Als der Wecker klingelte, war Dorle schon von ihrem Hahn geweckt worden. Nach dem Spruch: „Kräht der Hahn auf dem Mist, bleibt das Wetter wie es ist!“
Dorle die eigentlich Dorothea hieß, lebte mit ihrem alten und gebrechlichen Vater auf dem kleinen Bauernhof im Norden Deutschlands, in der Nähe der dänischen Grenze.
Als ihre Mutter vor sechs Jahren verstarb, wurden ihre sämtlichen Zukunftspläne durcheinandergebracht. Nach dem Abitur wollte sie eigentlich Biologie studieren, doch ein leichter Schlaganfall ihres Vaters, der seinen rechten Arm fast unbrauchbar machte, zwang sie den kleinen Hof sofort zu übernehmen.
Den Hof, den im Dorf alle liebevoll „Das Storchennest“ nannten, weil ihr Vater schon vor über zwanzig Jahren drei Masten aufgestellt hatte, auf dessen Spitze er Wagenräder montierte, um für Störche Nistplätze anzubieten.
Die Masten wurden von den Jungstörchen sofort angenommen. Mittlerweile waren auf der langen Scheune noch zwei Nester hinzugekommen, dementsprechend sah das Dach auch mittlerweile weiß gesprenkelt aus. Weil die Exkremente der großen Vögel, bei starkem Wind und der wehte hier im Norden oft, über die ganze Dachfläche verteilt wurden.
Weil Dorle den Hof nicht alleine Bewirtschaften konnte, hatte sie einen Großteil der Ländereien verpachtet. Nur zwei Kühe und an die 32 Legehennen hatte sie behalten. Mit dem Verkauf der Eier und dem Gemüse und Obst, aus ihrem Garten, konnte sie einigermaßen ihren Lebensunterhalt und den ihres Vaters bestreiten, indem sie einen kleinen Dorfladen einrichtete.
Seit dem letzten Jahr, betrieb sie auch noch eine geräumige Ferienwohnung, die gut eingeschlagen hatte und fast das ganze Jahr über vermietet war.
Heute, am Samstag, war Bettenwechsel und sie musste sich sputen, damit Familie Kümmerer mit ihren zwei niedlichen Kindern, Amelie und Lucas noch Frühstück bekamen, denn der Heimweg bis nach Suhl war weit und mit zwei kleinen Kindern nicht an einem Tag zu schaffen.
Außerdem hatte sich für den Nachmittag ein neuer Gast angekündigt, der die Ferienwohnung für zwei Wochen gemietet hatte. Normalerweise vermietete Dorle die große Wohnung lieber an eine Familie, da sie durch das lebhafte Treiben etwas von ihrem schweren Los abgelenkt wurde.
Aber der junge Mann war ihr am Telefon so sympathisch rübergekommen, dass sie zugestimmt hatte. Hinzu kam, dass sie für die Zeit keine weitere Buchungsanfrage hatte und sich die Saison langsam dem Ende zu neigte.
Eric Lemann (Lemann ohne „h“ wie er betonte), war freier Schriftsteller und suchte einen ruhigen Platz zum Schreiben!
Zuerst mussten Metha und Susi gemolken werden, die im Stall schon laut blökten und dann ab zum Hühnerstall, um die Eier einzusammeln. Vorher hatte duschen keinen Sinn, da der Gestank des Hühnerkots, bis in jede Pore drang.
Als sie in die Küche kam, saß ihr Vater mit leeren Augen schon am Tisch und schaute sie an. Er hatte bei seinem Schlaganfall auch Teile seines Sprachvermögens verloren, was sich aber unter Mithilfe einer Logopädin langsam besserte.
„Paps, du kannst doch schon Kaffee und 10 Eier kochen. Die Eier aber nur 6 Minuten, die Kümmerers mögen keine harten Eier.“
Ihr Vater erhob sich bedächtig und ging zum Kühlschrank.
Dorle wandte sich lächelnd ab, sie wusste, dass ihr Vater den Kaffee schon wieder vergessen hatte.
Sie hatte ihren Overall schon übergezogen und als sie in den großen Stall kam, der früher, als ihre Mutter noch da war und der Vater gesund, für 45 Kühe Platz hatte. Metha und Susi verloren sich in dem Stall, doch zu mehr Kühen hatte Dorle einfach keine Zeit. Sie verarbeite die Milch hauptsächlich zu Käse und verkaufte den ebenfalls in ihrem Dorfladen.
