Als sie eine Weile untätig dastand, merkte auch die Ikebanafrau, wie unpassend die Musik war und stellte sie ab. Die Geisha war erlöst und glaubte, dass nun auch ihr Auftritt beendet sei. Sie verbeugte sich vor dem Gastgeber, schlüpfte in ihre Sandalen, hob den Fächer auf und schickte sich an, den Platz vor der Fensterfront, zu verlassen. Aber das stieß bei dem Alten auf keine Gegenliebe. Erst winkte er ihr herrisch zu, weiterzumachen, dann unterstützte er seine Gesten mit ein paar heiseren, dahin gebellten Worten. Die Frau erschrak, verbeugte sich erneut und nickte ihm zu. In ihrem stark geschminkten Gesicht war keinerlei Regung zu erkennen, weder Zustimmung noch Ablehnung, weder Freude noch Unwillen. Sie begann wieder zu tanzen, jedoch nur ganz kurz. Sie machte ein paar Schritte in eine, ein paar in eine andere Richtung, dabei hielt sie sich krampfhaft an dem großen Fächer fest und vollführte schließlich einige Drehungen. Mitten in einer Drehung blieb sie stehen, das Gesicht dem Fenster, den Rücken dem Alten zugewendet. Sie legte den Fächer auf den Boden und nestelte mit beiden Händen an ihrem komplizierten Gürtel, öffnete ihn und wickelte ihn sorgfältig ab, löst ihn von der Taille. Als sie fertig war, legte sie ihn sorgfältig neben den Fächer und dann, begann sie, für die Gaffer nur unzureichend einsehbar, ganz langsam den Kimono zu öffnen und streckte, statt ihn abzustreifen und ebenfalls auf den Boden zu legen, die Arme waagrecht zur Seite und zog so das schwere Gewandt in die Breite, bis der hellblaue Stoff mit den Kirschzweigen eine große Fläche bildete. Von der Geisha war hinter dieser Fläche nur wenig zu sehen. In der Mitte am unteren Rand schauten die Fersen in den knappen, weißen Söckchen, auf den hohen Holzsandalen hervor und in der Mitte des oberen Randes leuchtete der helle Nacken mit den stilisierten Schamlippen, darüber der Turm aus schwarzen Haaren mit dem schwach glänzenden Perlmuttkamm. In dieser Stellung blieb die Geisha einige Zeit regungslos stehen. In dem Raum war es still. Die Ikebanafrau hatte keine neue Musik aufgelegt, der schrille Fotograf hatte aufgehört, mit seiner Kamera zu klicken und der Alte auf dem Sofa starrte gebannt auf die hellblaue Fläche vor der Glitzerwelt und dem Regen verhangenen Himmel. Von dieser Fläche ging eine magische Wirkung aus. Die Betrachter ahnten, dass sich dahinter eine Veränderung verbarg, dass die Geisha ein Geheimnis enthüllen würde. Die Spannung stieg, als sie sich schließlich ganz langsam um die eigene Achse drehte, Grad für Grad, Zentimeter für Zentimeter. Die hellblaue Front mit den Kirschzweigen verschwand und stattdessen erschien eine tiefblaue Fläche ohne jegliches Muster. Die Farbe des Himmels wurde von der des Meeres ersetzt und in deren Mitte erschien nun, ebenfalls nach und nach, der kleine, helle, nackte Körper der Geisha. Als sie frontal vor dem Alten stand und ihn direkt, fixierte, hörte sie auf, sich weiter zu drehen und zeigte nun mehr als nur die Zehen in Socken und Sandalen, mehr als nur das weiße, reglose Gesicht einer Porzellanpuppe mit grellrotem Mund und schwarzen Augen. Sie präsentierte stumm und starr ihre bleiche, zarte Gestalt in voller Nacktheit, den schmalen Oberkörper, den kleinen Busen, die enge Taille, die nur wenig breiteren Hüften, die kurzen und dazu krummen Beine und natürlich die ausgestreckten Arme, die den Kimono, wie eine Gekreuzigte, ausgebreitet hinter ihrem Rücken hielten. Hätte der Alte bei seinen Studien