Die halbe Welt war hier, alle wollten ausgerechnet an diesen Tagen diesen Ort besuchen und er, in seiner Ignoranz, hatte nicht daran gedacht, sich vorher zu informieren und sich rechtzeitig ein Zimmer zu reservieren. Aber selbst wenn er es gewusst hätte, hätte er es doch nicht gemacht, er hätte die Tatsache, dass es mit der Übernachtung Probleme geben könnte, bestimmt erfolgreich verdrängt. Er hasste Festlegungen und langfristige Planungen, ob im Leben oder auf Reisen. Er fuhr lieber auf gut Glück los. Für eine Person findet sich immer etwas, das war seine Erfahrung. Spontanität und Unabhängigkeit waren ihm wichtiger als vorausschauende Planung und Absicherung aller Eventualitäten. So etwas lag ihm ganz und gar nicht, ja, es war ihm regelrecht ein Gräuel soweit vorauszudenken. Bis jetzt hatte er sich mit dieser Einstellung ganz gut durchlaviert. Sicher, ab und zu hatte es nicht so geklappt, wie er es gerne gehabt hätte, ab und zu hatte er sein sorgloses Verhalten nachträglich bedauert, aber alles konnte man sowieso im Leben nicht regeln und eine Lösung, einen Plan B, hatte er immer gefunden. So würde es auch diesmal sein, an diesem schönen Maiwochenende, als er sich wieder einmal dumm und blauäugig in den Zug gesetzt hatte und losgefahren war. Er war sich sicher, dass er bei dem reichlichen Angebot an Unterkünften, sicher eine bekommen würde, sogar eine, die seinen durchaus gehobenen Ansprüchen genügen würde. Aber so richtig fahrlässig war es gewesen, sich nicht gleich nach der Ankunft auf dem Bahnhof auf Zimmersuche zu begeben. Spätestens dann hätte er merken müssen, dass es brenzlig werden könnte. Stattdessen begann er mit dem Sightseeing, flanierte mit den Massen durch die Gassen, neugierig, entspannen. Er vertrödelte den Tag bis in den späten Nachmittag hinein. Vertrödeln?. Nein, so negativ durfte er das im Nachhinein nicht sehen. Er hatte den Tag nicht vertrödelt, er hatte ihn gut genutzt. Er hatte viel gesehen, Menschen beobachtet, Museen aufgesucht und die Angebote des Festes vielfach genutzt. Er hatte sich gefreut, hier zu sein, in dieser Stadt, die er mochte und einigermaßen kannte. Er hatte sie auf sich einwirken lassen, hatte aufgenommen, ja geradezu aufgesaugt, was sie ihm bot. Er hatte die Stunden, die im Flug vergangen waren, voll genossen..
Erst spät am Nachmittag war ihm wieder eingefallen, dass er noch kein Zimmer hatte. Erst da hatte er sich auf den Weg gemacht und ein paar Hotels aufgesucht und in ein paar anderen angerufen, aber immer erfolglos. „Wir sind voll belegt; es tut uns leid, aber es ist kein Zimmer mehr frei. Sie Optimist, an solch einem Wochenende, hier ein Zimmer, unmöglich.“ Die Antworten waren alle ähnlich, alle ablehnend, alle deprimierend. Er hatte seine Suche schon längst auf die Ebene ohne Sterne und aus dem Zentrum in die Vororte verlagert, die deutlich weniger attraktiv waren, weg von den gepriesenen, gut bewerteten Hotels, weg von der Schokoladenseite des Tourismus, hin in Richtung Eintönigkeit, Langeweile, hin zur Normalität des Alltags der meisten Bewohner, der auch hier nicht sonderlich berauschend war. Dort, wo er noch etwas zu finden hoffte, war nicht mehr die charmante, die verführerische Stadt, die mit ihren Angeboten die Sinne betören konnte und nicht von ungefähr, jedes Jahr wahre Menschenmassen anlockte. Aber das Betören der Sinne war im Moment gar nicht wichtig. Er wollte weder auf einer Parkbank übernachten, noch gar zurück nach Hause fahren, aber auch nicht kilometerweit bis in eine andere Stadt. Wichtig war jetzt nur ein einfaches Zimmer, egal wo es lag, egal wie die Ausstattung war. Und das Glück hatte ihn wieder einmal nicht verlassen, denn er war dann doch noch fündig geworden, sein Plan B würde also doch noch aufgegangen. Aber er musste nehmen, was sich ihm bot, unbesehen, die Qual der Wahl blieb ihm zwar erspart, die Unzufriedenheit und der Ärger über sich selbst dagegen nicht. Die Frau am Telefon des „Hotels zur Hoffnung“, ein verheißungsvoller Name, sagte, ja, es gäbe noch ein Zimmer. Auf seine Nachfrage sagte sie, es habe sogar ein eigenes Restaurant, für die Hotelgäste, fügte sie hinzu. Er erklärte ihr, er würde es nehmen, sie solle das Zimmer frei halten, er würde aber erst später kommen, nicht zum Essen. Die freundliche Stimme am Ende der Leitung meinte, das sei kein Problem, aber er solle seine Kreditkartennummer bitte angeben, zur Sicherheit, falls er doch nicht käme, dann müsse man leider seine Karte belasten. Aber er wollte ja kommen, war froh, dass er noch etwas gefunden hatte und stimmte sofort zu.
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