Die Flugbegleiterin - Kapitel 5

Fester Boden unter den Füßen

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Die Flugbegleiterin - Kapitel 5

Die Flugbegleiterin - Kapitel 5

Gero Hard

Dienstag 09.30Uhr. Breitbeinig liege ich auf dem Gyno-Stuhl. Eingehend untersucht mich die Fachärztin.
Nachdem sie untenrum fertig ist, macht sie noch eine Ultraschalluntersuchung. Immer wieder fährt sie mit der Sonde über meinen Bauch. Mal rechts, mal links, dann weiter unten. Bis sie mir mit einem Lächeln das kalte Gel vom Bauch wischt.
Na, dann herzlichen Glückwunsch, Frau Neumann! Sie sind schwanger, sonst ist alles in Ordnung.“
‚Na klar, alles in Ordnung. Als ob. NUR ein bisschen schwanger, haha, macht ja nichts. Was denkt sich die blöde Kuh eigentlich? Hoffentlich tut sich unter mir ein großes Loch auf und verschlingt mich auf Nimmerwiedersehen.‘
Ich schlage meine Hände vor’s leichenblasse Gesicht. Tränen laufen mir aus den Augen. Ich weiß gerade nicht, ob vor Glück, oder aus Angst vor dem, was auf mich zukommt. Nach allem was passiert ist! Der Fick mit Felix am Freitag nach dem Urlaub ohne Kondom, dann der Sex mit Tobi, wie kann ich mir sicher sein, wer der Vater ist? Zweifel kommen auf. Ok, an dem Freitag müsste die Pille noch gewirkt haben. Erst danach war ich im Krankenhaus. Und dann fällt es mir wie ‚Schuppen aus den Haaren‘…, das Antibiotikum könnte die Wirkung der Pille nachträglich aufgehoben haben. Die Ärztin hat es mir doch ausdrücklich mit auf den Weg gegeben und männliches Sperma kann bis zu sechs Tage im Uterus überleben. Ich bin aber auch ein blödes Schneeschaf!
Und die Vergewaltigung nach Rhodos? Ne, kann auch nicht sein, Felix hat sich auf meinem Rücken und meinem Arsch entladen. Und trotzdem, wie soll ich Tobi das beibringen, wie wird er reagieren?
Der arme Kerl muss einen Schock nach dem Nächsten verkraften. Wenn selbst ich schon Zweifel habe, was wird denn erst in ihm vorgehen?
Meine Knie sind weich wie Butter in der Sonne. An Aufstehen ist nicht zu denken. Jahrelange Berufserfahrung lassen Frau Doktor sofort spüren, dass etwas nicht in Ordnung ist. „Kommen Sie, wir reden darüber!“ Meine nackte Blöße deckt sie mit einer warmen Decke ab.
Dann erkläre ich ihr alles. Natürlich kann auch sie meine Zweifel nicht zu 100% ausräumen, aber sie bestätigt im Wesentlichen meine Überlegungen.
Sie verspricht, mich bei allem zu unterstützen, auch gegebenenfalls mit dir zu sprechen. Es wäre sowieso viel schöner, wenn du bei künftigen Untersuchungen dabei sein könntest. Aber vielleicht läuft es ja auch auf ein Informationsgespräch zum Thema ‚Abbruch‘ hinaus. Ich soll es mir überlegen. Abwarten!

Bei künftigen Untersuchungen, dass ich nicht lache … ich kann froh sein, wenn du mich nicht hochkantig aus deiner Wohnung wirfst. Wenn das Kind von Felix sein sollte, werde ich dir sowieso nicht zumuten, einen Bastard großzuziehen. Nicht mal ich selbst bin mir sicher, ob ich in dem Fall dieses Kind behalten kann. Es wäre vielleicht sogar besser den Säugling zur Adoption freizugeben, als es den Hass spüren zu lassen, den ich gegen seinen Vater hege. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg. Eine Abtreibung kommt für mich, allein schon aus ethischen Gründen, niemals in Frage.
Für die Angaben im Mutterpass wird mir noch Blut abgenommen. Sie hätten mich nur fragen müssen, meine Blutgruppe und meinen Rhesusfaktor weiß ich auch so. Dann drückt sie mir die Schwangerschaftsbescheinigung für den Arbeitgeber in die Hand.

