Der Creeper

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Der Creeper

Der Creeper

Anita Isiris

«Creeper» liest sich ein bisschen wie «Weinbergschnecke». Aber eben. Bei uns allen kriecht irgendwo, in einem versteckten Winkel unserer Seele, eine Weinbergschnecke herum. Auch wenn wir gegen aussen korrekt, aufrichtig und #metoo-proof sind: Es ist irgendwo verborgen, das Dunkle, Geheimnisvolle, das wir niemals preisgeben würden.

Nehmen wir meine Freundin Claudia als Beispiel: Eine junge, hübsche, unbeschwerte Frau – mal abgesehen davon, dass sie sich erst neulich von ihrem Freund Jan getrennt hat. Er sei immer so eifersüchtig gewesen. Je tiefer ich in Claudia drang, desto mehr brachte ich in Erfahrung. Wir kommunizieren per Whatsapp, die Claudia und ich. Whatsapp ist ohnehin der Schlüssel zu den verborgenen Winkeln der Frauenseelen. Telefoniert wird immer seltener, Treffen werden unverbindlich, aber das Smartphone ist der ständige Begleiter. Und dort, je nach Stimmungslage, wird eben «gewhatsappt». Bin gespannt wie lange es geht, bis dieses Wort-Ungetüm im Duden auftaucht. Je nachdem, wie Claudia drauf war – etwa spätnachts, wenn sie nackt und schwitzend auf ihrer Daunendecke lag, konnte ich ihr Geheimnisse entlocken. Sie hat mir etwa geschrieben, Sex mit Jan sei nie geiler gewesen, als wenn sie sich etwa in eine Dienstmagd verkleidet hatte. Ich stellte mir dann die brave, unauffällige Claudia vor… mit Strapsen, einem schwarzen, knielangen Rock, einer weissen Bluse, fast bis zuoberst zugeknöpft… und mit kunstvoll zurechtgemachtem Haar. Auf dem Bett liegend Jan, der Satyr, mit senkrecht aufgerichtetem Schwanz. Claudia, im Rollenspiel, übersieht den Schwanz, schüttelt sein Kissen aus, rückt die Decke zurecht und öffnet das Fenster, um zu lüften. Jans Blick ruht auf ihrem Arsch, der sich unter dem Rock abzeichnet. Lange wird er es nicht mehr aushalten. Dann wird er von hinten an Claudia herantreten, die Arme um sie legen und sein Becken an die Pobacken der Geliebten drängen. Minuten später schiebt er ihren Rock hoch, massiert durch den feuchten Slip hindurch ihre intimste Stelle… und, ja, Claudia wird geil und geiler… bis er es ihr dann endlich von hinten besorgt, mit ruhigen, kräftigen Stössen. Geile, kleine Rollenspiele. Claudias «Weinbergschnecke», über die sie mit niemandem redet. Mit niemandem. Ausser mit mir, spätnachts, per Whatsapp. Ob sie sich zwischendurch streichelt, wenn sie mit ihrem Smartphone korrespondiert?

Oder Silke. Silke ist meine Nachbarin. Blond, schlank, gross gewachsen. Und ich bin Silkes Creeper. Sie würde vor Scham tief im Boden versinken, wenn sie wüsste, wie prominent sie mittlerweile auf Tumblr vertreten ist. Silke ist eher schamhaft – so schätze ich sie zumindest ein. Unsere Balkons liegen sich direkt gegenüber; ihren hat sie mit einer Binsenmatte blickdickt abgeriegelt. Von aussen sieht das ziemlich spiessig aus, finde ich, aber ich verstehe die Frau. Silke lebt allein und hat ein Recht auf Privatsphäre. Trotzdem – und jetzt kommt die innere Weinbergschnecke zum Zug – konnte ich es nicht sein lassen. Als sie mir einmal vertrauensvoll den Wohnungsschlüssel überliess, damit ich während ihrer Ferien ihre Balkonpflanzen giessen konnte, nutzte ich die einmalige Gelegenheit und schnitt ein kleines Fenster in die Binsenmatte… gerade gross genug, damit ich von meinem eigenen Balkon aus mit meinem fetten NIKON-Objektiv oder mit dem Feldstecher die ahnungslose Silke würde betrachten können. Schon beim Gedanken an ihre Rückkehr bekam ich eine Erektion.

Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder sie bemerkte das Fensterchen, dachte, dass vielleicht der Wind die Binsen auseinandergeschoben hatte und würde die Öffnung abdichten.

