Ein Frühlingstag. Eine Sonne scheint goldenes Wohlbehagen übers Land. Ein sanfter Wind weht sommerliche Temperaturen in alle Winkel. Tulpen und Narzissen, Krokusse und viele andere Blumen blühen wie Decken auf den Wiesen. Farbenprächtige Fülle betört und berauscht die Sinne. Ein naher Bach murmelt seinen Weg durch das Tal. Grüne Blätter wispern in den Bäumen. Die Luft hallt wider vom Gesang der Natur. Die Erde atmet duftende Wärme. Der Frühling weiß um die Rolle, die der Schöpfer ihm zugedacht hat. Der Frühling ist mit voller Kraft erwacht! Berauscht vom Blick auf die blühende Natur stelle ich meine Staffelei auf. Die Fantasie schlafloser Nächte, die ich auf meine Leinwand zu bannen gedenke, hält sich bereit, mir Flügel zu verleihen, meinen Pinsel zu führen. Fleisch gewordene Lust liegt meine Muse vor mir, gebettet in einem Meer bunter Blumen. Schön und makellos, wie Gott sie schuf, trägt ihr wunderbarer Körper nichts weiter als den Frühling. Freude strahlend lächelt sie mir zu. Ihre Augen bedeuten mir: „Fang endlich an!“ Keine Zweifel hegt sie, dass mein Blick alleine ihrer Schönheit gilt, dass meine Leinwand für sie alleine gespannt ist. Keinen besseren Ort, um sie zu malen, hätte ich mir auswählen können. Sie scheint mit diesem Ort verwachsen, richtiger seinen Mittelpunkt darzustellen. Eins geworden mit der Natur erblüht sie selbst aus dem Blumenteppich, auf den sie sich ausgestreckt hat. Es riecht überall nach Frühling. Es schmeckt allerorten nach Frühling. Er ist zu hören, der Frühling, er zwitschert in Vogelchören durch die Lüfte. Begehren macht sich breit. All diese Wahrnehmungen fließen wie von selbst auf das Leinen, ohne mein bewusstes Zutun, verteilen ihre Farben dort. Ich stehe vor meiner Leinwand und schaue meine Wirklichkeit gewordene Fantasie an. Sie, die dort liegt auf ihrem Blumenteppich. Ähnlich einer Meerjungfrau im Wasser, wohlig sich räkelnd. „Nimm deine Pose ein und halte bitte still!“ rufe ich ihr zu, „sonst wird das Bild nie fertig.“ Der Wind säuselt leichte Wellen in die Blumenpracht, Wellen wie auf dem Wasser eines Sees. Sonne und Wind umschmeicheln ihre Schönheit mit angenehmer Wärme. Strahlende Diamantenaugen leuchten mir entgegen, einladend, verführerisch. Ein Meisterwerk des Schöpfers, ohne Makel, unbeschreiblich anziehend. Alle Sinne fordern mich auf: „Geh zu ihr! Berühre sie!“ Nur ein paar Schritte, um zu ihr zu gelangen. Doch ich darf nicht. Das eherne Gesetz: keine Berührung vor der Vollendung, sonst liegt ein Fluch auf dem Werk. Wir werden uns nicht eher nähern, bis das Bild beendet ist. Nur ihre Augen dürfen Bewegung zeigen und zugleich Verlockung verraten. Diese Augen! Sehnsucht spiegelt sich in ihnen. Funkelnd wie Sterne ziehen sie mich an. Strahlende, wunderschöne Augen. Farben des Regenbogens leuchten auf ihrem Grund. Sind es Fixsterne, die etwas Bleibendes beinhalten oder Sternschnuppen, die nach ihrem Flug verlöschen und sich in ihren Augen wieder spiegeln? Sie glitzern wie ein Irrlicht, das mich verführen will, wie ein Leuchtturm, der mir den Weg in die Sehnsucht weist. Augen, deren Leuchtkraft fasziniert. Ich möchte zu ihr gehen, sie umarmen, doch ich kann nicht, ich darf nicht. Sonst würde ich mein Bild zerstören. Mein schönes Bild. Mein Herz pocht aufgeregt, rast sich quälend. Die Zeit scheint still zu stehen, mag nicht mehr weiterlaufen, muss verschnaufen. Mein Pinsel malt mit Eifer, um jede Sekunde dieser qualvollen Stille festzuhalten. Doch wünschte ich, er wäre ein Zauberpinsel, der das Bild einfängt und sein Werk alleine verrichtet, damit ich schon zu ihr laufen, sie berühren kann. Welch ein Verlangen, das in mir hoch steigt. Ob sie von meinem Verlangen weiß, es erkennt, erwidert? Jeden Millimeter von ihr fange ich ein. „Komm, konzentriere dich“, sage ich zu mir selbst. Was kann ich tun? Alle meine Sinne stehen auf Empfang, erschließen ihre Schönheit, ihre Konturen, die meine Begabung fordern. Eine Stimme in mir ruft: „Mädchen, beweg dich nicht, damit mein bald Leiden ein Ende hat.