Die angegebene Adresse liegt etwa eine halbe Stunde Fahrtzeit von uns entfernt, trotzdem schauen Sarah und ich schon ab eins, gefühlt alle zehn Minuten auf die Uhr, so aufgeregt sind wir. Während der Fahrt legt sich die Nervosität zwar etwas, aber das Loch im Bauch bleibt. Am Ziel angekommen, sehen wir nur eine etwa zweieinhalb Meter hohen Mauer, die sich über die ganze Straßenlänge hinzieht. Nur die Hausnummer neben dem geöffneten, alten schmiedeeisernen Tor verrät uns, dass wir richtig sind. Hannes und Lisa hatten recht, kein Hinweisschild verrät, was sich hier verbergen soll. Der große Hof hinter der Mauer ist komplett als Parkplatz angelegt, jedoch lockern mit niedrigen Büschen und Hecken bepflanzte Grünstreifen das Ganze auf. Nur zwei Autos stehen auf der weiten Fläche, die rechts und links von der gleichen Mauer begrenzt ist, wie wir sie schon von der Straßenseite aus gesehen haben. Die gesamte Rückseite des Grundstücks wird hingegen von einem prächtigen, zweigeschossigen Industriebau aus der Gründerzeit eingenommen. Die Fassade aus Backstein ist reich gegliedert, und auf der Attika des Flachdaches sind kleine Zinnen gemauert, was dem Gebäude etwas burgähnliches verleiht. Beides ist nicht untypisch für die Zeit. ‚Seifenfabrik Joh. Müller & Sohn‘ prangt in großer alter Schrift auf der Fassade.
Alles ist sauber und wunderbar restauriert. Die hohen, originalen Metallsprossenfenster, die oben mit Rundbögen abgeschlossen sind, lassen auf eine entsprechende Raumhöhe im Erdgeschoss schließen, währen die alten Fenster im ersten Stock, auf eine normale Raumhöhe hindeuten. Na klar, unten war wahrscheinlich die Produktion mit den großen Maschinen, während im Stockwerk darüber die Verwaltung untergebracht war. Was mir auffällt ist, dass die große, zweiflügelige Eingangstür aus dunklem Holz, oder besser gesagt das Eingangsportal, nicht in der Gebäudemitte angeordnet, sondern an die Seite gerückt ist. Rechts zähle ich drei, links jedoch zehn Fenster. Schweigend gehen Sarah und ich nebeneinanderher zur Tür, die mit Sicherheit noch aus der Bauzeit des Gebäudes stammt. In die historische Messingklingel ist nur das Wort ‚Contor‘ eingraviert. Ich muss über dieses altertümliche Wort lächeln. Plötzlich wird die Leere in meinem Bauch wieder präsent. Ich traue mich kaum meine Frau anzusehen. Mit einer entschiedenen Bewegung ziehe ich an der Klingel, woraufhin ich irgendwo von innen her ein leises Läuten höre.
Kurze Zeit später öffnet eine groß gewachsene, attraktive Frau, die ich so auf knapp fünfzig schätze, die Tür. „Hallo“, lächelt sie uns an, „ich bin Carla, … und ihr müsst Sarah und Helmut sein?“ „Genau die sind wir.“ bestätige ich, während sie die Tür ganz öffnet und uns die Hand reicht. Carla ist dabei mit ihrer schwarzen Stoffhose und der passenden dunkelroten Bluse ausgesprochen gut gekleidet. Die Eingangshalle, die gleichzeitig das Treppenhaus ist, wir nicht nur durch das große Fenster links neben der Tür gut beleuchtet, nein auch der an der Decke hängende Kronleuchter ist eingeschaltet. Hier scheint alles noch original zu sein. Der Fußboden besteht aus Steinplatten, die Wände sind bis auf Brusthöhe mit wunderbaren, ornamentreichen Fliesen versehen. Ansonsten sind Wände und Decke einfach weiß gestrichen. Die um neunzig Grad gewundene, große Treppe, mit dem prächtigen Geländer, ist ebenso aus dunklem Holz, wie die beiden Türen. Die normalgroße Tür links, unterhalb der Treppe, trägt ein Emailschild mit der Aufschrift ‚Küche‘, die hohe, einflüglige Tür zu unserer Rechten ist hingegen unbeschriftet. Ein Lächeln steht mir im Gesicht, denn sowohl Steinboden als auch Treppe, sind mit dem typischen, roten Kokosläufer ausgelegt. Nichts anderes hätte ich auch erwartet.