Während Metha schon unruhig ihr das Hinterteil mit dem riesigen Euter entgegen streckte, schaute sie Susi nur gelangweilt an.
Eine dreiviertel Stunde später, hatte sie die Kühe gemolken, die Eier eingesammelt und den Korb im Vorratsraum abgestellt. Sortieren nach Größe würde sie später machen. Als sie in die Küche kam, kochte das Wasser mit den Eiern immer noch auf dem Herd und ihr Vater saß am Tisch und stierte vor sich hin. Zum Glück hatte er nur vier Eier ins Wasser gelegt, so war der Schaden nicht so groß.
Nachdem sie den Herd ausgeschaltet hatte, sagte sie zu ihrem Vater: „Ich gehe jetzt duschen, magst du inzwischen den Tisch decken?“
Als Dorle zurückkam, war die ganze Familie Kümmerer dabei den großen, ehemaligen Gesindetisch zu decken.
Amelie und Lucas machten ganz traurige Gesichter, auf Dorles Frage was denn los sei, fing Amelie an zu schluchzen und bettelte unter Tränen: „Wir wollen noch hierbleiben. Es ist hier so schön!“
Dorle kniete sich vor ihnen hin und meinte: „Das geht leider nicht, denn heute Nachmittag kommt ein Junger Mann, der die Ferienwohnung für zwei Wochen gemietet hat, aber vielleicht könnt ihr eure Mama und Papa bitten, nächstes Jahr in den Ferien wieder zu kommen, dann würde ich mich sehr freuen!“
„Oh ja Papa, dürfen wir?“, riefen Amelie und Lucas wie aus einem Mund und schauten ihren Papa und ihre Mutter abwechselnd bittend an.
Die Beiden lachten: „Gerne kommen wir wieder, uns hat es hier auch sehr gut gefallen, denn wir hatten durch die vielen Tiere, auch mal Zeit für uns.“ Papa Kümmerer zog seine Frau in seine Arme, die ihn glücklich anlächelte und nickte.
Wenig später stand Dorle immer noch auf der Stufe zum Haus und schaute dem Wagen wehmütig hinterher. Jetzt war sie wieder allein mit ihrem Vater.
Hoffentlich brachte Eric Lemann ohne ´h´ etwas Abwechslung in ihr hartes Leben?
Als um kurz nach 12 Uhr der lindgrüne Sportwagen auf den Hof fuhr und ihm ein schlanker Mann entstieg, war Dorle gerade dabei den Kuhstall auszumisten. Sie hatte das Knirschen der Reifen auf dem Kies gehört, sich dabei aber nichts gedacht, weil der Geräuschpegel durch die Kühe immer sehr hoch war.
Erst als im großen Scheunentor eine Gestalt erschien, unterbrach sie ihre Arbeit und schaute erschrocken auf.
Im Gegenlicht des Himmels konnte sie das Gesicht nicht erkennen, aber da sie niemanden anderen als Herrn Lemann erwartete, konnte das nur ihr neuer Feriengast sein.
Jetzt war es ihr peinlich in ihrem Aufzug ihm gegenüberzutreten, aber es half ja nichts, er wusste ja, dass er seinen Urlaub auf einem Bauernhof verbringen wollte.
Sie trat der dunklen Gestalt entgegen und bevor sie ihm die Hand reichte, wischte sie sie impulsiv am Overall ab: „Sie müssen Herr Lemann sein! Mein Aufzug tut mir leid, ich hatte sie erst später erwartet, aber die Tiere dulden keinen Aufschub!“
Er gab ihr die Hand und meinte: „Sagen sie bitte Eric zu mir und wenn es ihnen nichts ausmacht, bitte auch per ‚du‘!“
„Dorle!“, stellte Dorle sich vor „gerne per du! Dann komm man mit, ich zeige dir deine Ferienwohnung.
Da sie noch ihre Gummistiefel anhatte, ging sie über die Terrasse. „Die Tür ist offen der Schlüssel steckt.“
Erst jetzt drehte sie sich zu ihm um und war überrascht was für ein attraktiver Mann ihr Gast war. Eric war groß und breitschultrig, hatte braunes, volles Haar und trug einen gepflegten Vollbart.