“ Welch ein Wunder liegt vor meinen Blicken. Ein süßer lieblicher Geruch steigt mir in die Nase. Sind es die Blumen, oder ist es dieses Geschöpf? Betäubend die Wirkung, die sie ausübt, der Duft, den sie verbreitet, betörender als Opium. Mich lockt eine süße Stimme, wie die einer Sirene, die eindringlich ruft: „Komm zu mir, komm Maler, komm doch endlich!“ Werde ich ihr nachgeben? Ich wage es nicht. Will mit meiner ganzen Kraft diese Versuchung ertragen. Ihr zu widerstehen, ist mir eine Lust und eine Qual zugleich. Ein süßer Schmerz der Ungeduld, der Sehnsucht, der Begierde. Doch im Vordergrund steht das Verlangen, das Bild zu beenden ...Deinen Körper hole ich zu mir aufs Bild, verewige ihn für alle Zeiten. Deinen einzigartigen wundervollen Körper. Deiner samtigen Haut verleihe ich die rechte Farbe. Lippen, so rot wie das Feuer der Sünde, verzaubernd, Begierden weckend. Möchte sie küssen. Sie kosten wie den roten Saft von Kirschen. Ihre Fingerspitzen, verraten ihre Sensibilität, so fein und zart. Arme, von denen ich gerne umschlungen würde. Schlanke Füße und Fesseln, jeder Zeh, Beine, Bauch. Hüften, die ich einzufangen wüsste. Doch welch ein Genuss erst ihre Brüste! Sie allein zu erblicken und zu malen, ist begehrenswert. Ich frage mich, ist es eine Strafe oder eine Belohnung, dass ich sie hier erleben darf? Du bezauberndes Etwas. Kind einer Göttin. Was machst du mit mir? Ich werde nicht zu dir kommen, werde der Versuchung nicht erliegen. Du gleichst einer Meerjungfrau, die mich zu sich lockt mit ihrem Gesang. Ein Augenblick des Glücks. Bezahlt mit dem Leben. Dem Leben dieses Bildes. Ein Bild, das sterben würde, nie vollendet würde, sollte ich ihr doch erliegen. Mystisches Empfinden. Nein, mein Wille ist stärker. Komme du zu mir, du Göttin der Verführung. Gebe dich mir hin, ich flehe dich an, bereite meinem Herzschmerz ein Ende. Welch eine Lust! Welch eine Qual! Du bist die Göttin, ich nur dein Knecht. Mir steht es nicht zu, auch nur einen dieser Gedanken zu hegen, einen Gedanken an Mehr. Du Unerreichbare im Farbenkleid der Natur. Du beseligendes Geschöpf. Meine Hände malen, als würden sie gierig jede Stelle berühren, die sie auf die Leinwand bannen. Ich spüre ihre Haut. Kann jede Faser ertasten. Täler und Berge, eine Landschaft, wie sie sich nirgendwo schöner offenbart. Ich erahne ihre Quellen. Wiesen, Felder und Wälder. Oh mein Sehnen, könnte ich der Wanderer in deiner Landschaft sein. Mit jedem Strich, den ich mir hier aufs Bild auftrage. Ich nähere mich der Vollendung. Bald ist sie bei mir. Viel bleibt nicht mehr zu tun. Male, Pinsel, male ihr Bild, male ...Ich ersehne den letzten Farbklecks. Sonne, die du jeden Millimeter von ihr eintauchst in pures Gold. Könnte dich verwünschen. Sonne verstecke dich hinter einer Wolke. Erlöse du mich von diesem Spiel. Beende, was nicht mehr zu ertragen ist. Schicke den Regen, ein kühles Nass. Sonne erlöse mich, befreie mich. Ich wünschte, ein Regenbogen würde sie zu mir tragen. Natur, ich flehe um dein Erbarmen. Lass ein Gewitter kommen, einen Sturm. Mir ist so heiß. Ich halte die Luft an erlaube mir, einen Moment aufzuschauen. Sie raubt mir den Atem. Mein Herz rast, meine Wünsche sind nicht mehr zu ertragen. Bin ihr erlegen. Welch ein Geschöpf. Spannung zum Bersten tödlich. Es geht um Leben und Tod. Welch ein Drama! „Nimm dich zusammen! Was tust du hier?