Neben der großen Tür zu unserer Rechten, steht ein wuchtiger, alter Schreibtisch. Der Rest der Wand wird von einem mächtigen Einbauschrank belegt. Beides aus dunklem Holz, und beides natürlich so alt, wie auch das Gebäude. Man könnte sich fast in die Gründerzeit zurückversetzt fühlen, wenn nicht Flachbildschirm, Tastatur und Maus auf dem Schreibtisch diesen Eindruck nachhaltig stören würden. Als Sarah und ich uns kurz ansehen, merke ich, dass sie genauso fasziniert ist wie ich. Auch Carla ist mit Sicherheit bewusst, wie beeindruckend dieses Ambiente auf neue Besucher wirkt, so lässt sie uns Zeit, alles in uns aufzunehmen. Wir bemerken kaum, wie sie die Tür schließt. Erst ihre Aufforderung, „kommt bitte mit nach oben“, reißt uns aus unseren Gedanken. Automatisch folgen wir unserer Gastgeberin. Im ersten Stock besteht der Fußboden aus alten, natürlich ebenfalls dunklen Holzdielen, die in der Mitte des Ganges mit einem roten Kokosläufer bedeckt sind. Die Wände sind auch hier weiß gestrichen, einen Fliesenspiegel gibt es aber nicht. Nur zwei großformatige Fotografien aus der Zeit, als das hier noch eine Fabrik war, zieren die Wand.
Das einzige Möbelstück, ein restauriertes, kleines Sofa aus der Gründerzeit, wirkt doch etwas verloren. Türen sehe ich keine, nur einen großen Durchgang nach hinten. Genau durch diesen folgen wir Carla in den langen Flur, der sich auf der Rückseite über die gesamte Gebäudebreite hinzieht. Sämtliche Räume gehen also nach vorne, zur Straße hin. Die nach hinten gehenden, alten Fenster sind mit Mattglas versehen, sodass sie ausreichend Licht spenden, aber man weder hinein- noch hinaussehen kann. Obwohl hier oben vermutlich alles neugestaltet wurde, hat man doch darauf geachtet, stilechte Türen und Lampen zu verwenden. Es passt einfach. Carla wendet sich nach links und öffnet die einzige Tür auf dieser Seite, die in das Büro führt, wie ein Messingschild verrät. Der Raum muss also über der Küche im Erdgeschoss liegen. Die Tür teilt das Zimmer in zwei Bereiche. Gleich rechts neben der Tür steht ein Sideboard mit der obligatorischen Kaffeemaschine und einem Wasserkocher, daneben steht ein verschlossener Schrank.
Stirnseitig befindet sich ein großes Regal, das etwa zur Hälfte mit Ordnern belegt ist. Davor sind zwei gegeneinandergestellte Schreibtische angeordnet. Die Möbel sind, im Gegensatz zu dem, was wir bisher so gesehen haben, modern und aus hellem Holz. Das gleiche gilt für das Sideboard links neben der Tür, und dem davorstehenden großen, ovalen Tisch, der von acht kleinen, gemütlich aussehenden Sesseln umgeben ist. Die typischen Büropflanzen sehen wir nicht, nur einige Fotografien aus der Bauzeit des Gebäudes schmücken die Wände. Die beiden Männer und die Frau, die am Tisch saßen, erheben sich bei unserem Eintreten. „Das ist mein Mann, Wilhelm.“ stellt Carla uns den breitschultrigen Mann mit grauem Bürstenhaarschnitt vor, der uns mit einem sympathischen Lächeln die Hand reicht. „Und das sind Sonja und Frank, die Vorsitzenden unseres Clubs.“ ergänzt sie. Die Beiden sind etwa in unserem Alter, und haben etwa unsere Körpergröße. Er ist schlank, während sie eine etwas rundlichere, aber wohlproportionierte Figur hat. Auch Frank und Sonja sind eher gut gekleidet, sodass ich froh bin, dass Sarah und ich nicht im Schlabberlook erschienen sind. Unsere vier Gastgeber machen auf jeden Fall schon mal einen sehr sympathischen Eindruck.
Nach dem allgemeinen Händeschütteln nehmen wir rund um den Tisch Platz. Von den angebotenen Getränken entscheiden wir uns nur für ein Glas Wasser, aber auch mehr, um uns daran festhalten zu können, als dass wir wirklich Durst haben. Von ganz allein ergibt sich eine angeregte Unterhaltung, die unsere Nervosität mehr und mehr verschwinden lässt. Zuerst berichtet Carla von den Erlebnissen, die sie und ihren Mann bewogen haben, den Club zu gründen, und wie das alles hier entstanden ist. Anschließend erzählen Sonja und Frank etwas über den Club, dass es eben nicht vordringlich um Partnertausch und schon gar nicht um schnelle Triebbefriedigung und Gruppensex geht, sondern ein lustvolles Miteinander in einem anregenden Ambiente gelebt wird. Auch erzählen sie, dass ein zuvorkommendes, höfliches Verhalten ausschlaggebend ist, und man eben nicht nur über Sex redet. Auch warum ihnen die Verschwiegenheit so wichtig ist, erläutern uns die Vier schließlich. Es ist nichts, was wir nicht in groben Zügen schon von Hannes und Lisa gehört haben, wenn wir nun auch noch einige Informationen zusätzlich bekommen. Das alles ist genau das, was wir suchen, und so stimmen meine Liebste und ich immer wieder dem Gesagten zu.