Irgendwie machte sie sein Anblick nervös, deshalb sagte sie etwas gehetzt: „Ich muss erst den Stall und die beiden Kühe fertig machen, macht es dir was aus wenn du deine Sachen reinbringst und wir uns später unterhalten? Du kannst dich frei bewegen, nur mein Vater sitzt in der Küche, er ist durch einen Schlaganfall leicht behindert, ist aber ganz freundlich!“
„Nein, alles gut! Ich räume dann in Ruhe meine Sachen ein und wir reden später.“, sagte Eric und legte ihr vertrauensvoll eine Hand auf den Oberarm.
Dorle konnte nur nicken, die Wärme seiner Hand spürte sie noch, als sie schon am Kuhstall ankam, oder war es nur Einbildung? Die letzte Schubkarre mit dampfenden Mist, stand immer noch da. Schnell schob sie sie zum Misthaufen am Ende der Scheune, streute bei Susi noch etwas Stroh nach, Metha war schon fertig. Dann wollte sie ins Haupthaus und unter die Dusche, sie musste den ersten Eindruck den Eric von ihr bekommen hatte, revidieren!
Doch so weit kam sie nicht, denn kaum hatte sie die Forke abgestellt, stand er hinter ihr: „Machst du das alles alleine?“, fragte er und schaute sie schon fast ehrfurchtsvoll an. „Hast du niemanden der dir hilft? Keinen Mann oder Knecht? Oder eine Magd?“
Dorle war von seiner Anwesenheit so überrascht, dass ihr die Antwort erst verzögert einfiel: „Nein, ich kann mir keine Hilfe leisten, außerdem macht mir die Arbeit Spaß und von irgendwas muss ich ja leben. Ich kann meinen Vater nicht allein lassen, der braucht mich.“
Eric ging an ihr vorbei und Dorle bemerkte, dass er sich eine löchrige Jeans angezogen hatte und ein einfaches, graues T-Shirt.
Die Jeans war wohl eher ein teures Designerstück als eine Arbeitshose.
Er war an ihr vorbei gegangen, näherte sich Metha und hielt ihr die Hand hin. Vielleicht dachte er, wie man es bei Hunden machen würde, dass sie erst mal seinen Geruch wahrnehmen müsste. Doch Kühe sind keine Hunde und Dorle musste innerlich lachen, weil sie genau wusste, was jetzt kommen würde.
Und schon passierte es, die lange Zunge von Metha erhaschte seine Hand und schleckte sie ab.
Erschrocken zog Eric seine Hand zurück und betrachtete seine nasse Hand.
„Metha mag dich!“, sagte Dorle und lachte dabei, reichte ihm aber ein Tuch, das sie an ihrem Gürtel immer dabeihatte.
Jetzt lachte auch Eric und nahm das Tuch an sich und trocknete seine Hand: „Ich bin einer Kuh noch nie so nah gekommen!“, gestand er.
„Du machst zum ersten Mal Urlaub auf einem Bauernhof?“
„Ich war noch nie auf einem Bauernhof! Nur auf einem Weingut an der Mosel habe ich mal bei der Weinlese mitgeholfen. Große Tiere wie Kühe oder Pferde sind mir immer etwas respekteinflößend. Ich will nicht sagen, dass ich Angst vor ihnen habe, aber sie sind mir einfach zu groß und unberechenbar.“
„Komm mal mit!“ Dorle nahm ihn bei der Hand und zog ihn mit zu Susi. „Das ist Susi, Metha kennst du ja schon. Susi ist etwas ängstlicher als Metha, aber sie ist sehr zutraulich wenn sie jemanden kennen gelernt hat. Sie mag es gerne am Hals gekrault zu werden.
Dorle zeigte Eric, was er machen musste, indem sie Susi dort kraulte, wo der Hals in den Körper über ging. Und tatsächlich, Susi legte vor lauter Wohlbehagen sogar ihren mächtigen Kopf etwas schräg. „Komm, mach du auch mal!“
Sie legte Erics Hand, die sie immer noch festhielt, an den Hals der Kuh und Eric setzte Dorles Kraulen fort.
Der neugierige Feriengast
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Ich kann es doch nicht lassen, ab und zu eine neue Geschichte zu schreiben!
Man möge mit mir Nachsicht üben.
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