“ ruft mir eine innere Stimme zu. Wer kennt schon des Malers Pein? Ihr langes Haar macht mich verrückt. Die Strähnen einzeln aufs Papier gebracht. Schattierungen, ihre Schönheit noch steigernd, wunderschöne Frau. Ich male wie wild. Damit mein Warten aufhört. Damit ich zu ihr gehen kann in ihren Blumengarten. Meine Hände wollen mir nicht mehr gehorchen, verselbstständigen sich, malen weiter, immer weiter. Präzise, Strich für Strich, den Anblick umgesetzt. Flächen ausgefüllt im Ton der Farben. Mir ist, als hörte ich Musik. Eine wunderschöne Melodie. Nie hörte ich sie zuvor. Lockende Töne in Harmonie mit den Farben. Eine Melodie, die sich mit dem Bild vereint. Was hat die Natur an ihr vollbracht? Ein Meisterwerk wie eine Symphonie, Instrumente klingen. Nie habe ich vorher vernommen, wie meine Farben eine Melodie spielen. Du Traumgestalt zeigst mir neue Wege. Vielfalt der Farbenmelodien. Ich frage laut: „Willst du es sehn?“ Spontan antworten ihre Augen: „Nein!“ Sie darf nicht sprechen, muss still liegen, darf sich nicht bewegen, bis das Werk beendet sein wird. Welch ein Mund, will ihn küssen. Hält sie es aus, wird ihr Mund ruhig bleiben? Ich will im Meer ihrer salzigen Küsse ertrinken. Lippen, die begehren. Doch sie verwehrt sich. Bin trunken, sinnestrunken, auch ohne Wein. Ein Vulkan tobt, bricht aus. Lava droht zu zerfließen. Eruptionen öffnen das Tor zur Hölle. Spannungsgeladen die Luft. Wie lange kann ich noch durchstehen, ohne mich an ihr zu laben? Dampfende Hitze legt sich auf uns, ihr Körper glüht. Und meiner auch. Ich wähle ein Rot wie Feuer, noch intensiver. Mein wachsendes Verlangen schmerzt wie eine Folter. Meine Lenden pulsieren Lust. Wundervolle Frau dort in deinem Blumenbett. Du weißt, wie schön du bist, und du genießest meinen Zustand, doch du schweigst. Warum verrätst du mit keiner Silbe deine Gedanken? Liegst nur geheimnisvoll lächelnd vor mir. Verführerisch in Pose. Mir scheint, du fühlst jeden meiner schmerzlichen Gedanken. Quäle mich nicht so, du holdes Weib. Schweißperlen laufen mir durchs Gesicht. Bin gebadet im Verlangen. Wann endlich kann ich die Brücke zu dir überqueren? Will endlich dich berühren mit meinen Händen, meinen Lippen. Ach wäre ich bloß schon bei ihr. Nicht mehr lange, dann ist das Werk vollendet. Nicht mehr lange, dann ist sie mein. Letzte Blicke auf das Bild meiner Begierde. Letzte Blicke auf die Fantasie meiner Leinwand. Du Frau im Blumenmeere. Mir ist, als würden die Farben schwinden. Verschwommen tanzen Amor und Venus im Bild den einzigartigen Tanz der Erfüllung. Mich hat die Muse geküsst? Ich bin der Vollendung nahe! Noch ein paar Striche. Letzter prüfende Blicke. Der letzte Strich auf dem Bilde bereitet mir die höchste Lust. Ich setze an, der Atem schweigt, ich trau mich kaum und will es doch beenden. Die Spannung aller Zeiten meiner Pein entlädt sich. Ich will es kaum wahrhaben. Ein Feuerwerk der Gefühle schießt himmelwärts. Ein Geschenk der Liebe ist ausgepackt. „Es ist vollbracht! Willst du das Bild nun sehen?“ Sie kommt lächelnd auf mich zu. Wird sie sein wie diese Fantasie auf meinem Leinen? Arme umschlossen sich. Körper sanken nieder. Ich habe dich vollendet, dich genommen, ich bin so glücklich, denn du warst mein, mein Geschöpf, des Malers Kreatur.
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