Danching art

Lost in transformations - Teil 3

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Yupag Chinasky

Auch die Meisterin des Ikebana war ratlos, sie hatte für den erneuten Tanz nicht genug Musik dabei und musste Stücke wiederholen, den „Nachmittag eines Fauns“, die klassischen Weisen, sogar die Popscheiße. Musik, auf die es nun überhaupt nicht mehr ankam. Nur der Fotograf sah die Situation pragmatisch. Er hatte die kurze Phase des Mitleids mit dem Opfer und auch die Wut auf den Alten überwunden und fand perverser Weise sogar Gefallen an dieser unwürdigen Situation. Ein Mann hetzte eine Frau durch eine Blumenlandschaft, drängt sie, etwas zu tun, was sie längst nicht mehr wollte und konnte. Es waren Szenen der Verzweiflung und der Macht, die sich vor seiner Linse abspielten und die er in immer neuen Bildern festhielt. Bilder der Ausbeutung und der Gewalt, Motive aus den Niederungen menschlichen Verhaltens. Das lag ihm, das waren Szenen, die er wollte, das waren Bilder nach seinem Geschmack, Fotos, die zu machen, ihm schon immer vorschwebten. Das, was er hier aufnahm, war anders als des ewigen, dürren Modells oder gar die langweiligen Blümchen. Er war wieder ganz bei der Sache und verfolgte die verzweifelte Geisha mit seiner Kamera und hielt fest, wie dem wütenden Alten auf seinem Sofa nach mehr Tanz rief. Er näherte sich beiden, suchte die beste Perspektive, wollte die Gesichter einfangen, in denen sich die Gefühle spiegelten, nicht nur dass des geifernden Alten, auch die arme Frau bedrängte er ohne Mitleid und ohne Scham vor ihren Leiden. Diese war, nach den endlosen, sinnlosen Zugaben völlig erschöpft, eine atemlose, ausgebeutete, verhöhnte alte Frau, die nicht mehr wollte und nicht mehr konnte und sich schließlich endgültig weigerte, weiter zu tanzen. Sie blieb stehen, rückte den Kimono zurecht, presste den Obi noch heftiger gegen den Bauch und machte sich auf den Weg in Richtung Bad, den Ort der Zuflucht und der Rettung. Doch da rastete der Alte aus. Er sprang auf, sprang tatsächlich auf, wie nach einem Bad in einem Jungbrunnen, ein wieder jung gewordener Alter, eilte zu einem Gestell mit Samuraischwertern an der Wand hinter dem Sofa. Er packte das größte und rannte, es über seinen Kopf schwingend, auf die entsetzte Frau zu und versperrte ihr den Weg in das Bad. Dabei rief er unentwegt, die Hure solle tanzen, tanzen, tanzen. Und das tat sie dann auch, weglaufen hätte sie nicht können, wohin auch. Sie rannte vor dem Alten her, lief durch den Raum, immer an der Fensterfront entlang, lief durch die weißen Blumen, immer im Kreis. Und der Alte hoppelte hinter ihr her und ließ sein Schwert unablässig durch die Reihen der Blumen tanzen. Er köpfte die Gestecke, zerstörte die Blüten, warf die kunstvollen Gestelle um. Dann trampelte er auf den Resten herum und war dabei immer der Frau auf den Fersen, hielt aber doch Distanz. Er näherte sich ihr nur so weit, dass er auf den Kimono einhauen konnte, den sie hinter sich her schleifte. Er hieb und stach und zerfetzte das teure Stück. War es ein Wunder oder doch Absicht, dass er die arme Frau nicht traf und verletzte? Ein großes Wunder war, dass die entsetzte Geisha immer noch laufen konnte und ein kleines Wunder, dass ihre Frisur, der schwarze Turm mit dem bleichen Kamm, die Attacken und die Raserei des Alten bisher überstanden hatte. Der Alte tobte, fuchtelte, hoppelte und schrie, die Geisha rannte um ihr Leben, das Tanzen hatte sie längst aufgegeben. Der Fotograf knipste wie wild, er hörte gar nicht mehr auf, den Auslöser zu betätigen und hoffte dabei inständig, dass die Batterien durchhalten mögen. Er hüpfte um die beiden herum, passte sie ab, fing sie ein, mal von vorne, mal von hinten, mal von der Seite, mal ganz nah, dann wieder aus der Totalen. Er war nur bedacht, dieses Drama, dieses Inferno, diesen Höllenritt optimal festzuhalten. Er dachte keinen Moment daran, der Geisha in ihrer Todesangst zu helfen oder den Alten zur Vernunft zu bringen, mutig aufzubegehren, sich tapfer zwischen das Wild und seinen Jäger zu stellen und dem grausamen Spiel ein Ende zu bereiten. Doch das hätte er schon aus lauter Angst vor dem beständig geschwungenen Schwert nicht gewagt. Die Ikebanafrau schließlich, die auch noch da war und das Inferno mitansehen musste, jammerte lauthals und fiel fast in Ohnmacht, vor allem angesichts der brutalen Zerstörung ihres Werkes. Aber in Ohnmacht fallen durfte sie nicht, denn dann hätte sie ja das Geschehen nicht weiter beobachten können. Eingreifen wollte sie auch nicht. Da ging es ihr, wie dem Fotografen. Sie machte sich aus lauter Angst vor dem durchgeknallten Alten fast in die Hose.

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