Como dos extraños

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Como dos extraños

Como dos extraños

Tanguera

Ein letztes Mal wiederhole ich die Lustrada, lasse meinen Fuß im weiten Halbkreis über den Boden kreisen, kreuze ein, streiche mit meiner Fußspitze lasziv am Standbein eines imaginären Tänzers hoch, und setze meinen Fuß in einem eleganten Bogen wieder ab.
Klatschen, das „Gracias“ der Lehrerin – wie gut, dass die Tango-Práctica vorbei ist. Wieder mal bin ich völlig verschwitzt und erschöpft. Trotzdem würde ich es mir nie nehmen lassen, danach die Milonga zu besuchen, in dem schwülen, abgedunkelten, schimmernden Saal zu sitzen, den klagenden, schmeichelnden Klang des Bandoneons zu hören, mich mitreißen zu lassen von der Musik. Mit den Tänzern, die wie ich auf die Gelegenheit warten, Blicke zu tauschen und mich so für den nächsten Tanz, die nächsten rauschhaften Minuten zu verabreden.

Nur umziehen muss sein. Also mit einer gemurmelten Entschuldigung aus dem Saal, in die Kühle, die mir eine Gänsehaut den Rücken hinunterjagt. Shit! Da muss heute jemand vergessen haben, die Toilette aufzusperren. Viel hab ich ja nicht vor, der Gang ist lang und dunkel, und überhaupt ist die Chance, dass jemand kommt, gering – also raus aus dem Shirt. Langsam überkreuze ich meine Hände, fasse den Saum und ziehe vorsichtig. Ich weiß ja, dass meine Brüste – Airbags, wie ich sie wegen ihrer Größe liebevoll nenne – da immer bremsen, und schon ist es passiert, ich häng fest. Das Shirt halb über dem Kopf, die Hände in den Kampf mit dem Stoff verheddert, hör ich Schritte. Suchend, tastend – aber doch bestimmt. Tango-Schritte. Einer der Tänzer. Bevor ich viel tun oder sagen kann, ist er hinter mir. Ein fragendes Flüstern an meinem Ohr: „May I help?“

Fast kann ich das Lächeln fühlen, das in seinem Gesicht steht. Eine der begehrtesten Tänzerinnen, noch neu in der hiesigen Szene, die als schüchtern und unnahbar gilt und die Abende stets als letzte und allein verlässt, steht hier – nackt und gefangen. Ich bin zu genervt und belustigt, um ihn anzuschnauzen, mich zu erklären oder überhaupt zu reagieren. Und irgendwie erregt mich die Situation… ein Fremder, der mir doch vertraut ist… also tue ich nichts.

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