Das letzte Haus am Ende der Straße

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Das letzte Haus am Ende der Straße

Das letzte Haus am Ende der Straße

Ferdinand Freiherr von der Ferne

Weiß, rechte Seite – einundzwanzig. Da ist es!
Das dunkelblaue Auto hält an, die Tür öffnet sich und nylonbekleidete Beine mit eleganten hohen Lackschuhen bewegen sich heraus. Der Rock wird im stehen zurechtgezogen, das Haar geordnet – während der Gang in Richtung Eingangstreppe, sich wiegend niemandem zeigt. Ein rot lackierter Finger betätigt die Klingel. Und schon steigen die schönen Beine empor; eine zarte Hand gleitet dabei den Handlauf der stilvollen Eichenholztreppe entlang. Die Bilder an den Wänden des Korridors – gesichtslose Akte in Öl – erwecken aus ihren aufwendig geschnitzten Rahmen, einen Eindruck gespannter Erwartung. Gerade in einer solchen steckt auch der Mann, der am Ende des Ganges, vor einer offenen Tür wartend, sich zeigt.
Oh, wie ihm die Binde steht – und ich möchte wirklich hoffen, bald noch anderes!
Die Begrüßung, eher Form als mit herzbetontem Aufwand, endet mit aufmerksamen Gesten, die aufgeregte Gemütsbewegungen verdecken. Und somit betreten beide den stilvollen Empfangsraum, wobei sie ihn leicht am Arm führt. Die gelöste Atmosphäre breitet sich aus – wie der blaue Dunst der Zigaretten, die sie nebeneinander sitzend, auf der großen, weichen Ledercouch, verbrennen. Dazu bei trägt das spärliche Licht, das von verschiedenen Lampenschirmen mit großen Blumenmustern, gedämpft ausgeht. Die bedachtsame Stimmung erfährt Änderung, als er ihr Nichtalltägliches ins linke Ohr raunt. Das schafft ihm Hitze, die er mit ihr zu teilen gedenkt, indem seine rechte Hand ihr linkes Knie berührt, das umspannt ist von dieser zarten, hauchdünnen Kunstfaser – anthrazitfarben.
„Ja doch, Sie werden nicht ein einziges Wort reden, wie vereinbart – und doch, es wird mein Empfinden steigern: die alleinigen Laute der Lust! Insbesondere – ich will das sagen dürfen – sind es die Schreie, die, anfänglich verhalten, später dann schrill und lauter, sich in Selbstvergessenheit ausnehmen dürfen. Werden Sie mir beistehen? Sie wissen, was mir mangelt, mir abgeht; ich habe es gesagt – in meinem einzigen Brief – und wünsche so sehr wieder das rechte, was sonst auch üblich, daß nämlich das, was in mir – von mir abgeht – , sich zeigen kann in entsprechender Weise und dort hingelangt, wo es als entsprechend gilt.“
Den Eindruck, den seine Worte auf sie machen und der besonders in ihrem Gesicht sich ausdrückt, kann er durch seine Augenbinde nicht erkennen – natürlich – doch der Druck ihrer Hand auf die seine, die noch immer auf ihrem Knie zart herumstreicht, ist in diesem Moment in einer Weise kraftvoll – wie für ihn sprechend, und er versteht: es muß mehr sein als eine bloße Neugier, mehr als die Art von Mitleid, die eher dem eigenen Selbst dient und mehr als die Aussicht einer Triebbefriedigung auf bisher ungekannte Art. Was sie hierher brachte, war wohl mehr noch. Ein langgezogenes, beinah geräuschvolles Einatmen, das dicht an sein Ohr dringt, bestärkt seinen Gedanken; und der schwere Moschusgeruch ihres Parfums befremdet und betört ihn gleichzeitig. Einen solch herben Duft aufzutragen traute er nur Männern zu.
Ich muß ihm Zeit geben – Zeit, die er sich nehmen soll. Er muß weg vom ewigen Schaffen – Leisten – Funktionieren. Er ist wie er ist, und bleibt – ein Mann. Automatenhaftes Triebgesteuertsein – naturbedingt. Und doch wird dieser, sonst so gesunde, animalische Instinkt gekränkt und krank gemacht – angetrieben und gespeist allein von einem Motor: die die wahre Lust tötenden Medienbilder, auf denen das bloße Fleisch lockt, vollkommen – roh!
Dieser Gedanke ist ihr bloß ein Gedanke, blitzschnell gedacht und weit eher gefühlt – sie drückt dabei ihre Lippen auf sein Kinn, denn die Lippen ihres Mundes sollen nicht auf die seinen. Dafür neckt ihre Zungenspitze sein Ohr. Erst die Hinterseite und dann, während ihre Hände sich um seinen Hals klammern, gleitet sie feucht über die Innenwölbungen, bis hinein in den Gehörgang; doch nur für kurz – schon zieht sich die Zunge zweifingerbreit vom Ohr zurück, und ein warmer Atem schauert über seine feuchte Hörmuschel.
Es ist tatsächlich sein empfindsamster Muskel, der sich zu regen beginnt, so langsam zwar, daß er es noch nicht richtig spürt, doch eine Beständigkeit scheint sich in dieser Hinsicht durchzusetzen – wohl wegen der Bestrebungen ihrer rechten Hand, die gerade auf diesen Muskel streichelnd zusteuert, dort halt macht, und nach ihm greift.
Ihn quälende Gedanken rücken mehr und mehr ab: warum er, der stets treu war und niemals fremd ging, schon auf den ersten dieser anonymen Briefe geantwortet hat, die enthaltenden Bedingungen so sorgsam befolgte, mit der Angst, doch nicht dorthin zu gelangen wonach er strebt. – Und gerade das wurde ihm in diesen vorausgesagt – Was wird das für eine Frau sein?
