Das erste Licht schien durch die blauen Vorhänge. Die Umrisse der Einrichtung des Zimmers und auch Victors Gestalt waren nur unscharf im Halbdunkel zu erkennen.
Ich sah ihm zu, wie er auf dem Bett sitzend sein Hemd überzog. Mit den Fingern nahm er einen Knopf und schob ihn durch den gegenüberliegenden Schlitz in dem hellgrauen Stoff. Die Bewegungen seiner Finger hatten dabei die schlafwandlerische Sicherheit eines Klavierspielers. Er schien meinen Blick zu spüren. Seine rechte Hand verlor für einen Moment ihre sichere Beweglichkeit und hielt inne. Victor schaute dennoch nicht hoch, sondern fuhr mit dem Zuknöpfen seines Hemdes fort.
Er hatte den Kopf leicht vorgebeugt. Sein Haar war zerzaust. In Gedanken spürte ich es noch zwischen meinen Fingern und an den Handflächen vorbeigleiten. Es schien in diesem Augenblick so lang her zu sein, dass ich ihn neben mir liegend gespürt hatte.
Ich drehte mich zum Fenster und schaute durch den Spalt der Vorhänge. Wenn ich sie jetzt aufzog, wäre die Nacht vorbei. Ich wollte noch nicht an den bevorstehenden Tag denken, denn ich nahm eine zähe Müdigkeit in meinen Gliedern wahr. Aber der Tag würde sicher beginnen.
"Möchtest du einen Kaffee?" fragte ich ihn. Victor atmete tief ein und nahm seine Hose von dem Stuhl, der neben ihm stand.
"Ja gern, danach werde ich aber gleich zu mir fahren." Er stand auf und zog sich die Hose über. "Wann sehen wir uns wieder?" fragte er.
"Erst übermorgen. Morgen habe ich keine Zeit. Ich bin den ganzen Tag unterwegs", gab ich zur Antwort.
Ich ging in die Küche und schaltete die Kaffeemaschine ein. Der Tag hatte uns wieder. Jetzt ging es weiter wie immer. Victor zog die Vorhänge im Schlafzimmer mit einem Ruck auf und öffnete das Fenster. Es war fast hell geworden. Ich hörte die Stimme meiner Nachbarin, die mit ihrem Hund sprach.
Victor kam in die Küche und zog leicht an dem Gürtel meines Bademantels. Er küsste mich sanft auf den Nacken. Im Hintergrund bellte der Hund.
Ich nahm zwei Tassen aus dem Schrank und stellte sie gegenüber auf den Tisch. Victor setzte sich. Ich wartete, bis nur noch wenige Tropfen in die Kanne fielen und zog sie dann unter dem Filter weg. Hinter Victors Rücken stehend schenkte ich ihm Kaffee in seine Tasse. Er bewegte sich nicht. Anschließend füllte ich meine Tasse und stellte die Kaffeekanne wieder auf die heiße Platte der Maschine. Ich setzte mich Victor gegenüber. Der schaute aus dem Fenster. Vor den Mund hielt er zwei Finger. Es sah aus, als ob er nachdachte. Ich folgte seinem Blick nach draußen. Dort ging eine alte Frau mit einer braunen Tasche. In einigem Abstand folgte ihr mit einer Tragetasche bepackt ein Mann, ungefähr ihren Alters.
Ich hob meine Tasse mit dem Kaffee und bemerkte, dass Victor mich betrachtete. Er lächelte, als ich hochschaute.
Der Morgen
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