Der Zettel

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Der Zettel

Der Zettel

Yupag Chinasky

Er war immer noch nicht ganz überzeugt und sah sie unsicher an. Deswegen fuhr sie fort, „Du bist neu hier? Zum ersten Mal in diesem Hotel? Ich habe dich jedenfalls hier noch nie gesehen. Ein Bordell ist das Hotel nicht, das würde anders funktionieren und es würde hier anders aussehen und auch ein anderes Publikum wäre hier und Gäste wie du, die tatsächlich hier nur schlafen wollen, würde man erst gar nicht aufnehmen. So wenig wie das ein Bordell ist, so wenig bin ich eine Prostituierte. Ich habe dir ja schon gesagt, das ist so etwas wie ein Love-Hotel, ein ganz neues Geschäftsmodell. Love-Hotels gibt es in großer Zahl in Japan. Dort treffen sich Pärchen, die sich kennen, weil in den Wohnungen zu wenig Platz ist, um sich ungestört zu lieben. Hier trifft man sich, weil man auf unkomplizierte und angenehme Weise fremd gehen kann. Das ist für viele Männer ein Bedürfnis und es hilft, dass ihre Ehe besser funktioniert, glaube mir es ist so, ich habe ein paar Semester Psychologie hinter mir. Der Spaß, mit einer anderen Frau als der eigenen zu schlafen, sollte unkompliziert und folgenlos sein. Ich meine jetzt nicht Schwangerschaft oder so etwas, sondern es sollten sich keine weiteren finanziellen Forderungen ergeben und auch keine Liebschaften, die alles verkomplizieren würden. Hier kommt man zusammen, es ist zeitlich begrenzt, eine Stunde oder eine Nacht, nur so lange, wie beide zusammen sein wollen. Hier kann man auch mit einer Partnerin herkommen, es ist aber kein Swingerclub, kein Partnertausch. Aber weil die meisten Männer, die fremd gehen wollen, keinen geeigneten Partner haben, bin ich hier und meine Kolleginnen. Wir sind Therapeuten, wenn du so willst, und arbeiten zum Wohl der Menschheit, auf freiwilliger Basis, aber nicht umsonst, weil auch wir leben müssen. Es ist wie bei einem Psychiater, der nichts anderes macht, als dir zuzuhören und dafür viel Geld kassiert. So ähnlich ist es mit uns, nur dass du ganz konkret etwas bekommst, etwas sehr Wertvolles, etwas was dir sehr hilft, sexuelle Erfüllung, wenn du so willst. Das Gefühl begehrt zu werden. Das Gefühl, für eine attraktive Frau interessant zu sein. Die meisten Männer die kommen sind älter, bei den jüngeren gibt es andere Möglichkeiten. Es kommen übrigens auch Frauen her, dann versuchen wir einen geeigneten Mann aus unserem Bekanntenkreis zu finden, auch so was Ähnliches wie einen Psychologen, keinen Loveboy. Es kommt vor, dass Frauen sogar eine Frau wollen, das machen wir auch. Nur für Homos ist das Hotel tabu, es gäbe zu viel Probleme, du glaubst ja gar nicht, was für eine Rolle in diesen Beziehungen die Eifersucht spielt. Hier läuft alles freiwillig ab, es gibt keine festen Preise, bis auf das Hotelzimmer selbst, keine festen Ansprüche. Und noch etwas ist wichtig. Hier herrscht das pure Matriarchat. Wir, die Frauen sind es, die die Männer aussuchen, Männer, die uns gefallen, von denen wir uns ein bisschen mehr als nur Geld versprechen. Du als Mann kannst uns nicht mieten, du musst uns überzeugen. Es kann schon sein, dass wir vorher reden, aber meist mit Kunden, die wir kennen, bei denen wir solche Spielchen wie mit dem Zettel nicht mehr brauchen, um ihr Selbstgefühl zu stärken.“ Er hatte sehr interessiert zugehört und überlegte sich, ob er nicht doch noch eine Stunde buchen sollte, die Frau interessierte ihn. Aber noch bevor er sich durchgerungen hatte, es zu tun, sagte sie: „Tschüss. Es war nett mit dir. Vielleicht kommst du mal wieder. Bei mir hättest du einen Stein im Brett.“ Dann ging sie, nicht ohne ihn noch einmal sehr herzlich anzulächeln.

Am nächsten Morgen war Monique nicht beim Frühstück. Er verbrachte den Tag mit seinem üblichen Programm, musste aber ständig an diese seltsame Begegnung denken. Irgendwie fand er die Erklärungen von Monique logisch. In unserer geordneten Welt, in unserem System mit festgefahrener Moral, fehlte ganz offensichtlich eine solche Möglichkeit. Am Abend, dem letzten seines Aufenthalts, saß er wieder im Restaurant und diesmal beobachtete er das Publikum genauer. Er fand weitgehend bestätigt, was Monique ihm gesagt hatte. Paare, die irgendwie nicht zusammengehörten, ein paar einzelne Männer, so wie er, und ein paar einzelne Frauen, vermutlich die Kolleginnen. Monique kam den ganzen Abend nicht und er vermisste sie, zugleich hatte er aber auch die leise Befürchtung, dass sie ihn nicht noch einmal auswählen würde, was ihn besonders geschmerzt hätte. Dann war es besser, sie blieb weg. Er konnte aber seine Phantasie nicht unterdrücken und stellte sich vor, wie sie wieder an seinem Tisch vorbeiging, einen neuen kleinen Zettel hinterließ und das ganze Spiel noch einmal stattfand. Nur in seinem Zimmer wäre er diesmal besser vorbereitet, diesmal würde er sich nicht so überrumpeln und rasch abfertigen lassen, diesmal würde er darauf bestehen, dass sie es mindestens die vereinbarte halbe Stunde trieben oder das Spiel gleich auf eine oder sogar zwei Stunden auszudehnen . Das Geld spielte doch keine Rolle, wenn das Ergebnis stimmte, redete er sich ein und seine Gedanken schweiften weiter und er tat alles, was ein richtig, toller Mann mit einer Frau wie Monique machen würde.

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