Der Alte, wieder auf seinem Sofa sitzend und der schrille Fotograf, der erneut beauftragt worden war, das Happening abzulichten waren sehr angetan und lobten die Raumkunst einhellig. Auch die Ikebanameisterin war stolz, zeigte ihren Stolz aber nicht, denn Anerkennungen war sie gewohnt. Ungewohnt, auch für sie, waren allerdings die Dimensionen, in denen sie hier hatte schwelgen dürfen. Eine solche Fülle an floraler Kunst in einem Wohnraum hatte sie noch nie erschaffen. Sie war sehr zufrieden und verbeugte sich. Dann schickte sie ihre Helferinnen aus dem Raum, sie würden später wieder kommen, zum Abräumen und Abbauen und zum sorgsamen Abtransport all der kleinen Kunstwerke. Die Vorbereitungen waren getroffen, das Happening konnte beginnen. Die Ikebanafrau, auch für die Beschallung zuständig, schaltete die Musik ein.
Aus den in der Dekoration versteckten Lautsprechern erklang Debussys „Nachmittag eines Fauns“. Es war der Wunsch des Hausherrn gewesen, den Abend mit westlicher Musik zu beginnen, denn er demonstrierte gerne seine Weltläufigkeit mit Anleihen aus der westlichen Kultur. Die Auswahl hatte er, mangels konkreter Kenntnisse, jedoch der Blumenfrau überlassen. Diese wählte üblicherweise klassische fernöstliche Weisen als akustische Untermalung ihrer Arrangements und verstand auch nicht viel von diesen fremden Klängen. Rein zufällig hatte sie einmal eine CD mit Debussy bekommen und der musste den Abend retten. Dem Alten war es recht, ihm wäre alles recht gewesen, den von Musik verstand er nicht viel, aber Musik war an diesem Abend ein Teil der Performance und daher sehr wichtig. Nachdem die ersten Takte erklangen, trat die zweite Hauptperson in Erscheinung: eine Geisha, die sich bisher dezent im Hintergrund aufgehalten hatte. Diese Geisha wandelte nun langsam, mit den typischen kleinen Trippelschritten, die ihre Getas, die hölzernen Sandalen, zuließen, durch das Blumenmeer. Sie trippelte zu der Fensterfront, hin zu der großen, weißen Vase voller, wie könnte es anders sein, weißer Orchideen. Dort, wo etwas Platz für eine Tanzfläche gelassen worden war, blieb sie stehen und verbeugte sich vor dem Hausherrn. Die Geisha war klein und auf traditionelle Weise geschminkt und gekleidet. Ihr zartblauer Kimono mit eingewebten, hellen Kirschzweigen, zeigte ein dem Frühjahr angepasstes Muster. Der kunstvoll auf dem Rücken geknotete Gürtel, der Obi, war weiß und mit hellroten Ornamenten verziert. An den Füßen trug sie knappe, weiße Socken, die zuließen, dass bei jedem Schritt mit den Holzsandalen ein wenig Haut zu sehen war, für Kenner ein verstecktes erotisches Signal. Das Gesicht der Geisha war perfekt geschminkt, natürlich auch in Weiß, wie es sich gehörte, mit schwarzen Augenlidern und ausdrucksstarken Augenbrauen, die ins Rötliche tendierten und die, zusammen mit dem kirschroten, herzförmigen Mund das einzig Farbige in dem Gesicht darstellten. Die üppigen, pechschwarzen Haare waren kunstvoll aufgesteckt und wurden von einem großen, schillernden Kamm aus Perlmutt in Form gehalten. Im Nacken der Frau waren zwei helle Linien, die als stilisierte Schamlippen gedeutet werden.
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.