Auch der etwas gehobene Jahresbeitrag und die Unkostenbeteiligung für die Treffen schrecken uns nicht, wenn wir damit endlich unsere Neigungen ausleben können. Und nachdem was wir so hören, scheint es ja genau das zu sein. „So, jetzt müsst ihr aber auch noch ein bisschen was über euch erzählen.“ fordert uns Sonja schließlich auf. So beginnen wir erst einmal damit, wer wir eigentlich sind, was wir so machen, und wo unsere Interessen liegen. Nach einem kurzen Zögern berichten wir schließlich ohne größere Hemmungen von unseren sexuellen Erfahrungen und Vorlieben. Als wir dabei unsere zweifelhaften Swingerclub-Erlebnisse zum Besten geben, ernten wir ein zustimmendes Nicken. Sarah und ich bemerken gar nicht, wie die Zeit vergeht, denn als Carla schließlich in die Runde schau, und nur meint, „hat jemand noch eine Frage“, sind schon weit über zwei Stunden vergangen. Als alle verneinen, bittet Wilhelm uns, noch kurz im Flur zu warten. So stehen meine Liebste und ich schließlich voller gespannter Erwartung im Treppenhaus und betrachten gedankenverloren die Fotografien.
„Passiert das gerade alles wirklich, oder ist das nur ein Traum?“ dringt ihre leise Stimme an mein Ohr. „Ich weiß es nicht.“ antworte ich zögernd, denn auch ich fühle mich wie in einem Film, realisiere irgendwie nicht so recht, was hier gerade abgeht. Wir sehen uns an, wissen, dass wir beide das Gleiche denken und fühlen. Irgendwie hat es uns aber komplett die Sprache verschlagen. „Kommt doch bitte wieder zu uns herein.“ holt uns Carlas Stimme schon nach kurzer Zeit wieder aus unseren Gedanken. Als wir in das Büro zurückkommen, haben sich die anderen Drei bereits erhoben. „Also wenn ihr mögt, … dann seid ihr herzlich in unserem Club willkommen. … Ihr passt wirklich gut zu uns und bereichert unsere Treffen mit Sicherheit.“ erklärt Wilhelm feierlich. „Natürlich, herzlich gerne.“ platzt es aus meiner Frau heraus, deren Anspannung sich mit einem Schlag gelöste hat. Ich kann nur noch mit den Schultern zucken: „Na, wenn sie das meint.“ Ein herzliches Lachen ist allseitige Reaktion. Mit einem „herzlich Willkommen“ geht Carla in die allgemeine Umarmungsrunde über. Schließlich bemerkt Wilhelm aber, dass doch noch einige kurze Formalitäten erforderlich sind. Er dreht sich um, nimmt einen Mitgliedsantrag vom Schreibtisch, und wir setzen uns erst einmal wieder.
Gemeinsam gehen wir den Antrag Punkt für Punkt durch, bevor wir schließlich unterschreiben. „So“, meint Frank, „und wenn ihr Anfang der Woche die Jahresgebühr und den Unkostenbeitrag für das erste Treffen überweist, dann könnt ihr Samstag nächster Woche gerne zu unserem Treffen kommen.“ Sarah und ich schauen uns an. „Das ist ja phantastisch.“ beeile ich mich zu sagen, „Ich werde heute Abend noch den Rechner anwerfen und das Geld überweisen.“ „Sehr gut.“ grinst Wilhelm, „Dann trage ich euch gleich in die Liste ein.“ „So, und jetzt gibt es erst einmal was Vernünftiges zu Trinken.“ ergänzt seine Frau mit dem gleichen Grinsen im Gesicht, während sie bereits aufsteht und zum Sideboard geht. Aus diesem zaubert sie eine gut gekühlte Flasche Sekt und sechs Gläser hervor. Nach dem Anstoßen plaudern wir noch kurz über dies und das, als Sonja auf die Uhr sieht. „Ach herrjeh, schon so spät.“ bemerkt sie zu ihrem Mann gewandt, „Wir müssen los, sonst kommen wir zu spät zu Laras Geburtstagsfeier.“ „Stimmt.“ bestätigt der angesprochene nach einem Blick auf seine Armbanduhr. Beide leeren die Reste in ihren Gläsern in einem Zug.
„Lasst ihr euch aber nicht durch uns vertreiben.“ meint Frank zu meiner Frau und mir gewandt, „Carla und Wilhelm zeigen euch noch alles hier, schließlich sollt ihr für Samstag vorbereitet sein.“ Die Beiden nicken bestätigend. Als Frank und Sonja gegangen sind, schenkt unsere Gastgeberin noch einmal nach, und wir unterhalten uns noch kurz über das, was wir bei der Suche nach Lustgewinn so erlebt haben, besonders den Bericht über ‚unser‘ Wellnesshotel, nehmen beide mit großem Interesse zur Kenntnis. „So, jetzt wollen wir aber mal die letzten Geheimnisse lüften.“ mahnt Carla schließlich zum Aufbruch, wobei sie ein hintergründiges Lächeln zur Schau trägt.
Der Club der verborgenen Lust - Teil 2
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