Malers Pein, Des

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Malers Pein, Des

Malers Pein, Des

Niclas van Schuir

Ein Frühlingstag. Eine Sonne scheint goldenes Wohlbehagen übers Land. Ein sanfter Wind weht sommerliche Temperaturen in alle Winkel. Tulpen und Narzissen, Krokusse und viele andere Blumen blühen wie Decken auf den Wiesen. Farbenprächtige Fülle betört und berauscht die Sinne. Ein naher Bach murmelt seinen Weg durch das Tal. Grüne Blätter wispern in den Bäumen. Die Luft hallt wider vom Gesang der Natur. Die Erde atmet duftende Wärme. Der Frühling weiß um die Rolle, die der Schöpfer ihm zugedacht hat. Der Frühling ist mit voller Kraft erwacht! Berauscht vom Blick auf die blühende Natur stelle ich meine Staffelei auf. Die Fantasie schlafloser Nächte, die ich auf meine Leinwand zu bannen gedenke, hält sich bereit, mir Flügel zu verleihen, meinen Pinsel zu führen. Fleisch gewordene Lust liegt meine Muse vor mir, gebettet in einem Meer bunter Blumen. Schön und makellos, wie Gott sie schuf, trägt ihr wunderbarer Körper nichts weiter als den Frühling. Freude strahlend lächelt sie mir zu. Ihre Augen bedeuten mir: „Fang endlich an!“ Keine Zweifel hegt sie, dass mein Blick alleine ihrer Schönheit gilt, dass meine Leinwand für sie alleine gespannt ist. Keinen besseren Ort, um sie zu malen, hätte ich mir auswählen können. Sie scheint mit diesem Ort verwachsen, richtiger seinen Mittelpunkt darzustellen. Eins geworden mit der Natur erblüht sie selbst aus dem Blumenteppich, auf den sie sich ausgestreckt hat. Es riecht überall nach Frühling. Es schmeckt allerorten nach Frühling. Er ist zu hören, der Frühling, er zwitschert in Vogelchören durch die Lüfte. Begehren macht sich breit. All diese Wahrnehmungen fließen wie von selbst auf das Leinen, ohne mein bewusstes Zutun, verteilen ihre Farben dort. Ich stehe vor meiner Leinwand und schaue meine Wirklichkeit gewordene Fantasie an. Sie, die dort liegt auf ihrem Blumenteppich. Ähnlich einer Meerjungfrau im Wasser, wohlig sich räkelnd.

„Nimm deine Pose ein und halte bitte still!“ rufe ich ihr zu, „sonst wird das Bild nie fertig.“ Der Wind säuselt leichte Wellen in die Blumenpracht, Wellen wie auf dem Wasser eines Sees. Sonne und Wind umschmeicheln ihre Schönheit mit angenehmer Wärme. Strahlende Diamantenaugen leuchten mir entgegen, einladend, verführerisch. Ein Meisterwerk des Schöpfers, ohne Makel, unbeschreiblich anziehend. Alle Sinne fordern mich auf: „Geh zu ihr! Berühre sie!“ Nur ein paar Schritte, um zu ihr zu gelangen. Doch ich darf nicht. Das eherne Gesetz: keine Berührung vor der Vollendung, sonst liegt ein Fluch auf dem Werk. Wir werden uns nicht eher nähern, bis das Bild beendet ist. Nur ihre Augen dürfen Bewegung zeigen und zugleich Verlockung verraten. Diese Augen! Sehnsucht spiegelt sich in ihnen. Funkelnd wie Sterne ziehen sie mich an. Strahlende, wunderschöne Augen. Farben des Regenbogens leuchten auf ihrem Grund. Sind es Fixsterne, die etwas Bleibendes beinhalten oder Sternschnuppen, die nach ihrem Flug verlöschen und sich in ihren Augen wieder spiegeln? Sie glitzern wie ein Irrlicht, das mich verführen will, wie ein Leuchtturm, der mir den Weg in die Sehnsucht weist. Augen, deren Leuchtkraft fasziniert. Ich möchte zu ihr gehen, sie umarmen, doch ich kann nicht, ich darf nicht. Sonst würde ich mein Bild zerstören. Mein schönes Bild. Mein Herz pocht aufgeregt, rast sich quälend. Die Zeit scheint still zu stehen, mag nicht mehr weiterlaufen, muss verschnaufen. Mein Pinsel malt mit Eifer, um jede Sekunde dieser qualvollen Stille festzuhalten. Doch wünschte ich, er wäre ein Zauberpinsel, der das Bild einfängt und sein Werk alleine verrichtet, damit ich schon zu ihr laufen, sie berühren kann. Welch ein Verlangen, das in mir hoch steigt. Ob sie von meinem Verlangen weiß, es erkennt, erwidert? Jeden Millimeter von ihr fange ich ein. „Komm, konzentriere dich“, sage ich zu mir selbst. Was kann ich tun?

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