„Sie brauchen viel Ruhe. Das müssen Sie mir versprechen. Notfalls schreibe ich sie arbeitsunfähig.“, verabschiedet sie mich im Behandlungsraum.
Bei dir in der Wohnung bricht es aus mir heraus. Kraftlos sinke ich auf dem Wohnzimmerteppich auf die Knie. Bis eben dachte ich, ich könnte endlich mit dir glücklich werden. Den ganzen Dreck vergessen. Und nun? Wieder ein Haufen Scherben. Was habe ich falsch gemacht, dass ich vom Leben so gemein bestraft werde? Wie heißt es so treffend: ‚Niemand fickt dich so hart wie das Leben.‘
Ich muss mit Frauke sprechen, ich brauche ihren Rat. Kurzentschlossen wähle ich ihre Handynummer. Mailbox, natürlich. Sie arbeitet. Dann mache ich, was ich bis dahin noch nie gemacht habe. Eine Sprachnachricht aufnehmen, die ich erst nach 11Minuten und 22 Sekunden stoppe. Frauke wird sich wundern. Sowas kennt sie von mir sonst nicht.

Und du? Für dich habe ich keine Lösung parat. Noch nicht. Vielleicht ruft mich Frauke ja in ihrer Mittagspause zurück, hoffentlich hat sie einen guten Rat für mich.
Dann rufe ich meine Mutter an. Mit ihr kann ich auch über „fast“ alles sprechen. Von Felix weiß sie. Von der Aktion im Flughafen weiß sie aber nichts und das ist auch gut so. Das ich einen neuen Freund habe, hat sie von Frauke erfahren. Uns fehlte bisher einfach die Zeit, gemeinsam unsere Eltern zu besuchen. Und überhaupt, ist es dafür nicht sowieso noch etwas früh? Schließlich kennen wir uns erst 4 Wochen, wovon wir 2 Wochen im Ausland waren. Wie auch immer, Mama hat auch keine Lösung für mich.

Deprimiert gehe ich ins Schlafzimmer. Auf dem Bett breche ich erneut in Tränen aus. Ein Weinkrampf schüttelt mich minutenlang. Unfähig mich zu bewegen, sitze ich auf dem Bettrand. Automatisch nehme ich dein getragenes Poloshirt von gestern und halte es mir vor die Nase. Es riecht so wunderbar nach dir. „Tobi, hilf mir bitte!“, sage ich zu mir selbst. „Und wenn es das letzte Mal sein sollte, bitte hilf mir!“
Die scheinbar ausweglose Situation der Schwangerschaft sollte ich vielleicht auch mit dem psychologischen Dienst besprechen.

Tobi ist dran: Der Tag schleicht dahin. Von Kathi höre ich nichts. ‚Na dann wird wohl alles in bester Ordnung
sein‘, denke ich so bei mir. Der Einzige, der heute wirklich nervt, ist Marco. Den ganzen lieben langen Tag schwärmt er mir die Ohren voll. Wie gut Kathi zu mir passt und was für eine wundervolle Frau sie ist und sie diejenige sei, mit der ich den Rest meines Lebens verbringen müsste. Er wäre sich selten einer Sache so sicher wie bei ihr. Stimmt schon, er hat für sowas einen siebten Sinn. War bei Carola auch schon so. Seine Menschenkenntnis ist unglaublich, was das angeht.
Und Frauke … oh mein Gott. Frauke! Die hat ihm ja wohl völlig den Kopf verdreht. Wie klasse sie aussieht, wie gut sie sich auszudrücken weiß, wie gebildet sie ist … und, und, und!
Ganz ehrlich, ab Mittag kann ich das alles nicht mehr hören. Von da an gehe ich ihm aus dem Weg.
Obwohl, verstehen kann ich ihn schon irgendwie. Die Richtige war ihm bisher nicht vergönnt. Ist auch ein bisschen wählerisch, der Gute. Und wenn Frauke doch nun diejenige welche sein sollte, dann bin ich der Letzte, der sie ihm nicht gönnen würde. Sie ist eine tolle Frau, ohne Zweifel und ein schönes Paar sind sie allemal.

****

Endlich Feierabend! Heute gibt’s nicht eine einzige Überminute. Ich will nur noch nach Hause. Möchte wissen, was die Ärztin gesagt hat und wie es dir geht.
Dein gepackter Rolli, über den deine Jacke gelegt ist, überrascht mich im Flur. Ein Schluchzen aus dem Wohnzimmer. Ein ungutes Gefühl steigt in mir auf. Was ist hier los? Du kauerst auf der Couch. Deine Schminke ist nur noch ein großer, dunkler Fleck auf dem Taschentuch in deiner Hand. Deine Augen sind rot und geschwollen. Du musst den ganzen Tag geweint haben. Dein Anblick versetzt mir einen tiefen Stich ins Herz. ‚Mitleiderregend‘ beschreibt das Bild nicht mal annähernd gut genug, welches sich mir bietet.