Oder sie liess das Fensterchen Fensterchen sein und genoss die heissen Sommernachmittage im Slip, Bikini, nackt oder wie auch immer. Und ich bekam alles zu sehen in jenem Sommer. Alles, was ich mir je von Silke erträumt hatte. Kaum aus den Ferien zurück, trat sie mit einer Tasse dampfendem Kaffee auf ihren Balkon und genoss die Abendsonne. Obenrum war sie nackt; ihre Hüften zierte ein klitzekleiner hellblauer Baumwollslip. Silke tat mir den Gefallen und wandte sich ab, vermutlich, um einem Geranium beim Wachsen zuzuschauen. Und ich konnte ihren süssen, geilen Arsch heranzoomen. Ich zitterte vor Aufregung, als ich auf den Auslöser drückte. So ein perfektes Guckloch. Und ich: So ein perfektes Arschloch. Ich wusste ja um die #metoo Debatte. Ich wusste, dass man so etwas einfach nicht macht. Ich wusste um Silkes Recht auf Privatsphäre. Und doch… kitzelte mich die Weinbergschnecke, und ab diesem Moment Morgen für Morgen, wenn sie frisch geduscht auf dem Balkon stand und eine rauchte – meist in ein Badetuch gehüllt. Und Abend für Abend, wenn sie sich, nach einem strengen Arbeitstag an der Discounter-Kasse, halbnackt oder gar splitternackt auf den Balkon stellte, um den Abend zu geniessen.

Irgendwann einmal fand ich, ich hätte das Recht auf meine kleine, geile Silke. An die 200 Photos hatte ich bis dahin geschossen, und fast ausnahmslos alle auf Tumblr hochgeladen. Ich wollte die Community an meinem Glück teilhaben lassen. An der Abendsonne in Silkes Haar. An ihrem schönen, langen Hals. An ihren Apfelbrüsten. Und, ja, ich gebe es zu: Auch Nahaufnahmen von Silkes Vulva habe ich hochgeladen und mir dabei vorgestellt, wie sie Zumbo aus Kenia, Günter aus dem Ruhrgebiet und Mc Guinn aus Irland als Wichsvorlage nutzten.

Ich wurde zum professionellen Creeper, und meine innere Weinbergschnecke wurde fetter und fetter. Sie wurde von meiner Geilheit und von Silkes unfreiwilliger Zeigefreudigkeit genährt. Ich war sogar so kühn, Silkes Busen mit Programmen wie «AndWobble» nachzubearbeiten. So wurde Silkes Busen lebendig und bewegte sich, während ich mein Handy schüttelte. «Krank», wird der korrekte Leser jetzt denken… aber ich versank immer tiefer in Silkes kleiner Balkonwelt. Ich kannte mittlerweile jede ihrer Unterwäschegarnituren, Silkes Haarspangen, und ich hätte so gerne gewusst, wie sie duftete. Das allerdings blieb mir verwehrt. Duftkameras sind noch nicht erfunden. Aber das kommt. Ich kam auch. Immer wieder, das Smartphone in der einen Hand, den Schwanz in der anderen.

Dann kam im September dieser eingeschriebene Brief. Er setzte meinen Aktivitäten rund um Silke ein sofortiges Ende. Es handelte sich um eine Vorladung bei ihrem Anwalt. Mit den 200 Uploads auf Tumblr hatte ich es übertrieben. Definitiv übertrieben. Mir war entgangen, dass Silke einen Freundeskreis hat – und dass es darunter Freunde gab, die, wie ich, ab und zu durch die Tumblr Bildbibliotheken scrollten. «Ist das nicht…», werden sie sich mit geweiteten Augen gefragt haben. Ich wartete den Abend ab. Zischte mir auf dem Balkon ein Bier. Zoomte ein letztes Mal auf die Öffnung in der Binsenmatte… und erwischte Silke, wie sie sich gerade bückte, um eine Zigarrettenkippe aufzulesen. Sie war nackt. Und ich kam in den Besitz ihrer süssen, geilen Pflaume – respektive in den Besitz eines Abbildes davon. Ich reihte es in meine Sammlung ein; Silke bescherte mir so einen letzten schönen und langen Orgasmus, bis ich mich dann in mein Schicksal ergab. Mein Schicksal als Creeper. Erwischt und entwaffnet. Aber die Weinbergschnecke in mir ist nicht totzukriegen.

Mir wurde eine Haft von 5 Tagen auferlegt, weil ich zahlungsunfähig bin. Die Wohnung habe ich ebenfalls gewechselt. Aber der süssen Nachbarinnen sind viele. Alle haben einen langen weissen Hals. Brüste. Hüften. Eine Muschi und einen Arsch. Alle duften. Alle sind phantasieerweckend. Und alle werden, #metoohinoderher, irgendwann Opfer eines Creepers und Sklavinnen einer Weinbergschnecke.

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