Das Leben danach

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Das Leben danach

Das Leben danach

Reneé Hawk

„>König von Stutti< erhielt Haftstrafe - Urteil wegen Zuhälterei“

Ich war begeistert, er saß und ich war immer noch am Leben. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Die Zeitung in meiner Hand zitterte als ich den Artikel las.
„Der Berliner Bordellchef und so genannte ‚König vom Stutti’ ist am Freitag wegen Förderung der Prostitution und Zuhälterei zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt worden. ...“
Ich lächelte in mich hinein, ich war zufrieden und blickte kurz von meiner Zeitung auf. Ich wollte nicht, dass man mich lächelnd sieht, das sah nicht gut aus. Die Narben im Gesicht machten beim Lachen eine Grimasse aus meinem Gesicht. Ich war schon stolz auf mich, dass ich wenigstens den Weg ins Cafe am Ende der Strasse fand. Meine Haare sind noch nicht vollkommen nachgewachsen. Oft schauen mich die Passanten merkwürdig an, ich verstehe das auch irgendwie, ich trage kein Kopftuch oder Hut. Ich stehe zu meinen Narben. Sie brachten mir die Freiheit. Ich bin nicht stolz aber ich trage sie mit Würde. Ich senkte wieder meinen Kopf und las weiter in dem Artikel.
„... Der 57-Jährige hatte in seinen drei Bordellen am Stuttgarter Platz mehrere Dutzend Ausländerinnen illegal beschäftigt und ausgebeutet. ...“
Meine Gedanken schweiften ab und ich sah wieder vor meinem inneren Augen die kleine Mai-Thai. Der ‚König’ hatte sie von einer seiner Asienreisen mitgebracht. Kaum ein Wort Englisch und schüchtern, mir geht immer noch ein kalter Schauer über den Rücken wenn ich daran denke, wie der ‚König’ Mai-Thai das erstemal gezwungen hatte mit einem Freier mit- zugehen. Das arme Mädchen.
„... Das Gericht sprach ihn zugleich der Körperverletzung an einer damals 20-Jährigen schuldig. ...“
Hoffentlich geht es Mai-Thai nun besser. Nach dem Unfall habe ich sie nicht mehr gesehen. Ins Krankenhaus durfte damals keine von uns. Monika hatte wohl einmal mit dem ‚König’ gesprochen, doch er hat ihr eine geballert und sie wieder rauf geschickt, anschaffen.
„... Die vorwiegend aus Osteuropa stammenden Frauen wurden in ihren Heimatländern angeworben und mussten dann in den Etablissements des Angeklagten unter strengen Auflagen der Prostitution nachgehen. ...“
Als das Geschäft mit Asien nicht mehr florierte sattelte der ‚König’ um. Polen ist ein attraktives Land, hatte er einmal in einer gutgelaunten Stunde zu Monika gesagt. Monika war sein Lieblingspferdchen. Er schlug aber auch sie, doch Monika dachte nicht daran, sich das gefallen zu lassen und schlug stets zurück. Ich vermute, dass der ‚König’ und Monika schon lange ein Paar sind. Aber wenn ich Monika oder eines der anderen Mädchen darauf ansprach, sagte keine etwas und sie grinsten nur. Einmal fragte ich Susi, die Domina, ob sie näheres weiss, da meinte sie nur, dass ich lieber nicht zu viel fragen solle. Heute versteh’ ich was Susi meinte, die Narben schmerzen immer noch.
„... Fehlzeiten wurden mit Strafgeldern geahndet. Mehr als die Hälfte der Einnahmen mussten die Frauen an den Bordellchef abgeben. ...“
Ach wie untertrieben, mehr als die Hälfte, dass ich nicht lache. Ich musste alles abgeben. Gerade mal Zigarettengeld bekam ich vom ‚König’. Und das Strafgeld, das Strafgeld waren ein paar Schläge, die mächtig saßen. Nicht dass ich jemals welche bekam aber ich hörte oft meine polnischen Kolleginnen aus dem Büro schreien. Vielleicht war es nicht der ‚König’ selbst, er war sich doch sonst auch immer zu fein, vielleicht war es ‚Luden-Karl’, dem traue ich das zu. Der war nämlich immer mit an der Seite vom ‚König’.
„... Eine Ukrainerin hatte er geschlagen und getreten. (ddp)“
Eine Ukrainerin, das ist ja wohl der Hohn an der ganzen Sache, alle Mädchen hatte der ‚König’ geschlagen und getreten. Alle, allesamt, so wie wir da saßen. Keine kam ungeschoren davon, wenn er einen seiner cholerischen Anfälle hatte. ‚Luden-Karl’ hatte dann immer versucht ihn zurück zuhalten, aber nein, eine bekam immer was ab. Obwohl der ‚Luden-Karl’ sich sichtlich an der Prügelei von seinem Chef erfreute, hielt er ihn immer zurück. Das verstehe einer der will. Ich allerdings bin froh, endlich den Ausstieg geschafft zu haben. Nachdem Anuschka den ‚König’ anzeigte und einen Unterschlupf in der Anonymität gefunden hat, haben die anderen Frauen angefangen sich zu wehren. Monika nicht. Sie ging weiter anschaffen. Ich hatte es auch versucht und ich bezog eine mächtige Tracht Prügel, zwei blaue Augen, eine gebrochene Rippe, die rechte Schulter ausgekugelt, eine Oberschenkelfraktur und Verbrennungen am ganzen Körper. Die Klinik, in der ich dann nach meiner Bewusstlosigkeit aufwachte, hatte sich rührend um mich gekümmert. Die Schwestern waren nett und der Arzt sehr besorgt, dass die Transplantationen auch halten würden. Jetzt bin ich in der Rehaklinik, anonym, frei, entstellt und traue mich schon zum Café am Ende der Strasse. Die Blicke der Menschen berühren mich nicht wirklich, denn ich habe meine Freiheit.

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