Damals lebte ich in einem fremden Land, in dem Mandarinenbäume, Palmen und Akazien wuchsen. Es war dort meistens warm und sonnig und die Leute recht freundlich.Als sich die Geschichte, die ich hier erzählen will, zutrug, war ich noch mit Leo verheiratet. Es war eine langweilige Beziehung, ohne Höhen, ohne Tiefen, eine flache Ebene ohne Gras, ohne Blumen. Mein ehemaliger Mann verdiente wenig Geld, er war ein rechter Versager und auch des Nachts schlief er ein, nachdem er mich nur wenige Minuten gestreichelt hatte. Ich blieb zurück mit einer Glut, die zwar nicht ihm galt, aber dennoch sehr stark war.
Die Tage verliefen eintönig, ich kaufte ein, kochte Suppen und Eintöpfe, manchmal backte ich ihm Zitronenkuchen oder bereitete Schokoladenmousse zu. Aber es war doch ein sinnloses Unterfangen. Abends zündete ich Kerzen im goldenen Kandelaber an, deckte den Tisch feierlich mit weißen Spitzenklöpplerdecken, legte Musik auf, von der ich annahm, dass sie ihm gefallen würde. Doch sobald wir nebeneinander lagen in unserer fliederfarbenen Seidenbettwäsche und ich im schwarzem Negligee, da fror seine Hand schon nach kurzen Berührungen in tiefem Schlaf ein.
Eines Morgens, die Sonne schien fahlgelb zwischen grauen Schleierwolken in unsere Marmorküche hinein, sagte er zu mir, während er bedächtig sein Frühstücksei aufklopfte:
Liebe Mina, ich glaube, du musst arbeiten. Wir brauchen Geld. Ich kann die Wechsel nicht mehr bezahlen.
Ich zuckte zusammen, ließ mein Marmeladenbrot ungeschickt auf den Teller fallen, Rotes spritzte blutartig auf die weiße Decke.
Arbeiten? Ich arbeiten? , fragte ich bestürzt. Aber was?
Du kannst Deutschunterricht erteilen, sagte er bestimmt.
Ich schüttelte den Kopf immer wieder. Und dann sprang ich auf von meinem Stuhl und lief ans Fenster und betrachtete verzweifelt die Mandarinen. Kleine, runde Früchte, glatt und prall.
Mina, jetzt beruhige dich doch, Liebes. Ein, zwei Schüler und die halbe Miete ist schon bezahlt.
Obwohl ich große Angst hatte, es war ja etwas Neues, das hatte ich noch nie gemacht, setzte ich eine Anzeige in die Zeitung. Muttersprachlerin erteilt qualifizierten Deutschunterricht.
Der Schüler
4 10-16 Minuten 0 Kommentare

Der Schüler
Zugriffe gesamt: 8115
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.