der westlichen Kunst sich mehr mit dem Mittelalter beschäftigt, wäre er zu dem Schluss gekommen, dass dort auf dem kleinen Berg Golgatha eine Symbiose aus Jesus und Maria stand. Obwohl es ihr inzwischen sichtlich schwerfiel, hielt die Frau den schweren Kimono weiterhin ausgebreitet hinter sich hoch, wie ein Schutzschild, das jedoch seine Aufgabe nur unzureichend erfüllte. Der Mantel schützte sie in keiner Weise vor den geilen Blicken des Alten, der ihre Nacktheit gierig und in allen Details abtastete und sie, als sie die Arme senken wollte, rüde anpfiff, dies nicht zu tun. Er schützte sie nicht vor dem schrillen Fotografen, der wieder mit seinem unaufhörlichen Klicken angefangen hatte und sie sensationslüstern durch den Sucher anstarrte und auch nicht vor der neugierigen Ikebanafrau, die sich die Hand vor den Mund hielt, um einen erstaunten Ausruf zu unterdrücken. Die Geisha zitterte, jedoch nicht nur wegen dieser unverhohlenen Blicke, nicht nur wegen der starren, ermüdenden Haltung, zu der sie der Alte zwang, nicht nur aus Angst, vor dessen herrischem, unduldsamem Gehabe, sondern auch vor Scham und Verlegenheit. Diese Geisha, die bisher ein Bild voller Ästhetik und voller Charme abgegeben hatte und die auch nun ihren Zauber hätte verbreiten können, eine helle, graziöse Silhouette, sanft angestrahlt von dem gelben Licht der Kerzen, malerisch drapiert vor der tiefblauen Fläche ihres Gewands, umgeben von zahlreichen, weißen Blüten und Lampions und den traumhaften Irrlichtern der Glitzerfenster im Hintergrund, diese Geisha bot solch ein verklärtes Bild keineswegs. Sie zitterte, weil sie wusste, dass ihr Anblick nicht angetan war, erotische Phantasien zu beflügeln, sexuelle Lüste zu steigern oder auch nur die Ästhetik eines wohlgeformten weiblichen Körpers zu bietet. Denn dastand, schüchtern, verlegen und ängstlich, eine Frau, die alles andere als jung und deren Körper weder schön noch wohlgefällig war. Eine Frau mit Falten auf dem mageren Leib, mit kleinen, schlaffen Hängebrüsten, mit hervortretenden Rippen, mit einem dicklichen Bauch und mit einem schwarz-grauen dünnen Geflecht darunter, das jegliche Lust abtötete und dazu noch diesen unsäglichen, kurzen O-Beinen. Die Schönheit einer elfenhaften Gestalt, die man, solange sie von dem edlen Kimono verhüllt war, durchaus hätte ahnen können und der Zauber eines Gesichts, das durch geschicktes Schminken und das warme Licht der Kerzen Jugend vortäuschte, waren brutal und radikal verschwunden, als sich die Frau, entblättert und entblößt hatte, als sie sich, erniedrigt und verkrampft, anstarren lassen musste. Ihr wahres Alter hätte man allenfalls an ihren dünnen, knochigen Händen abschätzen können, wenn man auf diese mehr geachtet hätte. Aller Camouflage beraubt, zeigte sich nun die hässliche, blanke Rückseite der Medaille, die der kunstvoll verhüllten und verbrämten Vorderseite in keiner Weise entsprach. Der nackte Körper der Geisha war nur hässlich und man mochte sich fragen, warum sie sich überhaupt so zeigte, warum sie das Geheimnis ihres Alters und ihrer verwehten Schönheit so ungeniert offenbarte. Man wollte kaum glauben, dass sie noch vor ganz kurzer Zeit elegant und grazil durch die Blumen schwebte und man konnte sich schon gar nicht vorstellen, dass diese alte Frau gezwungen sein sollte, sich immer noch als professionelle Stripperin vor geilen Männern auszuziehen und ihren Körper als Lustobjekt zu verkaufen.
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