In den meisten Fabeln spielen Tiere mit. Nicht aber in dieser!
Außerdem enthält dieser Text ein vom Autoren selbst erfundenes griechisches Fremdwort.
"Pst. Ich liebe dich", raunte der Transistor zur kleinen Leuchtdiode und sandte ihr einen kurzen Stromimpuls, so daß diese unweigerlich rot glimmte.
"Ganz ehrlich? Du liebst mich wirklich und willst nicht nur kurz mal Sex mit mir haben?" fragte die Schönheit im schimmernden Plastikrock, unter dem sich zwei lange makellose goldene Beine zeigten, die auf der Hauptplatine festgelötet waren.
"Ja, ehrlich! Ich liebe dich", wiederholte der Transistor, schob sich den Aluminiumhut zurecht und stützte sich lässig auf seine drei versilberten Anschlüsse.
"Ich liebe dich so sehr, ich hab‘ sogar ein Lied für dich geschrieben", fuhr er fort "Es ist eine Ode!", und er begann zu singen:
Die Ode an Diode
Schon oft hab‘ ich dich angeseh‘n
Du leuchtest gar so wunderschön
Jeder Stromimpuls von mir
Ist lieb gemeint und gilt nur dir
Kein Widerstand von 1000 Ohm
Könnt‘ lindern meinen Liebesstrom
Strom der nur für dich noch fließt
Mir kribbelnd durchs Silizium schießt
‘Will ewig dein Transistor sein
Ach wärest du heut‘ Nacht nur mein
Verzückt lauschte die kleine Leuchtdiode dem sirenösen Gesang, der sie verzauberte, der sie so mitriß, daß sie sich augenblicklich in den Transistor verliebte. Sie funkelte, sie blitzte, sie strahlte. Elektronen rasten rasant in ihr Gewand und erhitzten ihren Körper auf mehrere 100 Grad Celsius. Lötzinn schmolz und tropfte jetzt von ihren Beinen, so daß sie sich von der Leiterplatte lösen konnte.
Und sie lief zum Transistor. Sie schlang ihre goldenen Gelenke um die ihres Angebeteten; sie streichelten und liebkosten sich, sie rieben aneinander hin und her und auf und ab. Bald trennte sich auch der Transistor von der Platine und sagte: "Ich will dich!"
Und die Leuchtdiode holte ein Stück Isoliermaterial hervor, welches sich der Transistor um die Basis wickeln sollte, was er dann widerwillig und murrend auch tat. (Ein Transistor hat drei Anschlüsse: Die beiden äußeren heißen Kollektor und Emmiter, der mittlere: Basis)
Danach hatten sie Sex.
… Zensur …
Am nächsten Tag saß die kleine Leuchtdiode traurig und allein, mit hochohmigem Herzen und voller Liebeskummer auf der Platine in ihren Lötlöchern. Der Transistor hatte ihr am Morgen gesagt, er wolle noch schnell Elektroden holen, und dann war er auch schon weg und war mit einer anderen Diode durchgebrannt.
Und was dachte die kleine Leuchtdiode noch, wie sie da so saß? Sie dachte das, was jeder Elektronikingenieur im ersten Semester schon lernt: Alle Transistoren sind basisgesteuert.
Aber – liebe kleine Leuchtdiode! Dieses Denken ist absolut Diodentypisch. Warum müßt ihr denn immer alles gleichrichten?
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