Während er noch sitzt, immer weniger denkt, sich zurücklehnt – den Kopf in den Nacken – und die Augen noch zusätzlich geschlossen drückt, kniet sie schon vor ihm. Und da sind auch schon zwei Hände, die sein Hemd vorn öffnen, es ganz von ihm nehmen und beiseite werfen. Und indem diese Hände fest an seine Hüften greifen, drücken sich Lippen auf seinen Bauch.
Kostspielige Bildgedanken tanzen ihm jetzt hinter die Binde, direkt vor seine geschlossenen Augen. Was sie ihm kosten? Ein kleines Stück Muskelhärte – dort unten – und zwei, höchstens drei Zentimeter an Außmaßzuwachs. Warum auch nicht, er möchte sich schon verschwenden – doch was wird, wenn er das Niveau nicht halten kann – bis zum Dorthin – wie er es allzu gut kennt – an sich daheim, bei sich und Moni, seiner Frau, die er liebt. Doch das ist ganz etwas anderes. Was diese Frau hier... –
Die zarten Hände machen sich an seinen Gürtel zu schaffen, am Reißverschluß, und deuten unmißverständlich, den Po leicht zu heben, um herabzustreifen, was zu seinen Füßen liegen bleibt. Ihr Kopf legt sich mit der linken Gesichtshälfte gezielt auf seinen Schoß. Ein Ohr drückt sachte gegen das kritische Zentrum, wie, als wollte es beim Wachsen zuhören. Die Bilder tanzen beinah zu wild, sie könnten noch teuer zu stehen kommen – und sämtliche anderen Muskeln spannen sich. Doch nein, nicht so, nicht das, was ihm die Tänze suggerieren – nicht ihr Kopf allein, und – nein, ihr ganzer Körper erhebt sich, stellt sich, dreht sich, setzt sich – auf seinen Schoß. Entspannung vor erneuter Spannung – hoffentlich!
Jetzt leisten seine Hände, zeigen Entdeckerqualitäten: fühlen, tasten, fingern – Leib, Frau, Kleid.
„Darf ich?“
Das Reißverschlußgeräusch drängt sich bis an die innigsten Körperteile vor. Ein Duft von bloßem Frauenrücken. Der noch dichter wird als er sich vorbeugt, und halt macht, da, wo sein Mund den Verschluß von einem Wäschestück erspürt, das er überaus schätzt und dessen schmale Träger er jetzt rechts und links herunterstreift. Seine Absicht hierbei fortzufahren, verhindert sie, indem sie sich aufrecht stellt und ihr Kleid durch den geöffneten Reißverschluß mit einer Leichtigkeit herabfallen läßt; ein Umstand, der ihm akustisch nicht entgeht.
„Lassen Sie es meine Hände wissen, was Ihnen noch anhaftet!“, haucht es aus seinem Mund.
Wieder so elegant – dieser Ton – ich werde ihn führen, weiter – langsam – er wird hochkommen – ankommen – kommen!
Sie kehrt sich zu ihm, beugt sich mit ihrer Stirn zu seiner herab, die Hände ruhen auf den breiten, entblößten Schultern. In dieser Stellung überzeugen sich seine Hände: von der Üppigkeit ihrer Brüste, die noch in aufwendiger, zarter Spitze verhüllt sind – von dem wohligen Gefühl, das die Nylonfasern bewirken, die sich als Halterlose herausstellen – vom Fehlen eines Höschens, sowie jeglicher Schambehaarung – und von ihrer übrigen, warmen Nacktheit.
Das, was ihm diese Überzeugungen bescheren, sind feinste Schweißperlen, die seinen – bis auf seine Boxershorts – entblößten Körper bedecken, einen weiteren Zugewinn, den er deutlich zwischen den Lenden verspürt, und ein Gedankenfragment: Wenn Moni doch auch – nur einmal – so...
Und schon bemerkt er nach einer Weile, daß er im Bett und ohne Shorts auf dem Rücken liegt und der Knoten seiner Augenbinde ihm am Hinterkopf einen leichten Druckschmerz verursacht.
Sie bringt es – und wie! – allmählich, aber fertig, sie bekommt ihn hoch, tatsächlich, aber langsam; er kommt an, zum Dorthin, dort, wo er so gerne hin will, und kann, weil er jetzt hinein kann, damit, womit er sonst so seine liebe Last hat – und kommt so mit ihr zusammen dem Kommen entgegen, und was – während sie rittlings auf ihm sitzend, unter heftigen, rhythmischen Bewegungen – schließlich auch so kommt.
Seine Augen sollen ihm hinter der Binde aufgehen! – Er hat es tatsächlich geschafft! – So denkt sie, wobei ihre stoßweisen Stöhnlaute, die einiges dazu beigetragen haben, allmählich abklingen.
Seine außer Atem geratene Stimme murmelt: „Ich hab es tatsächlich geschafft!“
Ein Druck, ein Kopfdruck, diese unnachgiebige Art von Selbsterwartung beginnt sich im Innern behaglich zu lösen. Es ist dies, das, was ihm Mut gemacht hatte hierher zu kommen – die Aussicht auf die Möglichkeit eines solchen Erfolges.
Es ist!
Da, als er solches empfindet, spürt er ihre Zunge, wie sie über seine Lippen leckt – was ist das – das kann es nicht geben – das ist vielleicht eine...
Und damit öffnet sie seinen Mund zu einem Kuß und beginnt ihn zu küssen – so feucht und innig, auf eine Weise – die ihm so verdammt vertraut ist.

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