Während er aß, wieder recht vorzüglich, wieder mit viel Wein, das Hotel schien nicht nur mit den erotischen Möglichkeiten, sondern auch mit der Küche vermögende Männer anzulocken, beobachtete er das Verhalten der Anwesenden. Er stellte fest, dass die meisten Paare zusammen speisten und lange an den Tisch zusammenblieben und dass sich fast alle angeregt unterhielten, sie schienen sich gut zu verstehen. Die einzelnen Männer und Frauen fanden im Laufe des Abends ebenfalls zusammen, wie auch immer sie die Beziehung geknüpft hatten. Es war aber selten, dass sie zusammen speisten, sie verschwanden eher unvermittelt und kamen auch schon bald getrennt zurück, im Gegensatz zu den ungleichen Pärchen, die lange wegblieben und meist gar nicht mehr zurückkamen, wozu auch. In einem Fall beobachtete er, wie ein kleiner, fetter Glatzkopf, der Unmassen Fleisch in sich hinein geschaufelt hatte, ein fleischfressendes, hässliches Monstrum, einen Zettel entfaltete, den ihm eine falsche Blondine mit aufreizender Kleidung, schon fast eine Nutte, zugesteckt hatte. Der Zetteltrick funktionierte also. Der Dicke schaute die Frau, die wieder an ihren Platz zurückgekehrt war an, grinste breit und nickte ihr zu. Die Frau stand gleichgültig auf und ging in Richtung Toilette. Der Dicke aß zu Ende und ging dann in die gleiche Richtung. Es musste wohl möglich sein, auch über diesen Weg zu den Zimmern zu gelangen. Er hatte versucht, die eine oder andere der Frauen, sie waren alle etwa im Alter von Monique, mit Blicken auf sich aufmerksam zu machen, aber sie schienen ihn nicht zu bemerken oder sich nicht für ihn zu interessieren. Seltsam, dachte er, wie Frauen sein können. Warum merken diese Therapeutinnen nicht, dass ich ihre Hilfe brauche und auch bereit bin, die erwarteten Geschenke zu machen. Es war tatsächlich so, dass nur die Frauen bestimmten, mit wem sie zusammen sein wollten und er gehörte offensichtlich nicht zu ihren Favoriten. Es war aber auch so, dass mehr Männer als Frauen im Raum waren und auch andere vergeblich warteten und dann ergebnislos aufbrachen. Das Verhalten der Frauen ärgerte ihn trotzdem und er bestellte eine weitere Flasche Rotwein. Aber was hätte er tun können? Er war ja nicht im Bordell, wo er sich mit genügend Geld jede Frau kaufen konnte. Hier, das hatte er gelernt, konnte er das keineswegs, die Damen ließen sich nicht anheuern. Hier war er von ihrer Gnade abhängig. Ein seltsames Gefühl, das ihm gar nicht gefiel.
Am Ende des Abends war das Restaurant leer und er war allein übrig geblieben und mittlerweile auch ziemlich voll, weil er seinen Trost in dem guten Rotwein gesucht und gefunden hatte. Enttäuscht, unbefriedigt und mit schweren Schritten ging er auf sein Zimmer, legte sich in den Kleidern auf das Bett und schlief auch gleich ein. Er schlief aber schlecht durch, stand zwischendurch mehrfach auf, um zu pinkeln, beim ersten Mal zog er sich aus. Er war froh, als der Morgen anbrach und er wusste, dass bald das Frühstück bereitstand. Er duschte ausgiebig, zog sich an und packte seinen Koffer, viel hatte er ja nicht dabei. Zu der frühen Stunde war er nicht nur der erste, sondern auch der einzige Gast im Restaurant. Seinen ausgeprägten Kater konnte er erfolgreich mit viel Kaffee und reichlich Spiegeleiern bekämpfen. Dann bestellte er in der Rezeption ein Taxi, bezahlte seine Rechnung, genauer gesagt, er musste nur noch den Beleg für die Kreditkarte unterschreiben, und fuhr direkt zum Bahnhof. Sein Bedarf an Vergnügungen und Enttäuschungen war gedeckt und er hatte keine Lust mehr, einen weiteren Tag in der Stadt zu verbringen, weil er glaubte, inzwischen alles zu kennen, auch die verborgenen, geheimnisvollen Orte. So kehrte er früher als geplant und um eine wichtige Erfahrung reicher, in seine Wohnung zurück.
Der Zettel
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