte die Arme vor der Brust, nahm eine abwehrende Haltung ein.
„Dann muss ich dich leider bestrafen! Ich glaube nicht, dass du es gleich an deinem ersten Tag darauf anlegen wirst, oder?“ Charlie traute der schönen Frau zu, diese Drohung auch in die Tat umzusetzen. Das Mädchen spürte ein flaues Gefühl in ihrem Bauch. Es schien Charlie ratsamer, mit ihrem geplanten Aufstand noch etwas zu warten. Das war wohl klüger. Sie klang ziemlich kleinlaut: „Gut, dann ziehe ich diese Uniform halt an. Ich möchte nicht gleich in den Karzer gesperrt werden.“

„So ist es brav, Charlotte! Aber den Karzer gibt es hier nicht. Ungezogenheit wird hier auf andere Weise bestraft. Sei einfach hübsch artig. Dann hast du auch nichts in dieser Richtung zu befürchten. “
Charlie kam sich ganz komisch vor. Irgendetwas in ihr schien zu wissen, um was für eine Art Strafe es sich handelte. Sie kannte ja die Gerüchte, die man sich über Schloss Ruteberg zuraunte. Sollten sie tatsächlich wahr sein? Wie von einer fremden Macht gesteuert, tasteten beide Hände nach ihrem Hosenboden. Bei den Erziehungsmethoden ihrer Eltern hatte Charlottes Popo nie eine Rolle gespielt.Nun überkam sie das dumpfe Gefühl, dass diese Nichtbeachtung ein schnelles Ende finden konnte.
Frau Reiser öffnete einen Schrank, um aus ihm eine Schuluniform in Charlies Größe zu nehmen. Sie gab ihr einen dunkelgrauen, knielangen Faltenrock, eine beige Bluse und einen Blazer in der Farbe des Rocks. Dann bekam Charlie noch zur Bluse passende Strümpfe und ein Paar flache Halbschuhe.
Frau Reiser bestand darauf, dass sie sich gleich umkleidet. Charlie gehorchte, allerdings sehr ungern.
Als sie die Pepitahosen auszog und im Höschen vor der Lehrerin stand, errötete sie schamhaft.

Charlie ärgerte sich, dass Frau Reiser ihr zusah, wagte aber kein Widerwort. Nun schlüpfte sie aus dem schwarzen Rollkragenpulli, der sie wie eine französische Existenzialistin aussehen ließ. Charlie liebte die Bücher der Sagan, vor allem `Bonjour Tristesse‘. Dieses Buch war brandneu und gerade erst in der Bundesrepublik erschienen. Charlie fühlte eine starke Seelenverwandtschaft mit Cécile, der Heldin dieses zauberhaften Romans. Wie Cécile fühlte auch sie sich unverstanden, vor allem von ihren Eltern, die Charlie als spießbürgerlich wahrnahm. Sie seufzte, als sie sich daran erinnerte.

Frau Reiser forderte sie auf, endlich die neuen Sachen anzuziehen und nicht vor sich hin zu träumen. Charlotte rollte genervt mit den Augen, enthielt sich aber eines frechen Kommentars. In Büstenhalter und Miederhöschen stieg sie jetzt in den ungeliebten Faltenrock. Er passte genau, wie auch die Bluse und der Rest ihrer neuen Garderobe. Als sie auch Kniestrümpfe und Schuhe anhatte, führte sie Frau Reiser vor einen Garderobenspiegel. Verlegen blickte Charlie auf ihr ungewohntes Spiegelbild.

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