Auf dem Wohnzimmertisch liegt ein kleines blaues Heft. In der Mitte ist eine Frau mit einem Kind auf dem Arm als Schattenriss abgebildet. In dicken Lettern steht darunter: MUTTERPASS
Wortlos nehme ich das Heftchen in die Hand und schlage es auf. Es ist heute ausgestellt. Wortlos und fragend sehe ich dich an. Immer wieder laufen dir Tränen die Wangen herunter.
„Zweite Woche ungefähr, mehr kann man jetzt noch nicht sagen.“, ist deine kurze Antwort auf meine ungestellte Frage.

Zweite Woche. Nur ungefähr. In meinem Kopf blättern die Kalendertage. Erst ich im Urlaub, dann Felix, dann wieder ich, dann wieder Felix, dann wieder ich. Mir zieht es gerade den Teppich unter den Füßen weg. Jetzt muss ich mich setzen. Aber ich muss einen Moment für mich allein sein. Kommentarlos lasse ich das Heft zurück auf den Tisch fallen. Dann gehe ich ins Schlafzimmer und schließe hinter mir die Tür. Diesen Schlag in die Magengrube kann ich gerade nicht verdauen. Bin ich wirklich der Vater? Oder ist es Felix? Beides ist zumindest theoretisch denkbar. Die Pille, ist sie wirklich zu 100% sicher? Dann kann es Felix nicht gewesen sein. Aber warum dann ich, wenn sie die Pille nimmt? Wie kann das gehen?
Ich kann gerade keinen klaren Gedanken fassen. Wie durch Watte höre ich, das draußen die Wohnungstür zugezogen wird. Du musst gegangen sein. Zumindest für heute wahrscheinlich die beste Lösung.
Ich fühle mich von der Welt betrogen. Allein gelassen. Vor einer halben Stunde war der Himmel noch hellblau. Und nun ist er mit tiefschwarzen Wolken verhangen.

Ich rufe meine Mutter an. Aber außer ein paar beruhigenden Ratschlägen, hat sie auch nicht viel zu bieten. Außer: ‚abwarten, wird sich schon klären‘ und solchen Sachen, kommt nicht wirklich viel Brauchbares von ihr. Klar, was soll sie auch sagen, was habe ich eigentlich erwartet? Dass sie mir rät, dich treulose Braut in den Tabak zu schießen? Nein, so einfach will und kann ich mir die Entscheidung auch nicht machen. Schließlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich der Vater des Ungeborenen bin, mindestens 50:50, vermutlich höher.

Mein Handy piept. Eine Nachricht von Frauke: „Sorry, habe deine Nummer von Kathi. Sie ist bei mir und völlig fertig. Es tut mir leid, dass das alles so verzwickt ist. Aber bitte, überleg es dir. Es ist sehr wahrscheinlich dein Kind. Ich würd‘s mir wünschen und Kathi erst recht. Ihr seid so ein tolles Paar und ich hätte dich gern als Schwager.“
Gedankenverloren lasse ich mein Handy auf meine Oberschenkel sinken. Sie hat recht. Ich muss mir meine nächsten Reaktionen sehr gut überlegen. Aber heute werde ich keine Lösung mehr finden. Fraukes Handynummer speichere ich gleich ab. Typisch IT-Mensch.

Marco! Jetzt ist der beste Zeitpunkt, ihn anzurufen. Hoffentlich strapaziert er seine Muskeln nicht gerade im Fitnessstudio. Ich habe Glück. Wir unterhalten uns lange. Fast zwei Stunden. Feinfühlig wie er ist, spürt er sofort, dass ich ihn gerade jetzt sehr brauche. Seine Meinung ist mir wichtig. Ich erzähle ihm nur, dass Kathi vor mir mit Felix zusammen war. Aber das weiß er natürlich schon. Und, dass er mit kleiner Wahrscheinlichkeit als möglicher Vater in Frage kommt. Mehr Details bekommt er von mir nicht. Es geht ihn schlichtweg nichts an.
Selbst nach diesem langen Telefonat bin ich einer Lösung kaum einen Schritt nähergekommen.
Es ist spät geworden. Die ganze Grübelei macht mich krank. Die letzten Tage, bzw. Erlebnisse, haben mein bisher so geordnetes Leben völlig aus der Bahn geworfen. Selbst die Trennung von Carola hat nicht so viel Unruhe in mein Leben gebracht. Vielleicht tust du meinem Leben einfach nicht gut. Vielleicht passt es mit uns einfach nicht und eine Trennung wäre dann das Beste für uns.

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